Trend 1: Das Web wird zur Service-Plattform
Websites bekommen Eigenschaften, die wir bisher nur vom Rechner kannten. So werden Anwendungen wie beispielsweise Organizer oder eine Textverarbeitung im Web bereitgestellt.
Das Web wird zur globalen Plattform für Daten und Dienste. Der Vorteil dieser Verschiebung liegt auf der Hand. Viele Nutzer plagen sich mit dem Aufwand für die Pflege der Software (Updates, Virenschutz) und für die Synchronisierung der Daten - sie wünschen sich unkomplizierte Werkzeuge, die sie geräteunabhängig aufrufen und nutzen können - zuhause, im Büro, überall auf der Welt.
Mit web-basierten Anwendungen kann dieses Bedürfnis eingelöst werden. Inzwischen gibt es zahllose Services, die in dieser Weise abrufbar sind, von Kalendern über Projekt-Software bis zur Textverarbeitung (Writely). Für den User bedeutet das: Das Web wird umfassender und zugleich bequemer. Web 2.0 reduziert damit technische Komplexität, da es geräte- und ortsunabhängig Dienste bereitstellt.
Trend 2: Das Web wird zum "Live Space"
Daten werden automatisch aktualisiert, indem APIs (Programmierschnittstellen) genutzt werden und automatisch aktuelle Informationen auf die Websites der Nutzer holen. So können etwa Freunde auf Google Maps lokalisiert werden (Frappr), Temperaturwerte erscheinen "wie von Geisterhand" sekundenaktuell auf der lokalen Landkarte oder die neuesten Blogeinträge zu ausgewählten Themen werden gelistet (technorati.com). Das "Echtzeit-Feeling" ist hierbei charakteristisch für viele Web-Anwendungen - wobei die Aktualität der Daten sich auch auf die physische Realität beziehen kann - Web und Wirklichkeit treten stärker als bisher in Wechselwirkung.
Dadurch wird das Web im Alltag nützlicher, etwa, wenn es darum geht in einer Gegend eine Immobilie, ein Hotel oder ein Restaurant zu finden. Statt immer wieder neue Suchanfragen zu starten wird die Information komfortabel in die Landkarte eingeblendet ("Reality Tagging"). Das Web und die physische Realität gehen eine intimere Verbindung ein, indem beispielsweise die aktuellen Wetterdaten oder der Aufenthaltsort von Freunden "live" abgebildet werden. Für den User macht diese Dynamisierung das Web aktueller und lebendiger.
Trend 3: Das Web wird zum Mitmach-Web
Der User ist heute nicht mehr nur Konsument, er wird zunehmend zum Produzenten. Die bekanntesten Formen für so genannten User-Generated Content sind Weblogs, Wikis, Sharing-Portale für Bilder und Videos.
Derzeit werden 35 Millionen aktive Blogs gezählt, Flickr hat 5.000 Seitenzugriffe pro Minute, auf das populäre Video-Portal YouTube werden täglich 30.000 Videos hochgeladen, und die Wikipedia umfasst mittlerweile 3,8 Millionen Artikel in 200 Sprachen. Auf Community- Plattformen werden zunehmend auch die verschiedenen Medienformate zusammengeführt - so bilden auf dem erfolgreichen Portal MySpace.com die Blogs, Videos, Chats, Events etc. eine funktionierende Einheit.
Am Beispiel des Portals Flickr wird schnell klar, was User an Web 2.0-Portalen schätzen. Es ist eine Möglichkeit, die generierten Inhalte - wie hier digitale Bilder - einfach und intuitiv zu verwalten und für andere bereitzustellen. Der Slogan "Alle machen mit" wäre überzogen, doch eine kritische Masse an aktiven "Web-Prosumenten" ist längst erreicht. Für den User wird das Web zunehmend zum Aktiv- und Kreativraum - statt passivem Medienkonsum zählt das Einbringen von Können und Wissen.
Trend 4: Das Web wird zum sozialen Über-Raum
Unter dem Stichwort "Social Web" und der programmatischen Devise "Wir sind das Web" wurde bereits vor Jahren die Sozialisierung des Internet postuliert. Dank so genannter ´"Sozialer Software" kann der Prozess der sozialen Vernetzung regelrecht katalysiert werden. Auf den Social-Networking-Portalen wird die eigene Reichweite für soziale oder Business-Kontakte gigantisch gesteigert, da diese erlauben, Kontakte zweiten oder höheren Grades aufzurufen. Auf diesem Wege ist es möglich, Gleichgesinnte für Beruf oder Freizeit im sozialen Nahraum anzusprechen.
Derartige Spezialplattformen stellen eine wichtige Komponente der veränderten Web-Landschaft dar. Da Online-Communities wie Friendster.com ein "alter Hut" sind, werden sie oft nicht zur authentischen Web 2.0-Welt gerechnet. Allerdings durchzieht "das Soziale" die neuen Webanwendungen wie ein Geflecht. Viele Dienste sind als soziale Spielräume anzusehen, da es dort darum geht, sich auszudrücken, Inhalte mit anderen zu teilen, Kommentare abzugeben. Auf den zweiten Blick geht es bei den erfolgreichsten Portalen und Services ganz offensichtlich darum, lebendige Gemeinschaften zu schaffen, die sich in regem Austausch befinden. Man bewegt sich dort mühelos im Dreieck aus Selbstdarstellung, Kommunikation und Kollaboration. Das Web wird also sozialer.
Interaktionen wie Kommentieren-im-Blog, Austauschen-im-Chat, Empfehlungen-Abgeben werden selbstverständlich. Revolutionär ist dabei, dass dank der passenden "Mashups" praktisch jede Webanwendung "sozialisiert" werden kann. In wenigen Minuten werden Applikationen um eine soziale Dimension bereichert. Die eigene Homepage verliert ihren insularen Charakter und ist über Kommentierungsfunktionen, Ranking- und Votingmechanismen in einen Communityrahmen eingebettet.
Trend 5: Das Web wird intelligenter
Web 2.0-Dienste mit Sharing-Charakter funktionieren nur durch das clevere Zusammenspiel verschiedener Komponenten. Das Geheimnis des Erfolgs: Eine Plattform wie Flickr muss User motivieren, mit ein paar Klicks ihren Beitrag zu leisten und sie muss umgekehrt die gigantische Summierung der zugeführten Beiträge für den User attraktiv aufbereiten.
Im Fall von Flickr heißt dies, dass der User selbst die Schlüsselworte vergibt, um nachher die Auffindbarkeit der Bilder für andere User zu gewährleisten. Gerade bei einer Foto-Community wird sehr deutlich, wie wichtig diese Kategorisierung ("Tagging") ist - ohne derartige Tags wären die Bilderwelten nicht durchsuchbar, also unzugänglich und nutzlos für die anderen User.
Das "Tagging" begegnet uns auf vielen Web 2.0-Portalen, bisweilen ergänzt um Bewertungs- Mechanismen. Such- und Ranking-Algorithmen sorgen dann dafür, dass der User bevorzugt diejenigen Inhalte zu sehen oder hören bekommt, die von anderen bereits positiv selektiert wurden. Bekannt ist das Prinzip auch in Online-Shops wie Amazon: Durch Auswertung der Clickstreams ist es möglich, die Kaufentscheidungen und Interessen "gleichgesinnter" Käufer an den User weiterzugeben und auf diese Weise vernünftige Vorschläge zu unterbreiten.
All diese Mechanismen zapfen gewissermaßen die Hirne und das wertvolle Wissen der User an. Die resultierende kollektive Intelligenz wird direkt in die Strukturen des Web eingespeist. Das Web wird also intelligenter - und zwar durch die "Weisheit der Massen" (James Surowiecki). Dank der Effekte kollektiver Intelligenz profitieren alle Nutzer von dem millionenfachen Input von Wissen und Wertung. Dank Tagging verbessert sich die Semantik und Auffindbarkeit. An die Stelle einer neuen und aufwändigen Architektur, die von oben über das Web gestülpt wird ("Semantic Web Project"), wachsen jetzt verteilt viele semantikfähige Webs "von unten".
Schönes neues Web
Das klingt alles gut, jedoch sollte es nicht zu vorschneller Euphorie führen. Damit Web 2.0 tatsächlich zum "schönen neuen Web" wird, ist noch Einiges zu tun. Drei zentrale Herausforderungen lassen sich aus der User-Perspektive identifizieren.
1. Konvergenz: Jede der genannten Trendaussagen kann auch als ein Versprechen der Web 2.0-Evangelisten betrachtet werden, dessen Einlösung kritisch zu prüfen ist. Erinnern wir uns an die einfache Rollenverteilung des Web 1.0: Der User sitzt am Rechner und surft von Seite zu Seite. Im Gegensatz dazu wird das Medienverhalten eines typischen jugendlichen Web-Nutzers unserer Tage ein ganz anderes Bild zeigen: Es wird in schneller Abfolge und oft auch gleichzeitig gegoogelt, gechattet, ein Bild auf das Blog hoch- und ein mp3-File irgendwo heruntergeladen, zwischendurch wird noch gevoipt, gesimst und MTV geschaut.
Der User erlebt also gewissermaßen bereits die mediale Konvergenz - mal mühelos und spielerisch, mal als medialen Overkill. Die Konvergenzleistungen von heute muss allerdings der User erbringen, die Frage, wie die Medien tatsächlich sinnvoll zusammenwachsen können, bleibt vorerst offen.
2. Komplexität: Wenn Web 2.0 etwas taugen soll, soviel ist klar, dann muss es den User vor überflüssiger Komplexität bewahren. Die neuen Webtechnologen sollten die User dabei unterstützen, im medialen Kosmos zu navigieren und die Übersicht zu behalten. In diesem Sinn kommt ein Portal wie MySpace dem Channel-Hopping und Social-Zapping des Users entgegen und ist mit 60 Millionen Usern zweifellos eines der erfolgreichsten Portale.
3. Radikalität: So pfiffig Websites wie MySpace oder Flickr auch ausgestaltet sind, sie bleiben in der Konzeption relativ konventionell, wenn man die technischen Möglichkeitsräume einmal etwas mutiger auslotet. Zu den avancierteren Projekten sind Versuche zu rechnen, dem Browser selbst ein Update zu verpassen, also die Schnittstelle User/Web an die veränderten Verhältnisse im Web 2.0 anzupassen. Browser sind trotz respektabler Fortschritte in der Grundstruktur immer noch die alten Vehikel, sind angesichts des Web Change zum Sozialen längst zu Oldtimern geworden.
Bei "Social Browsern" wie Flock sind die Community-Funktionen wie Blogposting, Bookmark- und Photosharing konsequenterweise schon eingebaut. Mit einem sozialdimensionierten Browser wird es immer einfacher mit den Optionen des Web 2.0 umzugehen - mit Wirkungen, die weit über ein verbessertes Surf-Erlebnis und eine nahtlose Nutzererfahrung hinausreichen werden.
Dieser Artikel stammt aus dem Online-Angebot des Manager Magazins.