Die modernen Chefs stehen sich mit ihren hohen Erwartungen an die eigene Rolle als moderne Unternehmenslenker oft selbst im Wege. Die Folge: Wichtige Entscheidungen im Unternehmen werden von anderen verhindert, und der Unternehmer hat das Nachsehen. Zur Veranschaulichung zwei Fälle:
Fall 1: Der geschäftsführende Gesellschafter A ist mit der geringen Profitabilität nicht zufrieden und möchte die Ablaufprozesse des Unternehmens mit externer Unterstützung optimieren. Er beabsichtigt jedoch nicht alleine, sondern mit seinem Prokuristen B gemeinsam den Auftrag zu erteilen, denn schließlich werden die Mitarbeiter von B besonders betroffen sein. Die Maßnahme soll in einem gemeinsamen Treffen mit dem Dienstleister besprochen werden, doch es muss immer wieder verschoben werden. Der Grund: B ist viel unterwegs, und Geschäftstermine gehen schließlich vor, nicht wahr? Monate verstreichen, und das Thema verläuft im Sande. Die Profitabilität leidet nach wie vor.
Fall 2: Geschäftsführender Gesellschafter A und der angestellte Geschäftsführer B können sich nicht einigen, wie der Auftrag für eine Restrukturierung des Unternehmens aussehen soll. Viele Arbeitsplätze wären davon betroffen. Immer wieder wird das Thema ergebnislos vertagt und neu auf die Tagesordnung gesetzt. Anderthalb Jahre danach wird diese Entscheidung von einem harten Sanierer getroffen, der von der Hausbank eingesetzt wurde.
Solch missglückte Entscheidungsprozesse sind in Unternehmen mit Konzernstrukturen keine Seltenheit. Je größer nämlich ein Betrieb ist, desto häufiger trifft man auf Bereichsegoismen, und desto seltener sind Entscheider anzutreffen, die sich für Themen außerhalb ihres Verantwortungsbereichs interessieren.
Der Chef macht die Ansagen
Die zwei genannten Beispiele - aus einer Vielzahl von ähnlichen Fällen herausgegriffen - sind jedoch anders gelagert. Hier handelt es sich um inhabergeführte Unternehmen. Die Macht- und Verantwortungsfrage ist somit klar geregelt: Es gibt eine Person, die offiziell das Sagen hat und die zwangsläufig das große Ganze sieht, weil alles, was mit dem eigenen Unternehmen zu tun hat, unter dem Strich zu Lasten des eigenen Portemonnaies geht. Dennoch nimmt die Person (falsche) Rücksicht auf Dritte, obwohl es sich um wichtige Entscheidungen handelt. Die möglichen Gründe für dieses Verhalten offenbaren sich erst in vertraulichen Gesprächen. Einer der möglichen Gründe sei hier exemplarisch herausgegriffen:
Die Crux der mitarbeiterorientierten Unternehmenskultur
Zu beobachten sind in diesem Fall die Nebenwirkungen eines durchaus positiven Trends in deutschen Firmen, die mitarbeiterorientierte Unternehmensführung. Hier ist nämlich zu beobachten, dass sich der moderne Chef selbst unter Druck setzt, weil er den mit der mitarbeiterorientierten Unternehmensführung verbundenen Anforderungen und Erwartungen an seine eigene Rolle genügen möchte. Mit anderen Worten: Es ist das Gefangensein im Selbstbild "Ich bin ein moderner und mitarbeiterorientierter Chef", das Dritte dazu einlädt, die damit verbundene positive Absicht zu konterkarieren. Beispielsweise um dafür Sorge zu tragen, dass der Kelch einer möglichen Veränderung an einem vorbeigeht.
Das soll jedoch kein Plädoyer gegen die mitarbeiterorientierte Unternehmenskultur sein. Aus der Metaperspektive betrachtet, sind gesunde und motivierte Mitarbeiter engagierter und innovativer und sorgen für einen nachhaltigen Unternehmenserfolg.
Dennoch gilt: Auch wenn sich die mitarbeiterorientierte Unternehmensführung statistisch betrachtet in den meisten Fällen positiv auswirken wird, kann sie falsch gelebt das Aus eines Betriebs bedeuten. In der Einzelfallbetrachtung ist man daher gut beraten, sich das Ergebnis sowie die Nebenwirkungen genau anzusehen. Trifft ein Unternehmer aus falscher Rücksichtnahme wichtige Entscheidungen nicht, entsteht in der Langzeitwirkung mehr Schaden als Nutzen und muss dringend gegengesteuert werden. Diese Hürde ist nicht zu unterschätzen. Folgende Gedankenimpulse und Handlungen können vielleicht helfen, das Unternehmen wieder auf Kurs zu bringen.
Fürsorge ist kein Freibrief für nachlässige Arbeit
Mitarbeiter müssen immer wieder daran erinnert werden, dass sie als Experten für ein gegebenes Thema eingestellt sind oder diesen Status schnellstmöglich erreichen sollten. Eine mit der mitarbeiterorientierten Unternehmensführung oft verbundene "Fürsorge" gegenüber den Mitarbeitern darf nicht als Freibrief für nachlässiges Arbeiten gedeutet und auch nicht vorausgesetzt werden.
Fakt ist, dass der Unternehmer mit diesen Personen einen geschäftlichen Vertrag eingegangen ist: Arbeit gegen Bezahlung. Es ist statthaft, wenn man die obige Aussage durch folgende ersetzt: "Ich verhalte mich meinen Mitarbeitern gegenüber wie ein ehrbarer Kaufmann." Diese Haltung kommt der wahren Natur einer mitarbeiterorientierten Unternehmenskultur im Sinne eines verantwortlichen unternehmerischen Handelns deutlich näher.
Dieses Vertragsverhältnis sei anhand von zwei Beispielen näher beleuchtet:
Ein ehrbarer Kaufmann, der bei einem Lieferanten 40 Posten einkauft, wird ganz selbstverständlich nicht davon ausgehen, dass er 60 Stück geliefert bekommt. Bedeutet im übertragenen Sinne: Eine vertraglich vereinbarte Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche ist letztlich nichts anderes. Wenn man keine zusätzlichen Überstunden eingekauft hat, sollte man auch keine erwarten.
Oder kommt es vor, dass ein Kaufmann auf ein Bestellformular nur "Bürozeug" schreiben würde? Nein, sicher nicht. Er würde immer die genaue Produktbezeichnung, Farbe, Anzahl, Liefertermin etc. angeben. Dann stellt sich aber die Frage, warum so viele Vorgesetzte bei Mitarbeiterthemen auf Allgemeinplätze wie "Wir sollten uns alle mehr anstrengen" zurückgreifen, statt bereits in der Rekrutierungsphase präzise zu sagen, welche Leistung sie genau einkaufen wollen. Warum stellen sie zuvor nicht sicher, dass die Anforderungen realistisch sind und der Mitarbeiter sie durch seine Leistung erreichen kann?
Vertragstreue praktizieren und einfordern
Wer als Unternehmer, Kaufmann oder auch Führungskraft seinen Teil der vertraglichen Vereinbarung einhält, wird sich positiv von der breiten Masse der Arbeitgeber abheben können. Er kann im Gegenzug aber auch viel selbstverständlicher die berechtigten, vertraglichen Erwartungen an seine Mitarbeiter einfordern und bei Nichterfüllung vertragliche Konsequenzen ziehen. Plakativ formuliert: Monetäre Incentives und Entertainment-Pakete sind letztlich Strafzahlungen, die deswegen anfallen, weil Arbeitgeber bei der Regelung der Rechte und Pflichten eine Wischiwaschi-Vereinbarung eingehen!
Operative Entscheidungen werden in der Regel hierarchisch getroffen. Wenn eine Fachkraft in eine leitende Position befördert wird, bekommt sie im Grund zwei neue Hüte aufgesetzt, für die hier als Platzhalter die Begriffe "Manager" (Prozess- und Ressourcenmanagement) und "Führungskraft" (Personalthemen) verwendet werden. Oft aber wird versäumt zu überprüfen, ob die Person Prozesse auch gut managen und Mitarbeiter gut führen kann - oder will. Der Grund: Der Angestellte wurde befördert, weil er als Fachkraft überzeugen konnte oder lange im Unternehmen ist.
Fachkraft ist nicht gleich Führungskraft
Somit übt er in den meisten Fällen auch nach seiner Beförderung die Fachkrafttätigkeit weiter aus, wird aber der Rolle als Manager oder Führungskraft nur unzureichend gerecht. Die Entscheidungen, die er typischerweise als leitender Angestellter trifft, sollen plakativ mit folgendem Dialog zwischen einem Vertriebsmitarbeiter (V) und seinem Abteilungsleiter (AL) verdeutlicht werden:
V: "Das ist mein Reiseantrag für nächste Woche, damit ich den Kunden Firma XY GmbH besuchen kann."
AL: "Ein Kundentermin allein ist nicht ok, denn wir müssen auf unsere Kosten achten. Versuchen Sie noch zusätzliche zu vereinbaren, dann bin ich einverstanden."
Wo ist hier ein echter Mehrwert? Hat der Abteilungsleiter AL nach seiner Beförderung eine Weiterbildung in Controlling oder Ähnlichem genossen, die ihn nun für derartige Entscheidungen qualifizierter macht als Vertriebsmitarbeiter V? Traut man V diese Entscheidung tatsächlich nicht zu, dann ist er wohl fehl am Platz. Andernfalls handelt es sich um eine Verschwendung der knappen und kostbaren Zeit der Mitarbeiter.
Und wie verhält es sich mit Entscheidungen in seiner Funktion als Leitender? Darf er beispielsweise selbst entscheiden, ob er die Mitarbeiterzahl seiner Abteilung aufstockt? Darf er eine Software für seine Abteilung in Auftrag geben? In aller Regel nein, denn das möchte der zuständige Geschäftsführer mitentscheiden.
Strategische Entscheidungen oft nur Bauchgefühl
In der Position des gesamtverantwortlichen Geschäftsführers kommt nämlich ein weiterer Hut hinzu, wofür der Platzhalterbegriff "Unternehmer" verwendet werden darf. Das gilt in erster Linie für strategische und bereichsübergreifende Themen.
Bereichsübergreifende Entscheidungen implizieren in aller Regel Machtgewinn und -verlust aus Sicht der betroffenen Personen. Es liegt in der Natur der Sache, dass die betroffenen Personen versuchen werden, das Ergebnis zum eigenen Vorteil zu beeinflussen.
Strategische Entscheidungen sind manchmal reine Bauchentscheidungen, weil im Vorfeld zwar Zahlen, Daten und Fakten sowie die Vor- und Nachteilen analysiert wurden, ohne jedoch zu einem abschließenden Ergebnis zu kommen. In solchen Fällen braucht es dann den "Unternehmer" oder die Person, die Verantwortung für solche Themen trägt und deshalb das Recht hat zu sagen: "Genug geredet, so wird es jetzt gemacht." Auf diese Weise kommt es nicht zu faulen Kompromissen.
Und wenn es diese Person gibt, hat sie nicht selten selbst als Fachkraft Land unter im operativen Geschäft. Und sie wird darüber hinaus eingebunden in Entscheidungen, die ihre Manager und Führungskräfte genauso gut hätten alleine treffen können. Für bereichsübergreifende und strategische Themen bleibt somit erst Zeit "nach Feierabend".
Fazit
Entscheidungsprozesse sind keine einfache Angelegenheit. Ihre Anpassung bedeutet einen gravierenden Eingriff in das ausbalancierte Machtgefüge eines Unternehmens. Betriebe sollten Veränderungen nur dann angehen, wenn sie feststellen, dass mitarbeiterorientierte Strukturen zu Problemen führen.
Von Vorteil kann dabei ein externer und neutralen Begleiter sein, der Entscheidern hilft, Muster zu erkennen, und strukturiert und systematisch mögliche alternative Entscheidungsprozesse gemeinsam mit ihnen beleuchtet, um zu einer einvernehmlichen Lösung zu gelangen und diese möglichst gesichtswahrend einzuführen.
Wenn Betriebe Veränderung selbst herbeiführen wollen, ist es ratsam, das Thema nicht grundsätzlich zu behandeln, sondern als Einstieg rein hypothetisch den unangenehmsten vorstellbaren Einzelfall zu behandeln. Wenn in diesem Fall Einigkeit erzielt wird, sind alle anderen Fälle leichter zu lösen.