Seit vielen Jahren reisen Führungskräfte aus Deutschland ins Silicon Valley, um nachzuschauen, wie digitale Wirtschaft funktioniert. Doch scheinbar sind wir in Deutschland immer noch nicht besonders weit vorangekommen. Aber Immerhin hat Professor Michael Hüther, Direktor des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft, schon sichtbare Veränderungen festgestellt. Wenn deutsche Manager aus dem Silicon Valley zurückkämen, brächten sie meistens zwei Dinge mit: Sie würden keinen Schlips mehr tragen und sie hätten sich einen Bart wachsen lassen, wie er launig bemerkte.
Silicon Valley ist ein Einzelfall
Die Vorreiterstellung des Silicon Valley sieht er allerdings als weniger dramatisch an. Das Silicon Valley sei ein Einzelfall, selbst in den USA gäbe es keinen weiteren Ort, an dem der technologische Fortschritt mit einer derartigen Geschwindigkeit abläuft. Diese Sonderstellung begründete Hüther mit zwei historischen Ereignissen. Zum einen lebt dort die Goldgräber-Mentalität seit dem Beginn des Goldrauschs 1848 bis heute fort. Zum anderen nannte Hüther den Bau des ersten Werks von Hewlett Packard in Palo Alto im Jahre 1942 als wichtiges Datum. Heute gilt die 1939 in der berühmten Garage gegründete Firma als Geburtsort des Silicon Valley.
Es gebe halt unterschiedliche Wege zur Digitalisierung, jedes Land geht seinen eigenen Pfad, betonte Hüther in seiner Rede auf der Veranstaltung "Denkraum Digitale Transformation", die vergangene Woche in München stattfand. Dort kreisten die Diskussionen unter den rund 180 Teilnehmern um die Leitfragen, was soziale Marktwirtschaft in Zeiten von Digitalisierung heißt und welche Folgen die Digitalisierung auf Wirtschaft und Gesellschaft hat.
Die Pluspunkte von Deutschland
Als Pluspunkte für den deutschen Pfad zur Digitalisierung nannte Hüther den Vorsprung bei wirtschaftlicher und industrieller Kompetenz. Auch Professorin Isabell Welpe, Lehrstuhl für Strategie und Organisation an der TU München, wies auf Stärken hin wie technische Fähigkeiten, Effizienz und gute Prozesse.
Bei digitalen Technologien konnte Deutschland allerdings nicht mithalten, sagte Stefan Müller, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung. Grund zum Jammern sah er darin deswegen jedoch nicht, denn bei Innovationen stünde Deutschland nicht schlechter da als vor 20 Jahren.
Bringen Ideen nicht auf die Straße
An guten Ideen mangelt es auch nicht, da stimmte Isabell Welpe zu. Nur Deutschland und Europa bringen diese Ideen nicht auf die Straße. So gebe es beispielsweise zu wenig Ökosysteme, mit denen Unternehmen unterwegs sind, ergänzte Analyst Thomas F. Dapp von Deutsche Bank Research. Wenn beispielsweise Autofahrer digitale Services in ihren Fahrzeugen nutzen, dann machen sie das über Plattformen wie Google oder Apple, aber sie gehen dafür nicht über die Website ihres Fahrzeugherstellers.
Und wenn ein Kunde erst einmal eine Plattform gewählt hat, dann bleibt er meistens auch dort. Denn auf den Kunden kämen hohe Aufwandskosten bei Hard- und Software zu, wenn er beispielsweise von der Plattform "Google" zur Plattform "Apple" wechseln möchte. Eine Plattform sei ein Geschäftsmodell, sagte Dapp.
Für Isabell Welpe zeichnen sich die Gewinner der Digitalisierung durch drei Eigenschaften aus: effiziente Prozesse, Business-Innovationen und Customer Experience, also vom Kunden her denken. Bei der Customer Experience können Unternehmen sicher noch zulegen. Wer nicht vom Kunden her denkt, der kann sich auch leicht im unendlichen digitalen Raum verlaufen, spitzte Siegfried Russwurm, Technologie-Vorstand von Siemens, lakonisch zu.
Es gibt zu wenige Startups
Einige Podiumsteilnehmer machten aber noch ein anderes Defizit aus. Es gibt zu wenige Startups in Deutschland, das Entrepreneur-Denken ist immer noch nicht weit verbreitet. Kennzeichnend dafür steht, dass Hochschulabsolventen am liebsten nach einer Stelle im öffentlichen Dienst streben. Nicht nur, dass Unis bürokratiegläubige Menschen ausbilden, schon in den Schulen beginnen die Probleme. So gibt es nur noch in zwei Bundesländern Informatikunterricht.
Nur wie soll die Digitalisierung an Fahrt aufnehmen, wenn es dafür hierzulande zu wenig Startups gibt? Da müssen wir auf die digitale Transformation der bestehenden Unternehmen setzen, lautete die pragmatische Antwort von Isabell Welpe. Allerdings bezifferte Michael Hüther die Zahl der Unternehmen in Deutschland, die Digitalisierung schon ernsthaft betreiben, auf zurzeit nicht mehr als fünf bis sechs Prozent.
Die Veränderungsgeschwindigkeit wird nie mehr langsamer werden
Dennoch, die Digitalisierung ist nicht aufzuhalten, ihr Tempo wird immer schneller werden. Und dabei müssen auch die Mitarbeiter mit ihren verständlichen Sorgen über kommende große Umwälzungen mitgenommen werden, das waren sich alle einig.
Die Veränderungsgeschwindigkeit wird nie mehr langsamer werden, darüber stimmte auch Rudolf Martin Siegers, Deutschlandchef von Siemens, überein. Unternehmen wie Siemens müssen deshalb soziale Verantwortung übernehmen und ihre Mitarbeiter bei der digitalen Transformation mitnehmen. Wenn Unternehmen dies nicht gelingt, dann verlieren auch die Unternehmen den Anschluss an die Transformation und werden im Wettbewerb nicht bestehen. Die Geschichte zeige, dass es diejenigen Unternehmen nicht mehr gäbe, die Veränderungen nicht mitgegangen seien, sagte Siegers.
Wie es der Maschinenbauer Bausch + Ströbel macht
Wie das praktisch funktionieren kann, den abstrakten Begriff "Industrie 4.0" für die Mitarbeiter anschaulich zu machen, schilderte Geschäftsführer Hagen Gehringer vom Maschinenbauer Bausch + Ströbel. So hat der Hersteller von Hochleistungsmaschinen zum Abfüllen und Verschließen pharmazeutischer Produkte zunächst eine Vision entwickelt, was Industrie 4.0 für das Unternehmen bedeutet. Daraus leitet die Firma mit Sitz in Ilshofen (nahe Schwäbisch Hall) nun viele kleine handhabbare Projekte ab, mit denen jedem verständlich wird, was Digitalisierung bedeutet.
Es darf keine elitäre Diskussion werden
Siemens-Vorstand Siegfried Russwurm wies ausdrücklich darauf hin, dass es eine Führungsaufgabe sei, die Mitarbeiter mitzunehmen. Um die Diskussionen und das Wissen in die Breite zu bringen, dazu tragen Veranstaltungen wie der "Denkraum" in München bei. Russwurm warnte allerdings davor, dass diese Diskussionen nicht in intellektuellen Schutzräumen geführt werden dürfen, sondern in der breiten Gesellschaft stattfinden müssen.