Bilanz einer Legislaturperiode

Was vom Kabinett Merkel III bleibt

29.08.2017
Thomas de Maizière stand angesichts der Flüchtlingskrise in dieser Legislaturperiode durchweg im Blickpunkt. Heiko Maas setzte sich und seine Themen medienwirksam in Szene. Ursula von der Leyen bekam Probleme. Eine Minister-Bilanz nach vier Jahren Schwarz-Rot.
Pkw-Maut, Vorratsdatenspeicherung, Schwarze Null oder Bundeswehr-Reform - Angela Merkels Minister gerieten in den vergangenen Jahren wegen unterschiedlichster Dinge in die Schlagzeilen. Ein Blick auf die Mitglieder des Kabinetts Merkel III: Wie haben sie sich geschlagen?
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Peter Altmaier (59/CDU)
Der Kanzleramtsminister gilt als enger Vertrauter von Angela Merkel - und wie die Kanzlerin ist er beispielsweise in der Schwesterpartei CSU alles andere als unumstritten. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise gab es hinter vorgehaltener Hand immer wieder Vorwürfe, er nehme sich seiner Rolle als Flüchtlingskoordinator zu wenig an. Aus dem Kanzleramt höre man nur "inhaltslose Dauerappelle", kritisierte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer.

Erst zuletzt, als die Bundestagswahl näher rückte und auch die Christsozialen wieder mehr auf öffentlich demonstrierte Einigkeit setzten, geriet der Hobbykoch aus dem Saarland aus der Schusslinie der Bayern. Die fallenden Flüchtlingszahlen spielten dem obersten Manager der Regierungsarbeit in die Karten. So dürfte er - sofern Merkels Wiederwahl gelingt - weiter im Kabinett gesetzt sein.

Katarina Barley (48/SPD)
Viel Zeit hatte die SPD-Politikerin nicht, um sich im Amt der Familienministerin zu profilieren. Als Nachfolgerin von Manuela Schwesig, die Ministerpräsidentin in Mecklenburg-Vorpommern wurde, kam sie erst im Juni ins Kabinett. Davor war sie Generalsekretärin der SPD, und in der Partei hatte es durchaus Zweifel gegeben, ob sie die richtige Wahlkampfmanagerin sein würde. Nach der Wahl würde sie gerne als Ministerin weitermachen. "Ja, das habe ich vor", sagte sie der "Saarbrücker Zeitung". Jetzt macht die Tochter eines Briten und einer Deutschen erstmal Wahlkampf. Gesellschaftspolitisch sei die Union immer noch nicht in der Gegenwart angekommen, sagt sie.

Alexander Dobrindt (47/CSU)
Seinen Wechsel ins Verkehrsressort beschrieb der vorherige CSU-General scherzhaft als "Resozialisierung". Hart im Feuer stand er aber auch im Ministeramt. Allen Unkenrufen zum Trotz brachte er das umkämpfte CSU-Vorzeigeprojekt Pkw-Maut politisch ins Ziel - die Einführung klappt jedoch nicht mehr vor der Wahl. An seinem Krisenmanagement im Diesel-Abgasskandal lassen Umweltschützer und Opposition kein gutes Haar - Dobrindt reklamiert aber schnelle Aufklärung für sich. Mit Sticheleien gegen den Flüchtlingskurs der Kanzlerin testete er auch mal die Grenzen der Kabinettsdisziplin aus. Nach der Wahl könnte Dobrindt wieder zum Generalisten werden. Hoch gehandelt wird er als künftiger CSU-Landesgruppenchef in Berlin.

Sigmar Gabriel (57/SPD)
Der Vizekanzler hat als Außenminister bisher nur ein halbes Jahr Zeit gehabt, sich zu profilieren. Das reichte aber, um sich mit den Präsidenten der Türkei, Israels und der USA anzulegen. Der neue Chefdiplomat grenzt sich mit seiner undiplomatischen Gangart klar von seinem Vorgänger Frank-Walter Steinmeier ab. Auf seinem Konto kann er vor allem den neuen Kurs der Bundesregierung gegenüber der Türkei verbuchen. Nach der Wahl würde Gabriel sein Amt gerne behalten. Das ist aber nur als Juniorpartner in einer großen Koalition mit der Union möglich, die Gabriel eigentlich ablehnt. Und ohne die Zustimmung von Parteichef Martin Schulz geht es auch nicht. Der Kanzlerkandidat könnte bei einer Wahlniederlage aber selbst Ambitionen auf das Außenamt haben.

Hermann Gröhe (56/CDU)
Geringschätzig heißt es manchmal in der Szene, Gröhe habe als Gesundheitsminister nur abgearbeitet, was ihm andere in den Koalitionsvertrag geschrieben hätten. Doch das hat er dann wohl ganz gut gemacht. Zumindest für Kanzlerin Merkel hat er Ruhe gehalten in dieser im allgemeinen verteilungskonfliktreichen Branche. Das fiel ihm insofern leicht, als zur Zeit ziemlich viel Geld im System steckt. Diese Legislatur war für Gröhes vor allem eine der Pflege: Die Ausweitung der Pflegeleistungen und die Reform der Pflegeausbildung können sich insgesamt sehen lassen. Allerdings gab es auch eine Beitragserhöhung für die Pflegeversicherung. Weniger gut gelungen ist die Krankenhausstrukturreform.

Barbara Hendricks (65/SPD)
"Steht das Schwein auf einem Bein, ist der Schweinestall zu klein" - mit den "Neuen Bauernregeln" amüsierte die Bundesumweltministerin die Republik und brachte den Bauernverband gegen sich auf. Die SPD-Politikerin machte vor allem Schlagzeilen, wenn sie den CSU-Kollegen Dobrindt (Abgas-Affäre) und Schmidt (Dünger, Glyphosat, Tierhaltung) reinreden wollte. Sinngemäß sagte Hendricks mal: Immer wenn's nicht läuft, muss ich mich kümmern.

Konflikte mit dem SPD-geführten Wirtschaftsministerium trug sie sehr viel leiser aus. Stolz ist sie nach eigenen Worten vor allem darauf, die Suche nach einem Atommüll-Endlager auf einen geordneten Weg gebracht zu haben. Andere Vorhaben wurden vom Kabinett oft nicht so beschlossen, wie Hendricks es gern gehabt hätte - der aufgeweichte Klimaschutzplan 2050 ist ein prominentes Beispiel.

Ursula von der Leyen (58/CDU)
Sie ist Deutschlands erste Verteidigungsministerin und startete fulminant mit radikalen Reformvorschlägen für den Rüstungssektor. Jetzt steckt sie aber in der vielleicht tiefsten Krise ihrer politischen Laufbahn. Seit sie der Bundeswehr ein Haltungsproblem vorgeworfen hat, gilt ihr Verhältnis zur Truppe als zerrüttet. Ob Merkel sie trotzdem noch als eine potenzielle Nachfolgerin sieht, ist unklar. Sie selbst beteuert, im Amt bleiben zu wollen. In ihrer eigenen Partei aber hat die forsche Niedersächsin einen schweren Stand.

Heiko Maas (50/SPD)
Der Saarländer hat viel aus seinem Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz herausgeholt. Maas hat ein Händchen dafür, sich und seine Themen medienwirksam in Szene zu setzen - auch bei Fragen, die nicht in seine Zuständigkeit fallen. Er produzierte eifrig Gesetze und ging die Rolle als eine Art Gegenpol zum Innenministerium eher pragmatisch an. Ein Tiefpunkt für ihn: Zu Beginn der Wahlperiode profilierte er sich mit dem Widerstand gegen die Vorratsdatenspeicherung; später - unter dem Eindruck von Terroranschlägen in Europa und auf Druck des damaligen SPD-Chefs Gabriel - musste er diese dann doch auf den Weg bringen. Das bescherte ihm ein Glaubwürdigkeitsproblem. Inzwischen hat er sich davon politisch wieder einigermaßen erholt.

Thomas de Maizière (63/CDU)
Er machte den Job als Innenminister schon zum zweiten Mal, doch diesmal war alles anders. Bei ihm bündelten sich die Mammutthemen der Wahlperiode. Die Flüchtlingskrise sorgte für Chaos und brachte de Maizière in Bedrängnis. Hinzu kamen Terrorattacken und Anschlagsversuche. Auch hier geriet de Maizière ein ums andere Mal in Erklärungsnot. Der unglückliche Satz "Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern" wird ihm wohl noch lange nachhängen.

Das meiste seiner Arbeit war nicht Teil des Koalitionsvertrags, sondern eine Reaktion auf die Lage. Der Minister brachte eine ganze Batterie von Verschärfungen im Asylrecht und in den Sicherheitsgesetzen auf den Weg. Seine unaufgeregte Art hat sich de Maizière trotz der Turbulenzen erhalten. Er hat viel Erfahrung in diversen Regierungsämtern. Ein Ressortwechsel wäre zu vermuten.

Gerd Müller (61/CSU)
Der Entwicklungsminister weiß, dass er sich anstrengen kann, wie er will: Sein Namensvetter, der "Bomber der Nation", bleibt berühmter. Der CSU-Politiker nimmt es mit Humor: In Flüchtlingslagern verteilt er Fußbälle an die Kinder. Begegnungen mit einer Näherin aus Bangladesch und einem Jungen auf einer Kakaoplantage haben Müllers Sicht auf die Welt stärker geprägt als seine Treffen mit Regierungschefs. Beim Global Citizen Earth Day in Washington rief der peinlichkeitsresistente Minister: "I love you all." Entschuldigt hat er sich für seine Aussage, afrikanische Männer gäben zu viel Geld für "Suff, Drogen, Frauen" aus.

Andrea Nahles (47/SPD)
Als Generalsekretärin unter dem früheren SPD-Chef Gabriel musste sie einiges schlucken - bis hin zu einer Teilentmachtung im Wahlkampf 2013. Einige sahen sie schon auf dem Abstellgleis. Doch dann bekam das IG-Metall-Mitglied in der großen Koalition den Job der Arbeitsministerin - und nutzte ihn. Sie wurde zum Aktivposten in der SPD-Ministerriege. Mindestlohn, Verbesserungen bei Leiharbeit und Werksverträgen, Tarifeinheitsgesetz, Rente mit 63, Ost-West-Rentenangleichung bis 2025 sowie Verbesserungen bei Erwerbsminderungsrente - sie setzte vieles durch. Dabei hatte sie in der Regel das Wohlwollen der Kanzlerin. Sie hat für die SPD in der Regierung die meisten Pluspunkte für mehr Gerechtigkeit gesammelt.

Wolfgang Schäuble (74/CDU)
Er ist ein halbes Jahrhundert im Geschäft. Sechs Tage vor der Bundestagswahl am 24. September wird Schäuble 75 - und wirklich alle Welt fragt sich: Macht er weiter? Als Abgeordneter sicher. Seit 1972 sitzt der Badener im Bundestag - Rekord. 2009 rückte der Jurist an die Spitze des Finanzressorts. Amtsmüde zeigt er sich nicht. Die Griechenland-Krise, die zur Staatsschuldenkrise im Euroraum auswuchs, war für Schäuble auch in den vergangenen vier Jahren das Thema. Und wird es bleiben, ebenso wie die schleppende Reform der Euro-Zone. 2014 stand unter ihm erstmals seit mehr als vier Jahrzehnten die schwarze Null im Haushalt, was seine Kritiker vor allem auf die Konjunktur und Niedrigzinsen zurückführen. Beim Thema Steuerreform herrscht allerdings seit Jahren Stillstand.

Christian Schmidt (59/CSU)
Der langjährige Verteidigungspolitiker rückte im 2014 für den zurückgetretenen Hans-Peter Friedrich als Agrarminister nach. "Der kann nicht nur Panzer, der kann auch Mähdrescher", solle einmal deutlich werden, wünschte sich Schmidt zum Start in eigener Sache. In der Milchpreiskrise sicherte er Millionenhilfen für die Bauern. Und brachte nach langem Ringen strengere Düngeregeln durch. Seine Initiativen für mehr freiwilligen Tierschutz im Stall attackieren aber nicht nur Naturschützer als zu zögerlich. Im Wahlkampf muss sich der CSU-Vize als Krisenmanager im Eierskandal bewähren. Im Amt weitermachen würde er gerne.

Johanna Wanka (66/CDU)
Drei Ziele hatte sich die 2013 noch unter Schwarz-Gelb ins Amt gekommene CDU-Bildungsministerin gesetzt: in der Forschungspolitik Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit ausbauen; das Wissenschaftssystem weiterentwickeln; mehr Bildungsgerechtigkeit. Letzteres ist ihr nur ansatzweise geglückt. Das bestätigen Schulvergleichsstudien wie PISA, wonach in Deutschland sozialer Status und Bildungserfolg weiter arg eng verknüpft sind. Dafür steht beispielhaft auch die unzureichende Bafög-Stütze für Schüler und Studierende. Mit der neuen "Exzellenzstrategie" für die Hochschulen brachte Wanka aber eines ihrer wichtigsten Vorhaben ins Ziel.

Brigitte Zypries (63/SPD)
Über die Wirtschaftsministerin, die nur wenige Monate im Amt war, dürfte es einmal heißen: Sie hat sich bemüht. Als Gabriel im Januar Chefdiplomat wurde, suchte die SPD jemanden ohne Karriereansprüche. Zypries kandidiert im September nicht mehr für den Bundestag. Weil Gabriel den Vizekanzlerposten mit ins Auswärtige Amt nahm, bekam die Ex-Justizministerin den Bedeutungsverlust zu spüren. Für Auslandsreisen gab es keinen Regierungsflieger mehr, Linie war angesagt. Das blieb im Ausland nicht verborgen. Trumps Handelsminister Wilbur Ross sparte sich einen Berlin-Besuch bei ihr, trat lieber per Videoschalte beim CDU-Wirtschaftsrat auf. (dpa/rs)