Ein großer schwarzer Hund kommt neugierig die Treppe herunter, um den Besucher zu begrüßen. Die Wände des langgestreckten Raumes sind aus rotem Backstein, unverputzt, unter der niedrigen Decke ziehen sich Holzbalken durch. Leises Stimmengewirr von vielleicht zwölf jungen Leuten vor ihren Monitoren füllt die Luft, an den Rücklehnen der Stühle Kapuzenpullis oder Baseball-Trikots mit "Jordan"- Aufdruck. "Möchten Sie Kaffee? Cappuccino?" fragt Felix van de Sand und angelt über einen Korb mit frischen Äpfeln und Bananen hinweg nach einer Tasse.
Wozu braucht dieser Jugendtreff noch einen Chief Happiness Officer?
"Weil wir hier nach dem Barcelona-Prinzip arbeiten", erklärt van de Sand. Der 34-Jährige ist Geschäftsführer der Münchener Digital-Agentur Cobe, die für Kunden wie Telefonica, die HypoVereinsbank oder Giesecke & Devrient tätig ist. Und so wie der FC Barcelona seine Spieler selbst heranzieht und möglichst bis Karriereschluss für sich kicken lässt, will Cobe die Mitarbeiter binden.
Dafür brauchen van de Sand und die anderen drei Geschäftsführer einen Chief Happiness Officer. Der heißt Johannes Deck, ist 30 Jahre jung und trägt klassisches Werbefritzen-Schwarz. Dass sein Titel das eine oder andere Schmunzeln provoziert, ficht Deck nicht an. Van de Sand auch nicht. "Über Gehälter können wir nicht mit den großen Agenturen um Talente konkurrieren", sagt der Firmenchef sachlich. "Also müssen wir einen anderen USP schaffen. Bei uns können sich die Mitarbeiter entwickeln, sie können sich Ziele setzen und auch erreichen." Und: sie sollen sich wohl fühlen. Daher der glücksverheißende Titel.
Der darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei Cobe Knowledge-Worker sitzen. Die Agentur will sich als Spezialist für digitale Identitäten verstanden wissen. Konkret: Auf Basis neuropsychologischer Erkenntnisse feilt Cobe für die Kunden an User Experience Design und Usability Engineering, entwickelt das User Interface Design und ganze digitale Marken-Strategien. Das geht nicht ohne werbefachliches und technologisches Know-how. Ohne Konzentrationsfähigkeit und Teamgeist auch nicht.
Kommunikation mit den Kollegen ist A und O
Deck sieht seine Bezeichnung denn auch nicht romantisch. Im Januar 2015 erst übernahm er die Position des Chief Happiness Officer, und bisher dreht sich seine konkrete Arbeit vor allem um Eines: Austausch. Deck spricht viel mit den Kollegen, fragt sie nach ihren Zielen, nach ihrer Motivation, danach, wie sie ihren Arbeitsalltag gestalten wollen. Eines seiner Ziele besteht zum Beispiel darin, für jeden Mitarbeiter einen individuellen Entwicklungsplan zu erstellen und Gratifikationsmodelle zu entwerfen, die die intrinsische Motivation der Kollegen abbilden.
Denn mit intrinsischer Motivation kennt sich Deck aus. Freimütig erzählt er, dass er nach dem Abi einfach nicht wusste, was aus ihm werden solle. Er startete eine Ausbildung im Einzelhandel - und zwar Lebensmittel. Eine Branche also, die für alles andere bekannt ist als die Förderung intrinsischer Motivation. Doch Deck hatte Glück, er landete bei einem privaten Kaufmann, nicht im Regiebetrieb. Der ließ ihn schon früh Verantwortung übernehmen. Mit der ungewöhnlichen Konsequenz, dass Deck unmittelbar nach Lehrabschluss die Leitung einer Filiale übernahm.
Nach verschiedenen Stationen bei Edeka, der Bio-Kette Basic und als selbstständiger Kioskbetreiber kam Deck schließlich zu Dohle, wo er ein Team von rund hundert Leuten managte. Und 60 bis 80 Stunden pro Woche arbeitete. Dort zählte nur die Marge. Was nicht so sehr an Dohle liegt, sondern vielmehr am Lebensmitteleinzelhandel allgemein. Dass es Deck gelungen war, ein homogenes Team zu schaffen, das ohne Top-Down-Strukturen funktionierte, wurde nicht gewürdigt. Dies und der ständige Arbeitsdruck zu Lasten des Privatlebens - sofern überhaupt noch vorhanden - brachten den jungen Manager in eine Depression.
Die hat Deck fachärztlich behandeln lassen und sich erst einmal eine Auszeit genommen. Über das private Umfeld bekam er Kontakt zu Cobe und übernahm die Leitung einiger Projekte. Bis van de Sand und die anderen Chefs ihm den jetzigen Job anboten. "Wir hatten uns gefragt: wie soll unsere Agentur aussehen?", erzählt van de Sand. Alle heutigen Cobe-Chefs hatten bei den Dickschiffen der Design- und Werbebranche gearbeitet und festgestellt: sie wollen es anders machen.
Geringe Fluktuation ist das Ziel
Anders heißt vor allem, die Mitarbeiter in den Fokus zu stellen. Dass es für Decks Job als Chief Happiness Officer kaum Metriken gibt, kann van de Sand akzeptieren. Ihm ist eine geringe Fluktuation wichtig. Erfolg ist, wenn seine Mitarbeiter Abwerbeversucher des Wettbewerbs zurückweisen.
Deck unterstützt das mit ganz handfesten Mitteln. Gerne treffen sich die Cobe-Kollegen am Wochenende zum Sport. Wer mag, kann morgens gemeinsam mit den anderen zwanzig Minuten lang meditieren. Das mindert Stress und fördert Teamgeist. Kandidaten für einen Job kommen abends vorbei, und dann wird erst einmal gemeinsam gekocht, um zu gucken, ob die Soft Skills zusammenpassen.
Stichwort neue Job-Kandidaten: Recruiting ist ein großer Teil von Decks Arbeit. Er wird neue Recruiting-Modelle entwickeln und baut Netzwerke in Berufsschulen und Universitäten auf. Dort Workshops zu halten und junge Leute zu treffen, versteht er als gelebtes Employer Branding. Social Media ist dabei ebenso so wichtig wie dezidierte Recruiting-Plattformen, etwa Careerdate.
Binnen fünf Jahren, sind van de Sand und Deck überzeugt, wird sich die Position eines Chief Happiness Officer in Deutschland weiter etabliert haben. In den USA ist der Titel schon heute nicht ungewöhnlich, und die Generation Y, zu der die beiden jungen Männer sich zählen, verlangt auch hierzulande ein Umdenken. Monetäre Anreize verlieren, die Frage nach dem Sinn der Tätigkeit gewinnt. Gerade bei den ganz jungen Cobe-Kollegen kann man das beobachten, so van de Sand. Dass Decks morgendliche 20-Minunten-Meditation auch von den Azubis so gut angenommen wird, hätte er nicht gedacht.
Doch letztlich sieht der Agenturchef die Dinge prosaisch: "Natürlich wird sich der Chief Happiness Officer durchsetzen", sagt er. "Die Kassen können die vielen Burnout-Erkrankungen in Deutschland nicht mehr bezahlen."