Offshore Outsourcing

Was kostet die Welt?

07.07.2003 von Horst Ellermann
IT-Anbieter aus Billiglohnländern locken mit Preisen von weniger als 20 Euro pro Entwicklerstunde. Wer günstig einkaufen will, lagert dennoch besser nur zwei Drittel der Aufgaben in ferne Länder aus. Den Rest sollten Partner vor Ort erbringen.

Carlos Moreno spricht deutsch: "Ein bisschen", sagt der CIO der Skandia Versicherung mit spanischem Akzent. Viel muss er auch nicht können, um im deutschen Tochterunternehmen des schwedischen Versicherungskonzerns verstanden zu werden. Morenos Chef ist Amerikaner, seine engsten Mitarbeiter kommen aus Italien, Frankreich und - dann doch noch - aus Deutschland. Im Büro sprechen alle Englisch, weshalb es sich anbietet, beim IT-Outsourcing "offshore" zu gehen - in Billiglohnländer abzuwandern. Der Kolumbianer Moreno nutzt seit zwei Jahren die Hilfe indischer Experten, um sein Team in Berlin zu entlasten - obwohl er findet: "Deren Englisch ist irgendwie anders."

So wie Moreno denken inzwischen viele CIOs in Deutschland über das Thema Offshore - die meisten unter Kostendruck. "Die Nachfrage ist in den vergangenen 12 bis 18 Monaten gestiegen", hat Analyst Ian Marriott von Gartner beobachtet. Vor 20 Jahren haben die ersten EDV-Leiter Programmierjobs in Indien erledigen lassen.

Während des Internet-Hypes versuchten dann auch IT-Leiter mittelgroßer Firmen, lokale Dilettanten durch Profis an fernen Einwahlknoten zu ersetzen oder mit ihnen das Jahr-2000-Problem zu lösen. Gescheitert sind im Grunde beide Offshore-Versuche. "Ich bündele etwas und schicke es nach Timbuktu - das hat noch nie geklappt", behauptet Ralf Allwermann, Geschäftsführer des Beratungshauses Perot Systems in Frankfurt am Main.

Kritisch: Kommunikation und Kultur

Die Gründe dafür sind vielfältig: Mal zerfällt den Auftraggebern mitten im Projekt das Bündel der Anforderungen, mal entpuppt sich der Auftragnehmer als unfähig - in jedem Fall entzünden sich die Konfliktsituationen an der schlechten Kommunikation. In der Studie "The Coming Offshore Service Crunch" von Forrester Research gaben 70 Prozent der gescheiterten CIOs an, dass dieser Punkt und die kulturellen Unterschiede die internationalen IT-Projekte hätte platzen lassen. "Die Standardantwort zu Offshore lautet: 'Das haben wir mal probiert; das hat sich nicht gelohnt", klagt auch Allwermann.

Er propagiert deshalb das "Smart Sourcing", bei dem ein Teil der Mitarbeiter des Outsourcing-Partners direkt beim Auftraggeber, also "On-Site", arbeitet. Das nage am Preisvorteil der Offshore-Anbieter gegenüber gewöhnlichen IT-Dienstleistern, mache einen Projekterfolg jedoch wahrscheinlicher. Gerade wer noch keine Erfahrung mit dem Offshore Sourcing habe, sollte den On-Site-Anteil nicht zu knapp bemessen, rät Allwermann. Er empfiehlt 40 Prozent für Pilotprojekte; erst im "eingeschwungenen" Zustand könne man auf 10 Prozent reduzieren. Woraus sich gleich sein nächster Tipp ergibt: "Offshore macht man nicht wegen eines Projekts. Das lohnt sich nur, wenn es eine strategische Sourcing-Entscheidung ist."

Einstieg mit Entwicklungsarbeit

Als CIO in Berlin hat Moreno zunächst einmal den Euro offshore in die Datenbank einpflegen lassen. Es folgte die Umsetzung neuer Steuergesetze in die Produkte der Skandia. Derzeit feilen die indischen Kollegen mit dem Case (Computer Aided Software Engineering) -Tool "Cool:2E" an einem Cobol-Programm für Versicherungen gegen Berufsunfähigkeit. Eine solche Ausweitung des Aufgabenfelds sei typisch bei den Kunden, bestätigt Rob Spijkers vom Dienstleister Wipro: "Die Firmen fangen meistens mit Entwicklungsarbeiten an, weil da das Risiko am geringsten ist." Später wachse mit dem Vertrauen auch der Business-Bezug bei den Aufträgen.

Das sieht Peer Gribbohm, Partner bei Deloitte, nur zum Teil so. Das internationale Beratungshaus hat genau wie alle großen IT-Consultants das Thema Offshore längst für sich entdeckt und beschäftigt 2000 Mitarbeiter in Bombay sowie im Entwicklungscenter in Hyderabad. Diese erwirtschaften zwei Drittel des Umsatzes mit Support und Entwicklung rund um Enterprise Ressource Planning, meist SAP.

Seinen Anfang hat das Geschäft in Indien allerdings mit Business Process Outsourcing genommen: Indische Ärzte prüfen, ob amerikanische Krankenhäuser ihre Rechnungen an die Kassen korrekt gestellt haben. Die Kosten sind so von 100 Euro pro Stunde Rechnungsprüfung auf 15 Euro gefallen. Gribbohm verspricht ähnliche Effekte auch für Geschäftsprozesse im Finanz- und Personalbereich: "Indien hat in den vergangenen Jahren zwar Gehaltszuwächse von 20 Prozent gesehen, aber wir sind auf der Prozessseite auch besser geworden."

Welche Projekte sich eignen

Die Palette an möglichen Projekten für Offshore Sourcing hält Gribbohm deshalb noch für erweiterbar. Besonders geeignet seien E-Learning, Website- und Katalogpflege: "Warum sollen wir nur den Support der Systeme machen? Wir könnten doch auch die Sachbearbeiter stellen." Für geeignet hält er die Überwachung von Rechenzentren - "im Augenblick noch kein Markt, aber die Tools werden immer besser" - sowie Druck und Versand von Infobroschüren: "Ich sage nicht, dass das im Moment schon funktioniert - aber es wird kommen." Fast euphorisch erzählt Gribbohm von Projekten, die Deloitte offshore abwickelt. "Wir würden das ja nicht machen, wenn man dabei kein Geld verdienen könnte - auch wenn unsere Stundensätze dadurch runtergehen."

Allwermann von Perot Systems schränkt Projekte für Offshore Sourcing stärker ein, wobei er betont, dass bei einer etablierten Zusammenarbeit das Spektrum erweiterbar sei. Zum Einstieg hält er Pilotprojekte für geeignet, die vier Kriterien erfüllen:

- Es sollte etwas Neues entwickelt werden, ruhig auch mit intensiver Integration von Altsystemen.

- Die Laufzeit sollte zwischen sechs und zwölf Monaten betragen.

- Das Auftragsvolumen sollte bei mindestens 500000 Euro liegen.

- Eine Migration und längerfristige Maintenance sollten vorgesehen sein.

Welche Unternehmen sich eignen

Die Mitarbeiter von Skandia scheint das nicht zu schocken: Eine "unwahrscheinlich tolle Arbeitseinstellung", lobt Balbina Sostak, die als deutsche Projektmanagerin den persönlichen Kontakt zu den Wipro-Mitarbeitern pflegt. Neue Versicherungsprodukte ließen sich jetzt schneller auf den Markt bringen; die ausgelagerten Tätigkeiten würden somit vor Ort neue Aufgaben schaffen.

Und menschlich gesehen hätten die Inder ebenfalls eine gute Wirkung auf die gesamte Arbeitsatmosphäre. "Man kann sich fast nicht mit ihnen streiten", berichtet Sostak, die damit das herausstreicht, was Westeuropäer bei Verhandlungen gern als umständliche Art kritisieren: Die Inder widersprächen durch die Blume; keiner füttere sein Ego durch offene Konfrontation. "Man achtet mehr aufeinander", meint Ulrich Franz aus der Skandia-IT. Er arbeitet mit den Wipro-Leuten an einem Tisch und überlegt sich, jetzt auch mal privat nach Indien zu reisen. "Ich bin schon zweimal zu Hochzeiten von Kollegen eingeladen worden."

Skandia erfüllt also drei von vier Voraussetzungen, durch die sich ein Unternehmen für die Strategie des Offshore Outsourcing eignet:

- Die eigenen Mitarbeiter sind offen.

- Sie sprechen alle Englisch.

- Das Management steht hinter dem Konzept.

Lediglich in einem Punkt passt Skandia so gar nicht in diese Riege: "Unsere Kunden setzen im Durchschnitt vier bis sechs Millionen Euro pro Jahr bei uns um", erzählt Spijkers von Wipro. Skandia Deutschland liegt weit darunter. Auch die von Perot Systems empfohlenen 30 bis 50 Mitarbeiter in der Anwendungsentwicklung können die Berliner nicht aufweisen - so groß ist gerade einmal die gesamte IT-Mannschaft von Moreno. Skandia kann somit als Beleg dafür gelten, dass Offshore auch im Mittelstand funktioniert.

Welches Herkunftsland geeignet ist

Niemietz, der im September zu Nordzucker nach Braunschweig wechselt, lobt den Arbeitseinsatz der Inder, die so laut Meta Group 85 Prozent des Offshore-Markts erobert haben. Osteuropäische Länder, Israel oder China bieten zwar vergleichbare Leistungen, wie der "Buyer's Guide to Offshore Outsourcing" unseres US-amerikanischen Schwesterblatts CIO belegt.

Auf einer animierten Weltkarte unter www.cio.com listet die Forschungsleiterin der Giga Information Group, Stephanie Overby, jedoch auch auf, mit welchen Nachteilen in den einzelnen Ländern zu rechnen sei. So erhält China Abzüge für schlechtes Englisch und Israel aufgrund des "geopolitischen Risikos", während in Polen, Ungarn und Tschechien zwar die Leistung stimme, der EU-Beitritt das Lohnniveau jedoch zu verändern drohe. Ampeln signalisieren dem Leser, welche Herkunftsländer welche Voraussetzungen bieten.

Neben dem Preis pro Entwicklerstunde, Sprachvermögen und politischer Stabilität sollten CIOs zwei Faktoren beachten, die Overby in ihrem Ranking nicht berücksichtigt: Erstens fließen Daten nicht überall gleich sicher vom Anbieter zurück zum Kunden.

So ging beispielsweise das "I love you"-Virus von den Philippinen aus um die Welt, und einige osteuropäische Länder verfügen über eine noch weitaus talentiertere Hackerszene. Daraus ergeben sich echte und zum Teil auch nur imagebedingte Probleme: "Die russischen IT-Anbieter sagen, dass sie 80 Prozent ihrer Zeit dafür verbrauchen, die Skepsis gegenüber ihrem Heimatland abzubauen", sagt Gartner-Analyst Ian Marriott.

Zweitens erwächst aus den verschiedenen Zeitzonen ein Kommunikationsproblem, gibt Allwermann von Perot Systems zu bedenken. Auch wenn Offshore-Mitarbeiter im Schnitt zwei Stunden länger im Büro sitzen als ihre deutschen Kollegen, errechnet Allwermann: "Will man eine kommunikative Abdeckung zwischen Offshore- und On-Site-Arbeitszeit von rund 75 Prozent, dann sollte der Zeitunterschied nicht mehr als vier Stunden betragen."

Zwischen Deutschland und Indien ist das der Fall. So erzählt ein Berliner Wipro-Mitarbeiter, dass er kaum früher aufstehen werde, wenn er bald aus dem On-Site-Team zurück zu den Offshore-Kollegen im indischen Puna wechsele. Im Sommer beträgt die Zeitdifferenz gerade einmal drei Stunden. Und um die Entfernung auf dem Globus zu zeigen, reicht sogar schon die Spanne zwischen Zeigefingerspitze und Daumen - jedenfalls wenn man so große Hände hat wie Carlos Moreno.