Herr Hesse, bevor ich eine Bewerbung schreiben kann, muss ich erst mal das richtige Stellenangebot finden. Wo sollte ich suchen?
Jürgen Hesse: Online-Stellenbörsen werden immer wichtiger, weil mittlerweile selbst der Bäckermeister seine Verkäuferinnen via Internet sucht. Dennoch sollten gerade Spezialisten auch einen Blick in Fachzeitschriften werfen. Das kann das kostenlos verteilte Anzeigenblättchen sein, wo die Aushilfsverkäuferin gesucht wird, das kann die Verbandszeitschrift des deutschen Sekretärinnenbundes sein oder die wissenschaftliche Publikation Medizin heute.
Ein dritter Weg, den viele vernachlässigen, ist das persönliche Netzwerk. Reden Sie mit ehemaligen Kollegen, Vorgesetzten und Bekannten. Das ist unglaublich ergiebig.
Eine ansprechende Stelle ist gefunden. Aber ich erfülle nicht alle Suchkriterien. Wann sollte ich mich dennoch bewerben?
Jürgen Hesse: Es gibt natürlich Jobs für die brauchen Sie eine Art Lizenz. Sie können nicht Medizin studiert haben und auf einmal als Rechtsanwalt arbeiten wollen. Das funktioniert natürlich nicht.
Aber ...
Jürgen Hesse: Im Beruf ist es wie in der Liebe. Jeder hat ein Bild vom Traumprinzen oder der Traumprinzessin, aber der eigene Partner wird dieses Bild nicht absolut erfüllen. Deshalb rate ich Bewerbern, die 50 oder 60 Prozent der Anforderungen erfüllen, sich trotzdem zu bewerben. Das Meiste lernen Sie sowieso, wenn Sie schon angestellt sind.
Sie haben eben von Lizenzen gesprochen - also letztendlich Urkunden und Zeugnisse. Muss ich mein Universitätsdiplom und mein Abiturzeugnis bei jeder Bewerbung einreichen?
Jürgen Hesse: Wenn Sie ein 50-Jähriger Ingenieur sind, der 25 Jahre Berufserfahrung hat, wirkt es eher lächerlich das Abiturzeugnis einzusenden. Als Richtlinie würde ich sagen, dass nach zehn Jahren Berufserfahrung kein Arbeitgeber mehr das Universitätsdiplom oder sogar das Abiturzeugnis sehen möchte. Wenn doch, können Sie es immer noch nachreichen.
Schlechte Zeugnisse erklären
Kann ich Arbeitszeugnisse, die nicht gerade schmeichelhaft sind, einfach weglassen?
Jürgen Hesse: Davon rate ich ab, da das eher misstrauisch macht. Reichen Sie von Ihren letzten fünf Arbeitszeugnissen Nummer drei und vier nicht ein, wird der Personaler ziemlich sicher danach fragen.
Das heißt, auch ein schlechtes Zeugnis einreichen?
Jürgen Hesse: Meistens sind sowieso nur die letzten drei Zeugnisse beziehungsweise die letzten zehn Jahre relevant. Ist da eine Bewertung dabei, die Sie in ein schlechtes Licht rückt, empfehle ich damit offen umzugehen.
Das bedeutet?
Jürgen Hesse: Verfassen Sie eine Stellungnahme und legen Sie diese dem Arbeitszeugnis bei. Darin können Sie sich erklären.
Ein zentraler Bestandteil jeder Bewerbung ist der Lebenslauf. Was sind hierfür Ihre drei wichtigsten Tipps?
Jürgen Hesse: Erstens: Unterschreiben Sie Ihren Lebenslauf mit Vor- und Zunamen. Damit bürgen Sie nochmal zusätzlich für die Richtigkeit Ihrer Angaben und schaffen Vertrauen. Zweitens: Der Lebenslauf ist mehr als eine Auflistung der bisherigen beruflichen Stationen. Schreiben Sie jeweils auf, was Ihre Aufgaben und die erzielten Ergebnisse waren. Der Lebenslauf ist eine Art Speisekarte. Dem Leser muss das Wasser im Mund zusammenlaufen und sagen: Ja, genau das will ich!
Wie lautet Tipp Nummer drei?
Jürgen Hesse: Das ist der Wichtigste von allen. Der Mensch ist sehr emotional und lässt sich häufig eben doch von seinem ersten optischen Eindruck treiben. Ein außergewöhnliches Deckblatt, die Schrift in Königsblau oder spezielles Papier können einen positiven Eindruck hinterlassen. Ein sympathisches Bewerbungsfoto ist das A und O.
Teure Fotos sind ein Muss
Worauf muss ich bei diesem so entscheidenden Foto achten?
Jürgen Hesse: Sparen Sie nicht an den Bewerbungsfotos. Zwischen 50 und 150 Euro sollten Sie dafür schon ausgeben. Der Fotograf sollte sich Zeit für Sie nehmen und mit Ihnen über Ihre Erwartungen sprechen. Nehmen Sie verschiedene Outfits mit. Mit Krawatte, ohne Krawatte, mit Jackett oder nur im Hemd. Schwarz-Weiß Fotos sind nach meiner Erfahrung besser für Bewerbungen geeignet.
Warum?
Jürgen Hesse: Weil der Betrachter sich den Kandidaten nochmals vorstellten muss - vor seinem inneren Auge - und diese Leistung zu noch mehr Sympathiezuschreibung führen kann. Und Sympathie ist die Basis von Vertrauen und Vertrauen die Basis von Zutrauen. Darum geht es ja schlussendlich, dass Ihnen zugetraut wird, Sie können den Job.
Gehören Hobbys in den Lebenslauf?
Jürgen Hesse: Unbedingt. Der Vorgesetzte möchte schließlich wissen, mit wem er es zu tun hat und Sie können damit Ihr Image beeinflussen. Hierbei geht es um Sympathie und nicht um gut oder schlecht. Listen Sie Golf spielen oder Fechten bei Ihren Hobbys auf, findet der eine das snobistisch, der andere teilt Ihr Interesse vielleicht sogar.
Auch die Bewertung der eigenen Sprachkenntnisse stellt viele Bewerber vor Herausforderungen. Was tun?
Jürgen Hesse: Waren Sie längere Zeit im englischsprachigen Ausland, können Sie in den meisten Fällen getrost verhandlungssicher oder fließend schreiben. Sie können sich auch mit Schulnoten von sehr gut bis befriedigend einschätzen. Ausreichend sollten Sie nicht schreiben - dann doch lieber Grundkenntnisse. Das hört sich besser an.
Overdressed ist besser als underdressed
Gibt es auch für das Anschreiben wichtige Tipps?
Jürgen Hesse: Natürlich. Finden Sie heraus, an wen das Anschreiben geht. Eine personalisierte Anrede ist immer besser als "Sehr geehrte Damen und Herren". Außerdem sollte das Schreiben kurz gehalten werden und nach dem Prinzip "Ich-Du-Wir" verfasst werden. Im Idealfall stellt das Anschreiben eine Kurzzusammenfassung dar, wer ich bin, was ich geleistet habe und was ich für den neuen Auftraggeber gerne tun möchte.
Was noch?
Jürgen Hesse: Am Ende des Anschreibens kann es nicht schaden, ein kleines P.S. einzubauen. Denn an solchen Formeln bleibt das menschliche Auge hängen. Da könnte zum Beispiel stehen:
Über Ihren Webauftritt würde ich sehr gerne mit Ihnen ins Gespräch kommen, denn ...
Oder: Zu Ihrem neuen Projekt, über das ich gelesen habe, würde ich gerne anmerken ...
Nehmen wir an ich habe Ihre Ratschläge befolgt und werde zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Was ziehe ich an?
Jürgen Hesse: Das ist in der Tat sehr wichtig. Bei uns hat sich mal jemand in kurzen Hosen vorgestellt. Das geht überhaupt nicht - egal wie warm es draußen ist. Auch die Damen sollten sich nicht zu freizügig kleiden. Sexy Tops sind beim Vorstellungsgespräch unangebracht und wirken unseriös. Dennoch gibt es Unterschiede. Ein Banker wird sich anders kleiden als der neue kreative Kopf einer Marketingagentur. Im Zweifelsfall lieber overdressed als underdressed. Ansonsten gilt: schlichte Eleganz.
Auf welche Fragen sollte ich auf jeden Fall vorbereitet sein?
Jürgen Hesse: Ganz klar die Klassiker: Warum bewerben Sie sich bei uns? Und: Warum sollen wir uns für Sie entscheiden? Aber auch: Erzählen Sie uns etwas von sich? Dabei ist es wichtig innerhalb von zwei oder drei Minuten ein ausdruckstarkes Bild von sich selbst zu zeichnen und auf den Punkt zu kommen. Sie sollten dabei immer herausstellen, was Sie dem Unternehmen bieten können.
Nachfragen per E-Mail
Vor allem Berufseinsteiger tun sich schwer, wenn es um die Gehaltsvorstellung geht. Wie finde ich heraus, wie viel angemessen ist?
Jürgen Hesse: Mit ein bisschen Recherche im Internet sollte das kein Problem sein. Es gibt sehr gute Gehaltsrechner mit realistischen Einschätzungen je nach Branche, Region und Unternehmensgröße.
Am Ende des Vorstellunggesprächs wird oftmals gefragt, ob der Bewerber noch Fragen hat. Was sollte ich in diesem Fall ansprechen?
Jürgen Hesse: Stellen Sie inhaltliche Fragen. Zum Beispiel: Welche Aufgaben kurz -, mittel- und langfristig auf Sie zukommen würden. Damit zeigen Sie, dass Sie sich vorbereitet haben und am Job interessiert sind. Fragen nach Überstundenregelung oder Urlaubstagen sind unpassend.
Das Vorstellungsgespräch ist gut gelaufen und ich warte auf Rückmeldung, höre aber länger nichts von meinem potentiellen Arbeitgeber. Wann sollte ich mich nochmal melden?
Jürgen Hesse: Haben Sie bei der Verabschiedung keinen konkreten Termin für die Rückmeldung ausgemacht, ist es ratsam sich nach drei bis sechs, spätestens neun Tagen nochmal zu melden - am besten per E-Mail. Bedanken Sie sich für das angenehme Gespräch, betonen Sie Ihr Interesse an dem Job und fragen Sie höfflich nach, wann Sie mit einer Entscheidung rechnen können. So bleiben Sie in Erinnerung.
(Quelle: Wirtschaftswoche)