Die Grenzen verschwimmen. Was lange Zeit recht streng aufgeteilt war in interne IT-Infrastruktur auf der einen Seite und Hosting- oder Outsourcing-Dienste auf der anderen, bricht nun auf. Der simple Grund: So wie viele professionelle Anwender den Vorteil neuer interner IT-Services erkannt haben, die mit virtualisierten Servern, Netzwerken und Desktops möglich sind, so müssen auch die klassischen Dienstleister Veränderungen an ihren Angeboten vornehmen.
Ohne Umstellung der Service-Angebote würden ihnen womöglich die Kunden davon laufen. Um das zu vermeiden, setzen sie auf die neuen Flexibilisierungsmöglichkeiten, die ihnen Virtualisierungs- und Cloud-Systeme bieten. Mit ihnen erreichen sie eine größere Bandbreite an Dienstleistungen, weil sie im Vergleich zum Status quo weniger physikalische Ressourcen vorrätig halten müssen.
"Auf Knopfdruck" ist etwas übertrieben
Immer dann, wenn Kunden plötzlich neue Kapazitäten selbst für einen kürzeren Zeitraum benötigen, ist dies mit den neuen Technologien einfacher und schneller zu bewerkstelligen. Vielleicht nicht "auf Knopfdruck“, wie manche Hersteller im Marketing-Überschwang übertreiben, aber doch wesentlich komfortabler als bisher: Man hat ja bereits "virtuelle“ Ressourcen und Service-Modelle eingerichtet, die man über das Netzwerk zur Verfügung stellen kann.
Die Entwicklung lässt sich gut beobachten am Beispiel von Orange Business Services (OBS), der auch in Deutschland aktiven B2B-Dienstleistungstochter von France Telecom. Zu den deutschen Kunden zählen unter anderen Allianz, Siemens sowie das deutsche Außenministerium mit seinen internationalen Netzwerkverbindungen, für die höchste Sicherheitsstufen garantiert werden müssen. Orange reklamiert für sich, mit BT, AT&T und Verizon zu den "Big Four“ in der Branche zu zählen. Andere Anbieter wie NTT, Telesenora, Syntel, Reliance oder T-Systems sind dagegen mehr regional ausgerichtet. Allen gemeinsam ist die Strategie, ihr Service-Geschäft auf der Grundlage von Virtualisierungs- und Cloud-Modellen umzumodeln.
Historisch ist OBS stark gewachsen durch die Übernahme von Equant, einem weltweit ausgerichteten Netzwerkanbieter für Unternehmen. Der ehemalige Equant-Anteil macht noch immer einen Großteil des Geschäftsumfangs aus. Allerdings, wie CEO Vivek Badrinath einräumt, mit langsam sinkenden Prozentzahlen. Das liege an der zunehmenden Konkurrenz zwischen den großen weltweiten Playern, die auch über den Preis ausgetragen werde, und den geänderten Ansprüchen der Kunden, die über den Basistransport hinaus nach weiteren Dienstleistungen verlangen.
Die neue Service-Strategie von Orange
Eine äußerst starke Position besitzt Orange durch den mit Equant übernommenen Kunden SITA. Für diese Organisation der internationalen Luftfahrtindustrie, Fluggesellschaften und Flughäfen managt man weiterhin den Netzwerkverkehr und IT-Dienste. Ende letzten Jahres wurde der Vertrag mit der SITA um weitere acht Jahre verlängert. Dies gibt OBS ein relativ stabiles Standing in der Konkurrenz unter den "Big Four“.
Dennoch arbeitet man an einer neuen Service-Strategie: Mit Managed Services auf Netzwerk- und Unternehmensebene will man in Richtung Applikationen expandieren. Auf der Grundlage von Virtualisierungs- und Cloud-Technologien könne auch sein Unternehmen diesen Weg gehen, erklärt Badrinath im Gespräch mit CIO.de Drilldown Virtualisierung. Der CEO sieht auch einen zunehmenden Bedarf für weitere Services, da neue mobile Geräte und der Ausbau von weltweiten Kommunikations- und Collaboration-Tools (E-Mail, File Sharing, Voice & Video) eine funktionierende Netzwerk-Infrastruktur über alle Kontinente hinweg verlangten.
Gleichzeitig will man die vorhandene Netzwerk-Infrastruktur ausbauen, um für die neuen Handelsströme, die sich mehr von Europa und USA nach Asien, Südamerika und Afrika verlagern, gerüstet zu sein. Badrinath kann sich auf die Expertise zahlreicher Analysten stützen, die vor allem Indien und China ein zunehmendes Gewicht in der Weltwirtschaft zusprechen. Und er verweist darauf, dass gerade OBS im asiatischen Raum gut verankert ist.
Stark in Asien vertreten
Wie Paul Joyce, zuständig für die globalen Orange-Rechenzentren, berichtet, habe man "Cloud operations“ schon vom indischen Standort in Gurgaon bei New Delhi aus durchgeführt. Hier könne man auch auf sehr gut ausgebildete und flexible Fachkräfte zurückgreifen – eine wesentliche Voraussetzung für solche höherwertigen Dienste. Orange Business Services, so Joyce, verstehe die notwendige Transformation als Umbau im Sinne von "Infrastructure as a Service“. Man wolle sich nicht an den verschiedenen Deutungsvarianten von "Cloud“ beteiligen. Es gehe schlicht um mehr und feiner abgestufte Dienstleistungen auf allen Stufen des IT-Stacks.
Um "Big Data“ will man sich ebenfalls kümmern. Orange will den Kunden dabei helfen, Mehrwert aus ihren verstreut gespeicherten unstrukturierten Daten zu ziehen. Hierzu ist man Kooperationen mit EMC und anderen Spezialisten eingegangen. Beschlossen ist auch der Aufbau eines neuen Rechenzentrums zusammen mit SITA, um dort neue Services und Auswertungen von Kundendaten umzusetzen. Ungeklärt sei noch, heißt es bei Orange, in welchem Umfang man hierzu eigene Consulting-Angebote aufbauen muss. Man sei sich über eine solche Notwendigkeit im klaren, suche aber noch nach der angemessenen Realisierungsmöglichkeit.
Orange-Allianz mit Cisco, EMC und VMware
Um die Virtualisierungs- und Cloud-Strategie auf sichere Füße zu stellen, ist OBS mit Cisco, EMC und VMware die Allianz "Flexible 4 Business“ eingegangen. Die Cloud-Services bedienen sich der so genannten Vblock Infrastructure Packages. Diese werden im Rahmen des von den drei Herstellern gebildeten Virtual Computing Environment (VCE) vermarktet: Vblocks sind große Racks, voll gepackt mit Cisco-Servern und -Switches, EMC-Speicher und Virtualisierungs-Software. Andere Hersteller bieten ähnliche, aufeinander abgestimmte Stacks im Rahmen ihrer "Converged Infrastructure“ an (HP, IBM und Oracle).
Neben private Clouds will OBS in Zukunft Backup-, Security- und Unified-Communications-Lösungen offerieren. CEO Badrinath verweist auf die Erfahrungen mit den zehn weltweiten Rechenzentren und der Netzwerk-Infrastruktur, mit denen man bereits über einen hohen Sicherheitsstandard verfüge. Für das Jahr 2011 konnte man trotz diverser Umweltkatastrophen – von Japan bis Thailand – und von Unruhen in den arabischen Ländern eine Verfügbarkeit der weltweiten Netze von 99,9982 Prozent garantieren. Auf das ganze Jahr berechnet entspreche das einer Ausfallzeit von lediglich 20 Minuten. Selbst in Ägypten oder Tunesien sei es zu keinen ernsthaften Ausfällen gekommen.
"Wir verlieren Tag für Tag Teile unseres klassischen Geschäfts“
Badrinath konzediert: "Wir verlieren Tag für Tag Teile unseres klassischen Geschäfts.“ Um sofort hinzuzufügen: "Aber wir werden es durch neue Geschäftsfelder ersetzen.“ Im Unterschied zu einigen der Mitbewerber verfügt man schon über international operierende Kunden und kennt sich auf den asiatischen Märkten aus. Ob die Rechnung auch bei den auf Virtualisierung und Cloud basierten neuen Service-Angeboten aufgehen wird, steht auf einem anderen Blatt. Aber vielleicht sollte man nur die Preise etwas senken - die Kunden würden es goutieren.