Mit dem Zuwanderungsgesetz 2005 hat sich das Aufgabengebiet des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) grundlegend verändert. Ursprünglich war die Behörde lediglich für die Entscheidung über Asylanträge zuständig. Die IT diente in erster Linie internen Prozessen sowie den Außenkontakten zu Sicherheitsbehörden und Gerichten. Mit dem Zuwanderungsgesetz wurde die Zuständigkeit des BAMF stark erweitert. Das Amt führt nun zusätzlich das Ausländerzentralregister als Informationsquelle von ca. 6.000 Partnerbehörden und koordiniert die sprachliche und soziale Integration von Zuwanderern in Deutschland.
Vielfältige Anforderungen
Damit war die Nürnberger Bundesbehörde auch für die Integrationskurse zuständig. Darin werden Migranten in mindestens 645 Unterrichtseinheiten die Grundkenntnisse der deutschen Sprache und das Grundwissen in deutscher Geschichte, Kultur und Recht vermittelt.
Durchgeführt werden diese Kurse von etwa 2.000 Kursträgern an mehr als 6.000 Einrichtungsstätten. Diese Bildungsträger mussten in ihren Prozessen ebenso angekoppelt werden wie das Bundesverwaltungsamt, die Außenstellen des BAMF, andere Sicherheitsbehörden sowie die Ausländerbehörden. Keine leichte Aufgabe - gerade hinsichtlich der IT.
"Beim Thema Migration und Integration sind alle Ebenen von Kommunen und Landkreisen über die Länder bis zum Bund, aber auch private Bildungsanbieter vertreten," berichtet Kausik Munsi, Leiter der Software-Entwicklung beim BAMF, "man trifft auf alle erdenklichen IT-Systeme: vom uralten 486er bis zur modernsten Datentechnik ist das Spektrum unglaublich groß". Eine Vielzahl von Systemen muss in übergreifenden Prozessen zusammenarbeiten.
Neben der Bandbreite an IT-Systemen gab es für die IT-Fachleute aber auch eine weitere Besonderheit zu berücksichtigen: das föderale System in Deutschland mit den landesspezifischen rechtlichen Rahmenbedingungen. Da das Eingreifen in die IT-Struktur der Bundesländer unmöglich ist, musste eine passende IT-Lösung daher vor allem diese föderalen Strukturen berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund erwies sich die Entwicklung einer Service-orientierten Architektur (SOA) als ideal. So wurden für sämtliche technischen Vorgänge Bausteine entwickelt und eingeklinkt, die zu den unterschiedlichen Prozessen und Standards passten. "Diese SOA-Philosophie als Konzeptvorstellung und Technologie zugleich - das macht ja den Charme der SOA aus," betont Thomas Kreitschmann, Referatsleiter aus dem IT-Bereich den Nutzen für das federführende Bundesamt.
Kein Prozess und kein Modul ist strikt vorgeschrieben, alle einzelnen Bausteine sind frei wählbar. So kann jede Ausländerbehörde und jeder Kursträger die Bausteine auswählen, die jeweils passen. Für alle beteiligten Stellen ist das geradezu ideal. Thomas Kreitschmann bringt die Vorteile auf den Punkt: "SOA ist die Technologie für den Föderalismus".
Herausforderung Sicherheit und Datenschutz
Neben der Föderalismusfrage stellte sich als weitere Herausforderung die Frage nach der Sicherheit. Immerhin laufen viele Module bei anderen Behörden oder Unternehmen, wo nicht vorhersehbar war, wie sicherheitsbewusst sich die Mitarbeiter im Umgang mit den Daten zeigen. Und das bei unterschiedlichen Lokationen mit unterschiedlichen Rechnern auf unterschiedlichen Plattformen. So war klar, dass bestimmte Sicherheitsmodule einzubauen wären.
Die Service-orientierte Architektur, die beim BAMF übrigens als gemeinsame Entwicklung mit Oracle Consulting begonnen hat und inzwischen als Wissenstransfer mit begleitendem Coaching in Eigenregie fortgeführt wird, erwies sich auch hier als ideal. Die Sicherheitsmechanismen wurden in die Kommunikation der Module integriert - bei tausenden von Modulen fand die Sicherheitskommunikation jedoch nicht zwischen den einzelnen Einheiten statt, sondern folgte dem Trusted-Domain-Konzept mit der zertifikatsbasierten Authentifizierung am zentralen Eingangsbereich.
Ein dritter wichtiger Punkt galt dem Datenschutz. Nicht alles, was technisch möglich ist, lässt sich in datenschutzrechtlicher Hinsicht auch realisieren. Vor allem übergreifende Prozesse wurden im Hinblick darauf gründlich unter die Lupe genommen.
Das "think big - start small"-Prinzip
Um die SOA beim BAMF auf ein solides Fundament zu stellen, wurde viel Wert darauf gelegt, die Architektur noch vor Beginn gründlich zu durchdenken und einen funktionsfähigen "Bebauungsplan" zu erstellen "Wir mussten sozusagen das Bild einer Stadt in ihrer Umgebung entwerfen, wie sie fertiggestellt aussehen soll," berichtet Softwarechef Munsi, "erst dann wurden die Straßen und die Infrastruktur genau eingezeichnet, bevor schließlich der Plan für die einzelnen Häuser erstellt wurde." Mit diesem fertigen Gesamtbild im Blick wird die Einteilung der einzelnen Bauphasen und der jeweils besten Reihenfolge übersichtlicher.
Das erste "Haus" ist vor etwa zwei Jahren für die Integrationskurs-Anwendung entwickelt worden. Für die Teilnahme der Migranten an den Sprach- und Orientierungskursen sind in den mehr als 600 Einzelbehörden die notwendigen Module von der individuellen Prüfung der Voraussetzung über die Bewilligung bis zur Abrechnung in die jeweiligen Softwarelösungen integriert. Die Daten des jeweiligen Teilnehmers werden dann einem der knapp 2.000 Kursanbieter zur Verfügung gestellt, wo sie von der Anmeldung über die Anwesenheitsliste bis hin zur statistischen Auswertung am Ende des Kurses für sämtliche Geschäftsprozesse genutzt werden - und das angesichts einer IT-Heterogenität, die "von selbstgestrickten Excel-Tabellen bis zur unternehmenseigenen Software" die ganze Palette umfasst, so Kausik Munsi. Inzwischen haben mehrere Hunderttausend Migranten diese Kurse besucht, gegenüber der zeitintensiven formulargebundenen Abwicklung hat sich die Prozessabwicklung mit Hilfe von SOA für alle beteiligten Stellen klar in Form von Zeitersparnis ausgezahlt.
Mit dem Einbürgerungstest ist inzwischen das "zweite Haus" fertiggestellt worden. Diese Einbürgerungstests sind seit September 2008 Pflicht für Migranten, die keinen deutschen Schulabschluss gemacht und die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt haben. In dem vom BAMF entwickelten Verfahren werden ähnlich wie bei einer Abschlussprüfung beim e-Learning nach dem Zufallsprinzip 33 Fragen aus 335 ausgewählt, vor Ort ausgedruckt und den Testkandidaten vorgelegt. Damit die Tests möglichst manipulationssicher verlaufen, erfolgt die Auswertung beim BAMF, die Testergebnisse werden dem Anbieter zurückübermittelt. Als Extra-Service für die Migranten steht ein Sprachtest im Internet zur Verfügung. Der Test selbst kann in mehr als 500 Prüfstellen in Deutschland abgelegt werden. Weitere geplante "Häuser" im Bebauungsplan des BAMF sind zusätzliche Hochsicherheitsanwendungen sowie Services für den Dolmetscherdienst und Verwaltungsakten.
Ein ganz zentraler Pluspunkt dabei ist, dass bei kurzfristigen Änderungsvorgaben diese schnell und sicher umzusetzen sind. BAMF-Mann Munsi erklärt: "Wenn sich herausstellt, dass eine Straße zu schnell befahren wird, lässt sich an einer Straßenecke auch kurzfristig eine Ampel aufstellen". Wenn bei föderalen Strukturen beispielsweise auf Länderebene weitere Besonderheiten, beispielsweise aufgrund von Gesetzesänderungen, zu integrieren sind, so lassen sich diese spezifischen Anforderungen mit SOA schnell und sicher umsetzen. Auch in dieser Hinsicht ist SOA für den Föderalismus offenbar ideal geeignet.