Nachdem Ende des 20. Jahrhunderts IT-Landschaften begannen, komplexer zu werden und die Anforderung an die Vergabe von Berechtigungen stieg, wurden Identity Management-Lösungen entwickelt und eingeführt. Diese Systeme hatten und haben auch noch heute ihren Fokus auf die Administration der Nutzer und ihrer Rechte.
Aufgrund der immer weiter steigenden Bedrohungslage und den damit verbundenen strengeren Regularien reichen einfache Administrationslösungen in vielen Fällen nicht mehr aus. Auditoren und Wirtschaftsprüfer verlangen einen für sie verständlichen Einblick in die Vergabe von Benutzerberechtigungen. Hier helfen moderne Identity Governance-Lösungen.
Was ist Identity Governance?
Fast alle Sicherheitsregularien erfordern von Organisationen bezüglich der Verwaltung von Nutzern und ihren Berechtigungen die Beantwortung der folgenden drei Fragen:
• Wer hat Zugriff auf die IT-Ressourcen?
• Was kann er dort tun?
• Wie kann ich dies - insbesondere gegenüber Auditoren - nachweisen?
Während die ersten beiden Fragen durch eine herkömmliche Identity Administration Lösung beantwortet werden kann, stellt insbesondere der Nachweis der vergebenen Berechtigungen und der damit verbundenen Prozesse oftmals eine große Herausforderung dar. Zusätzlich besteht die Anforderung Identitäten und Berechtigungen in eine für die Fachbereiche verständliche Art und Weise darzustellen, was in der Regel nur von Identity Governance-Lösungen erfüllt wird. So gesehen beantworten diese Lösungen alle drei oben genannten Fragen in einer verständlichen Form.
Die Aufgabe von Identity Administration- Lösungen ist die Verwaltung der Identitäten durch die Abbildung des "User Life Cycles" in der Organisation. Identity Governance hingegen soll den Nachweis erbringen, dass die Nutzer die "richtigen" Rechte basierend auf den Richtlinien der Organisation haben. Beides sind Bestandteile des Identity Managements und werden gemeinsam oft als Identity Governance and Administration bezeichnet.
Ein formeller Nachweis der Umsetzung von Sicherheitsregularien für die Verwaltung der Nutzer dürfte - wenn überhaupt - nur sehr schwer zu führen sein. Aus diesem Grunde gehen Identity Governance Lösungen einen anderen Weg. Sie führen den Nachweis anhand von diversen Indizien. Welche Indizien dies sind und wie diese gesammelt werden, wird weiter unten erläutert.
Die Entwicklung von Identity Administration hin zu Identity Governance
Identity Management war lange Zeit IT-getrieben und nur für IT-Mitarbeiter wirklich zu verstehen. Es ging dabei im Wesentlichen um die Automatisierung der Benutzerverwaltung, wodurch zum einen Kosten gesenkt wurden aber auch zum anderen bereits die Sicherheit erhöht wurde. Auch hierdurch wurde schon viel im Hinblick auf die Einhaltung gesetzlicher und regulativer Vorgaben (Stichwort Compliance) erreicht.
Da diese Form des Identity Managements sehr IT zentrisch war, konnten Auditoren häufig nicht viel mit den erhaltenen Daten anfangen. Man konnte nie wirklich sicher sein, ob die Automatisierung wirklich dafür sorgte, dass die vorgegebenen Unternehmensregeln eingehalten wurden. Es fehlte die finale Kontrolle. Letztendlich ist aber z.B. der CISO für die Einhaltung dieser Regeln verantwortlich.
Der Begriff Identity Governance bzw. Identity Governance Framework fand 2006 das erste Mal Erwähnung. Richtig populär wurde er Ende 2011 durch die Einführung des "Identity and Access Governance Magic Quadrants" durch Gartner. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es nur ein "User Provisioning" Magic Quadrant, dass den Bereich Identity Administration abdeckte. Heute hat Gartner beide Magic Quadrants unter dem Begriff "Identity Governance and Administration" zusammengefasst.
Gründe für Identity Governance
Es gibt mehrere Gründe, weshalb Identity Governance wichtig wurde und immer mehr an Bedeutung gewinnt. Zum einen greifen immer mehr Benutzergruppen (Mitarbeiter, Partner, Kunden, …) über immer mehr Zugänge (Mobile, Cloud, …) auf eine immer komplexere IT-Umgebung zu. Zum anderen, und dies dürfte der ausschlaggebende Faktor sein, wurden durch die steigende Bedrohungslage immer strengere Compliance-Regularien eingeführt, die für immer mehr Unternehmen und Organisationen gelten. Diese Compliance-Regularien fordern unter anderem auch den Nachweis über die Nutzer und ihre Berechtigungen.
Identity Governance-Lösungen wurden aus Sicht der Fachbereiche und Auditoren entwickelt, um vergebene Berechtigungen aus ihrer Sicht und unabhängig von der IT transparent, nachvollziehbar und leichter administrierbar zu machen. Sie haben das Ziel, Geschäftsprozesse und Compliance Regularien besser umsetzen und nachweisen zu können.
Die nächste Evolutionsstufe ist das sich aus dem Identity Governance entwickeln-de Identity Analytics. Identity Analytics liefert einen tieferen Einblick in die im Unternehmen vorhandenen Nutzer, ihrer Rechte und deren Nutzung. Anhand von Maßzahlen, Verhalten und Kontext ist es möglich Vorhersagen über Nutzung und Risiken zu treffen und besser auf sich ändernde Bedingungen im Bereich der Benutzerverwaltung zu reagieren.
Funktionen von Identity Governance
Identity Governance Lösungen sollen den Nachweis erbringen, dass auf Nutzer und Berechtigungen bezogene Sicherheitsrichtlinien umgesetzt werden und damit die Nutzer die richtigen Rechte und nicht mehr Rechte als nötig haben. Identity Governance Lösungen liefern die für diesen Nachweis notwendigen Informationen. Dafür bieten diese Lösungen unter anderem die nachfolgend beschriebenen Funktionen.
1. Access Visibility
Grundlage auch für alle weiteren Funktionen ist zunächst die zentrale Sichtbarkeit der vergebenen Berechtigungen. Berechtigungen können Geschäftsrollen, IT-Rollen oder in Zielsystemen definierte Berechtigungsobjekte (z.B. Active Directory Gruppen) sein. Die Darstellung muss klar erkennbar machen, welche Rechte eine Person auf einem Zielsystem hat.
2. Access Certification
Da in aller Regel nicht sichergestellt werden kann, dass bei der Vergabe und dem Entzug von Rechten alles richtig läuft, muss deren Richtigkeit regelmäßig z.B. durch den Vorgesetzten oder Anwendungsverantwortlichen bestätigt werden. Identity Governance-Lösungen erlauben zu diesem Zweck die Definition von Rezertifizierungs-Kampagnen, die nach bestimmten Selektionskriterien die zu zertifizierenden Benutzer als auch deren Rechte umfassen können (z.B. nur bestimmte Abteilung, nur bestimmte Anwendung).Solche Kampagnen, die zentral überwacht werden können, stellen sicher, dass die Nutzer nur die notwendigen Rechte besitzen. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Anzahl der zu zertifizierenden Rechte überschaubar (z.B. durch Definition von sinnvollen Rollen) und für den Zertifizierer verständlich sind.
3. Separation of Duty
Eine Anforderung vieler Compliance Regularien ist die strikte Trennung bestimmter Aufgaben in der Organisation. So soll die gleiche Person in der Regel nicht Waren bestellen und die eingehenden Rechnungen bezahlen dürfen. Diese Anforderungen unterstützen Identity Governance Lösungen durch statisches Separation of Duty (SoD).
Statisches SoD bezeichnet die grundsätzliche durch Rechte gesteuerte Trennung von Aufgaben. Im Gegensatz dazu kann dynamisches SoD nur durch die Anwendung selbst realisiert werden, da hier der Kontext der einzelnen Transaktionen notwendig ist.
In vielen IDM-Systemen (Identity Management) wird SoD auf Basis der definierten Rollen beschrieben. Da Rollen aber schon für die Provisionierung von Rechten verwendet werden, sind sie oft komplex und für Auditoren und Wirtschaftsprüfer nicht zu verstehen. Die Prüfer denken anhand von Geschäftsaktivitäten. Moderne Identity Governance-Lösungen definieren SoD-Regeln deshalb auf Basis von Geschäftsaktivitäten.
Diese Geschäftsaktivitäten sind bei unterschiedlichen Unternehmen einer Branche häufig sehr ähnlich und können z.B. per EXCEL- Sheet, welches die Prüfer zur Verfügung stellen, importiert werden. Das Unternehmen muss nun nur noch die Aktivitäten auf ihre spezifischen IT-Rechte abbilden. Dies ist in der Regel deutlich einfacher und überschaubarer als die Definition von Rollen und stellt zugleich auch noch einen Kontrollmechanismus dar, der indirekt überprüft, ob die Rollen richtig definiert sind.
4. Role Management
Rollen werden eigentlich von Identity Administration-Lösungen für die effiziente Provisionierung von Rechten benötigt. Insbesondere aus zwei Gründen fällt aber die Verwaltung von Rollen auch in den Bereich Identity Governance.
Zum einen wird ein schlankes Rollenmodell benötigt, um die Anzahl zu rezertifizierender Rechte zu minimieren und damit überschaubar zu halten. Zum anderen setzt der Prozess des Rollenmanagement neben dem Wissen der IT auch tiefes Wissen in die Geschäftsprozesse voraus. Unterstützung erhält derjenige, der die Rollen modellieren muss, durch das sogenannte "Role Mining". Hierbei erzeugt die Identity Governance-Lösung Rollenvorschläge und stellt sie im besten Fall graphisch dar.
5. Risk Management
Bestimmte Rechte und Rechtekombinationen können für eine Organisation ein hohes Risiko darstellen. Dies können einzelne hochprivilegierte Rechte (Administrator, SAP_ALL, SYSTEM SPECIAL), Verstöße gegen SoD-Regeln oder ungewöhnliche Rechtekombinationen in einer Abteilung sein.
Risikomanagement läuft in mehreren Stufen ab:
Modellieren > Messen > Erkennen > Abschwächen
Zunächst wird das Risiko modelliert, d.h. es wird definiert, was ein Risiko darstellt. Nun wird überprüft, ob Risiken vorhanden sind. Dabei werden entsprechende existierende Risiken aufgedeckt. Im letzten Schritt werden für diese aufgedeckten Risiken sogenannte Mitigationen definiert. Dies ist notwendig, da man nicht alle Risiken beseitigen kann. Eine Mitigation schwächt bestehende Risiken durch geeignete Maßnahmen ab. Dies kann z.B. eine stärkere Kontrolle der zugehörigen Identität oder auch nur eine zusätzliche Genehmigung durch z.B. den CISO sein.
Die Risiko-Analyse hilft, kritische Stellen im Unternehmen aufzudecken und zu beseitigen.
6. Access Request
Identity Governance kann auch die Funktion "Access Request", also die Beantragung von Rechten umfassen. Dies ist nicht unbedingt notwendig, da diese Funktion durch die ggf. vorhandene Identity Administration Lösung abgedeckt wird. Access Request innerhalb von Identity Governance kann insbesondere dann in Frage kommen, wenn:
• Keine separate Identity Administration-Lösung im Einsatz ist
• Identity Governance und Identity Administration Aufgaben von den gleichen Personen ausgeführt werden
• Bei der Beantragung gleich SoD und weitere Risikobetrachtungen mit berücksichtigt werden sollen. Dieses präventive SoD bei der Beantragung von Rechten erhöht die Sicherheit und Compliance zusätzlich.
Regularien und Identity Governance
Gesetzliche Vorgaben, Compliance Regularien und interne Sicherheitsrichtlinien sind die wesentlichen Treiber für Identity Governance. Viele dieser Richtlinien fordern den Nachweis, dass die Personen die richtigen Rechte haben und damit, dass die Identity Management-Prozesse funktionieren.
ISO 27001 fordert z.B. dass das Management die Zugriffsrechte in den IT-Systemen in regelmäßigen Abständen überprüfen muss (A.11.2.4. Review of user access rights).
MaRISK fordert unter anderem Funktionstrennung (BTO 1.1/2.1, AT 4.3.1 (1)) und Vergabe der korrekten Rechte (AT 7.2 (2)).
Das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) fordert, dass nur berechtigte Personen auf personenbezogene Daten zugreifen dürfen und auch nur auf die, die sie für die Ausübung Ihrer Tätigkeiten unbedingt benötigen (§9 BDSG + Anlage 3.).
Die "Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD)" legt fest, dass ein internes Kontrollsystem aufgebaut werden muss, dass sowohl Zugangs- und Zugriffsberechtigungskontrollen sowie Funktionstrennung umfasst (6. Internes Kontrollsystem (IKS), Rz. 100).
Dieser kleine Ausschnitt von Regularien zeigt bereits, dass ein größeres Unternehmen ohne Identity Governance nicht mehr auskommt.
Fazit und Ausblick
Identity Governance ist in größeren Unternehmen aufgrund von Regularien nicht mehr wegzudenken. Identity Governance kann alleine oder in Kombination mit Identity Administration Lösungen eingesetzt werden.
Auch wenn Identity Administration das ältere Konzept ist und logisch gesehen die Basis von Identity Governance bildet, kann es trotzdem Sinn machen den Bereich Governance als einfacheren Schritt zuerst anzugehen, um Compliance-Anforderungen zu erfüllen und erst in einem späteren Schritt auch Identity Administration / Provisioning für Kosteneinsparung und Erleichterung der Administration einzuführen. Identity Governance ist deshalb einfacher einzuführen als Identity Administration, weil keine IDM-Prozesse abgebildet und auch nicht unbedingt alle Berechtigungen mit betrachtet werden müssen.