Wer Tom Enders treffen will, hat in seinem Büro in der Konzernzentrale am Flughafen im südfranzösischen Toulouse selten Erfolg. Anfang der Woche besucht der Chef des größten europäischen Luftfahrtkonzerns, der Airbus Group, meist ein Werk am Firmensitz oder konferiert dort mit Vorständen und Mitarbeitern. Mitte der Woche besucht der 55-Jährige dann ein paar der 180 Betriebsstätten des Konzerns oder trifft Politiker und wichtige Kunden. Und Ende der Woche reist der Vater von vier Kindern meist in die Airbus-Deutschland-Zentrale nach München, um von dort zur Familie an den Tegernsee zu fahren - sei es zur gemeinsamen Bergwanderung oder nur zu einem Tegernseer Hell aus einer Brauerei des ehemaligen bayrischen Königshauses Wittelsbach.
"Wir alle haben ja schon einen höllischen Zeitplan", seufzt Marwan Lahoud, Marketing- und Strategievorstand der Airbus-Gruppe, voller Respekt. "Aber Tom legt da noch eins drauf."
Die Omnipräsenz ist Enders' Programm und Erfolgsrezept. Er führt den Konzern nicht einfach nur, was schon mit der schwerste Job in Europa wäre. Wohl kein Unternehmen ächzt dermaßen unter hochriskanten neuen Produkten, argwöhnischen deutschen und französischen Mitarbeitern sowie unter drohenden Einmischungen der Regierungen, in diesem Fall in Paris und Berlin.
Airbus prosperiert wie nie zuvor
Vielmehr lenkt Enders und baut Airbus gleichzeitig unablässig um, seit er 2012 den Steuerknüppel von seinem französischen Vorgänger Louis Gallois übernahm. In diesen zwei Jahren ist Enders nicht weniger gelungen, als Airbus neu auszurichten und aus einem technikverliebten Firmenkonvolut ein modernes, gewinnorientiertes Unternehmen zu formen, das seine Möglichkeiten effektiver denn je nutzt, ohne jeden Tag die Intervention einer Kanzlerin von der Spree oder eines Staatspräsidenten von der Seine fürchten zu müssen. "Airbus geht es derzeit besser denn je", sagt Richard Aboulafia, Analyst der auf die Branche spezialisierten Marktforscher Teal Group aus den USA.
Wie hat der drahtige Typ mit dem schütteren Haar und dem Major in der Vita das geschafft?
Für Außenstehende steht über allem, dass Enders einen Managementstil entwickelt hat, der militärische Attribute wie schnelle Entscheidungen geschickt vereint mit vermeintlich weichen Fähigkeiten, wie Verantwortung zu delegieren, offen zu diskutieren sowie menschliche Umgangsformen zu pflegen, statt sturen Gehorsam zu verlangen.
"Enders ist das Beste, was Airbus passieren konnte", sagt Heinz Schulte, Chef des Branchen-Informationsdienstes Griephan. Und Brent Scowcroft, ehemals Sicherheitsberater von drei US-Präsidenten und heute Berater in Washington, assistiert: "Mit seiner Art zu führen ist Tom ein Vorbild für die ganze Branche - und auch weit darüber hinaus."
Viele Startprobleme
Danach sah es am Beginn der Regentschaft des Deutschen bei EADS, wie die Airbus Group damals noch hieß, nicht aus. Im Sommer 2012, gleich nach Enders Antritt, rappelte es fundamental im Konzern. Die Auslieferung des Langstreckenflugzeugs A350, das gegen den Dreamliner 787 von Boeing anfliegen soll, verspätete sich beträchtlich, der Aktienkurs sank. Die Fusion mit dem britischen Rüstungskonzern BAE, von Enders als großer Wurf gegen die US-Konkurrenz gepriesen, scheitert nach einer medialen Schlammschlacht mit der Bundesregierung. Weitere Fehler hätte Enders sich nicht leisten können.
Das hat er auch nicht. "Seitdem gab es fast keine Schlagzeilen mehr - und wenn, dann nur davon, wie Enders den Konzern umbaut", lobt Cay-Bernhard Frank von der Beratung A.T. Kearney.
Enders beherzigte, was er in Management-Büchern hätte finden können, jedoch aus eigenem Antrieb richtig machte. Als Erstes gelang ihm, die Eigentümer zu befrieden und den lähmenden Einfluss der Regierungen Deutschlands und Frankreichs zu minimieren. Dazu überzeugte er die Mächtigen beider Länder, dass sie sich künftig mit jeweils rund elf Prozent der Aktien begnügen und keinen direkten Abgesandten in den Aufsichtsrat hieven. Um die Regierungsferne zu betonen, verlegte er die Konzernzentrale nach Toulouse, für die Mächtigen in den Metropolen die totale Provinz.
Erfolg ohne Eigenlob
In der Außenwirkung stärkte Enders den Luft- und Raumfahrtgiganten wiederum, indem er den sperrigen Konzernnamen EADS durch die wohlklingende Bezeichnung für die zivilen Flugzeuge des Konzerns, also Airbus, ersetzte.
Trotz des Erfolgs fliegt Enders zeit seines Cheflebens konsequent tief und bekämpft jede aufkeimende Champagnerlaune. Im Gegensatz zu anderen erfolgreichen Managern verzichtet er auf Eigenlob in Form bunter Hochglanzbroschüren, Imagevideos und Presseinterviews, mit denen sein Vorgänger Gallois fast im Wochentakt selbst bescheidene Fortschritte vortrug. "Für Dinge wie Pomp und Personenkult ist Enders angesichts der vielen ungelösten Probleme wohl die Zeit zu schade", so Scott Hamilton, Inhaber der US-Beratung Leeham.
Vielmehr hat der Sohn eines Schäfers offenbar den langen Atem als Verhaltensmaxime ausgegeben. Die Armeen Europas ordern weder neue Jagdflieger noch unbemannte Drohnen oder Raketensysteme. In der Raumfahrt graben Billiganbieter wie der US-Elektroauto-Pionier Elon Musk mit seinen Space-X-Raketen Airbus Geschäft ab. Bei den großen Langstreckenjets bringt derzeit nur eines von drei Airbus-Modellen Geld. Und bei den kleineren Maschinen beenden neue hoch subventionierte Wettbewerber aus China, Japan oder Russland in spätestens zehn Jahren das einträgliche Duopol mit Boeing. Da wäre Jubel fehl am Platz. "Unser Wandel steht erst am Anfang und wird wohl nie richtig zu Ende gehen", sagt Airbus-Personalvorstand und Enders' Altvertrauter Thierry Baril stellvertretend für seinen Chef.
Konzernumbau mit filigraner Strategie
Flüchtigen Betrachtern erscheint Enders' Offensive beim Umbau wie ein konventionelles Standardsparprogramm inklusive massiven Jobabbaus. Doch die Strategie des Airbus-Chefs ist viel filigraner. "Herr Enders agiert trotz aller lauten Töne wesentlich ausgefuchster und flexibler, als Außenstehende oft glauben, nicht zuletzt bei Reizthemen wie Arbeitsplatzabbau, wo er am Ende Kompromisse wie Jobgarantien akzeptiert, wenn das beiden Seiten dient", sagt Bernhard Stiedl, Beauftragter der Gewerkschaft IG Metall für den militärischen Teil des Airbus-Konzerns.
Die differenzierte Geschmeidigkeit erlaubte Enders, ohne Rücksicht auf Einsprüche der Regierungen unrentable Produktion wie die Rüstung in Bayern herunterzufahren. In gleicher Manier packte er Teile des Weltraumgeschäfts in ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem französischen Staatskonzern Safran. Und auch mehr Fertigung in Billiglohnländern setzt er ohne allzu großen Widerstand durch.
Enders hat Erfolg, nicht indem er lieb Kind sein will, sondern sich Respekt verschafft. Statt sich Berlin als Wahrer deutscher Interessen zu empfehlen, feuerte er nicht nur den deutschen Chef des heutigen Airbus-Rüstungsgeschäfts Stefan Zoller. Auf den Stopp der geplanten Fusion mit BAE durch die Bundesregierung im Herbst hin entschied Enders auch, die vor allem in Deutschland ansässige Kriegsgeräteproduktion herunterzufahren. "Das hat uns überzeugt, dass Enders es ehrlich meint", lobt ein führender französischer Gewerkschafter.
Seine Überzeugungskraft bei den Airbus-Managern steigert Enders, indem er die Begeisterung für die Branche persönlich verkörpert. Der Ex-Offizier hat einen Pilotenschein für Hubschrauber und springt aus allem, was fliegt. Als er sich im Sommer 2012 beim Aufprall auf der Erde die Sehnen zerrt und den Arm in der Schlinge tragen muss, sagt er: "Ich bin halt härter, als alle glauben." Das erhöht sein Ansehen in der Belegschaft als volksnaher Anführer.
Dabei sucht er bewusst über alle Hierarchiestufen die Nähe zu den 144000 Beschäftigten. Er startet auf Halbmarathon-Läufen, die die Mitarbeiter organisieren. Wenn er Werke besucht, startet er mit einem Frühstück in Jeans und offenem Kragen. Im Airbus-Intranet meldet er sich mit Beiträgen in Tom's Blog.
Enders verwandelt Gegeneinander in Miteinander
Enders hat aus dem Milliardenfiasko zu Beginn des Super-Airbus A380 gelernt, als Probleme in der Produktion teure Verspätungen bei der Auslieferung verursachten. Seitdem weiß er, wie wichtig ungefilterte Rückmeldungen aus der Belegschaft anstelle von Pseudoerfolgsmeldungen des mittleren Managements sind. "Weil Probleme bei Airbus wenn überhaupt verspätet oder gefiltert zu den Chefs drangen, will Enders genau wissen, woran es hakt und wie es besser gehen könnte", sagt Shakeel Adam, Inhaber der Unternehmensberatung Aviado Partners aus Eschborn bei Frankfurt. Zu diesem Zweck ermuntert der Airbus-Chef Mitarbeiter sowie die Leser seines Blogs, ihm Kommentare und E-Mails zu schreiben. "Die beantwortet er, was viele erstaunt, sehr oft selbst sowie klar und deutlich, wie es seine Art ist", sagt Airbus-Strategiechef Lahoud.
Diese offene Diskussion praktiziert Enders bis in die Vorstandssitzungen. "Tom will vor einer Entscheidung alle Aspekte beleuchten und ruht erst, wenn er das geschafft hat", sagt Bernhard Gerwert, Leiter der Airbus-Rüstungs- und Raumfahrtsparte. Trotzdem dauern die Sitzungen nicht länger. "Früher wurde gerne eine Agenda voller vorab ausgetüftelter Kompromisse, Pro-forma-Wortmeldungen und langer Präsentationen abgearbeitet", sagt Airbus-Finanzchef Harald Wilhelm. "Jetzt wird wirklich diskutiert, bis wir eine Sache endgültig im Team entscheiden." Allerdings verlangt Enders, dass alle Teilnehmer Entscheidungen mit Leib und Seele mittragen.
Das frühere Gegeneinander verwandelte Enders in ein Miteinander, indem er seinen direkt Unterstellten (im Konzernjargon "minus 1s") mehr Verantwortung sowie Freiheit bei der Umsetzung von Projekten gibt. Auf diese Weise hat er zum Beispiel den Chef der Ziviljetsparte, Fabrice Brégier, für sich gewonnen. Der Franzose hätte sich laut Insidern vor zwei Jahren selbst die Konzernführung zugetraut. Um ihn zu halten, gab ihm Enders die Zuständigkeit für den neuen A350-Jet, der Airbus' Rolle im Langstreckengeschäft sichern soll. Unter Enders genössen Top-Manager "hohes Zutrauen", sagt Finanzchef Wilhelm. Stimme die Leistung nicht, sei das aber "auch schnell aufgebraucht", und der Betroffene könne sich einen neuen Job suchen.
Gleichwohl erwartet Enders nicht Ergebnisse um jeden Preis. Fast ebenso wichtig sind ihm fairer Umgang und Zusammenarbeit über die Grenzen des eigenen Teams. Um dies zu befördern, hat Enders 2500 Sport- und sonstige Events aufgelegt, um den Teamgeist zu stärken. Jeder Mitarbeiter muss sich vor seiner Beförderung einem Test stellen, bei dem hochrangige Manager und Experten von außerhalb des Konzerns prüfen, ob der Kandidat zum Chef und Teamplayer taugt. Zudem bietet Airbus neben dem klassischen Aufstieg noch eine Expertenkarriere, bei der besonders talentierte Ingenieure und Spezialisten eigene Felder in der Forschung und Entwicklung ohne große Personalverantwortung erhalten.
Mit dem Kick von draußen
Seit Enders Airbus regiert, macht er den Konzern trotz seiner vier Heimatländer Deutschland, Frankreich, Spanien und Großbritannien noch internationaler und vielfältiger. Dazu muss Personalchef Baril bevorzugt Mitarbeiter aus anderen Ländern und Branchen suchen. "Das bringt uns neben neuen Ideen vor allem ein Ende der deutsch-französischen Gegensätze und animiert sogar die etwas egomanen Absolventen französischer Eliteschulen zu mehr Kreativität und Teamgeist", meint ein Insider.
Den Kick von draußen braucht Enders auch, um die Produktion zu globalisieren. Hubschrauber und Passagierflugzeuge werden bereits in Übersee gebaut. Nun soll die Rüstungssparte folgen und statt heute ein Viertel künftig gut 40 Prozent ihrer Einnahmen außerhalb Europas erzielen. Dazu wird Airbus Töchter etwa in Brasilien, Singapur oder Indien gründen und dort bis zu 10000 Leute beschäftigen. "Heute erwarten die Auftraggeber bei einer Bestellung im Gegensatz zu noch vor fünf Jahren nicht nur eine Produktion, sondern auch eine Entwicklung der Produkte vor Ort", sagt Spartenchef Gerwert. "Und wir sollen auch in der Lage sein, bestimmte Märkte aus diesen Ländern heraus zu bedienen."
Ob Enders' Kulturwandel ausreicht, um Airbus ausreichend zu stärken, will niemand beschwören. Doch auf dem richtigen Weg sehen ihn alle. "Enders hat das Eis gebrochen", sagt Experte Schulte. "Auch wenn die Fahrrinne gelegentlich frei gehalten werden muss, ist das Gröbste wohl geschafft."
(Quelle: Wirtschaftswoche)