Tom und Violet sind ein junges Paar in San Francisco. Er ist Koch, vom Typ her Teddybär. Sie ist angehende Psychologin und sehr hübsch. Sie verloben sich und wollen bald heiraten.
Doch dann bekommt Violett ein Angebot, für zwei Jahre als Post-Doc an einer Universität zu arbeiten, allerdings in Ann Arbor, im US-Bundesstaat Michigan, in der tiefsten Provinz. Tom nimmt es gelassen: Sind ja nur zwei Jahre, er werde schon ein Restaurant finden. Violet macht sich trotzdem Sorgen. Sie will Tom nicht zumuten, sich für sie aufzuopfern. Tom, der gute Kerl, beharrt: Nein, nein, ist schon in Ordnung.
Doch - natürlich - ist bald nichts mehr in Ordnung. Der zum Anhängsel seiner erfolgreichen Verlobten degradierte Tom findet in Ann Arbor kein gutes Restaurant und muss stattdessen koschere Sandwiches mit Gurken belegen.
Und dann werden aus den zwei Jahren bald fünf. Violett steht eine große Psychologenzukunft bevor, und Tom verliert die Geduld. Er löst die Verlobung, geht zurück nach San Francisco und wird Restaurant-Chef.
Das ist keine wahre Geschichte, sondern nur der Plot von "Fast verheiratet", einer Hollywood-Komödie. Aber es könnte eine wahre Geschichte sein, denn hinter dem Klamauk steckt eine kluge Analyse der Gegenwart: Der Konflikt zwischen Arbeit und Liebe im Zeitalter der völligen Gleichberechtigung der Geschlechter.
Familie und Beruf im Dauerkonflikt
Die Zusammenleben eines Paares - und erst Recht die Gründung einer Familie mit Kindern - ist, wenn beide ihr Glück im Beruf suchen, noch zerbrechlicher geworden als es ohnehin immer war. Bei jedem Karriereschritt droht eine Gefahr für die Liebesbeziehung und die Familie: Wenn der eine Partner für eine neue Stelle umziehen muss, was macht dann der andere? Pendeln und dadurch eine allmähliche Entfremdung riskieren? Mitkommen und selbst beruflich zurückstecken - wie Tom in "Fast verheiratet"? Beides ist riskant. Je erfolgreicher, anerkannter und zufriedener der arbeitende Partner ist, desto eher nagt am zuhause bleibenden, nachgebenden Partner das zerstörerische Gefühl, Chancen zu verpassen und die ersehnte Anerkennung nicht zu erhalten.
Familienarbeit und vor allem Kindererziehung wird zu wenig anerkannt - von der Gesellschaft aber auch vom arbeitenden Partner. Zumindest empfinden das oft diejenigen, die zeitweilig zuhause bleiben, also meist die Frauen. Die Soziologin Christine Wimbauer hat das bei ihren Interviews mit Paaren in Deutschland festgestellt ("Wenn Arbeit Liebe ersetzt", Campus-Verlag 2012). "Wir haben uns einmal mörderisch gestritten, weil ich aufgeräumt habe und Simon das nicht gesehen hat", erzählt eine gewisse Sara Saar, die Wimbauer in ihrem Buch zitiert. Wahrscheinlich können die meisten modernen Paare von solchen Situationen berichten.
Die offene Frage moderner Paare
Das Verhältnis von Erwerbsarbeit und Liebe ist in jeder Paarbeziehung oder Familie eine offene Frage. Gewinnt die Arbeit die Oberhand? Ersetzt möglicherweise sogar die Arbeit den Platz im Leben, den eigentlich die Liebe einnehmen sollte? Oder wird die Arbeit zugunsten der Familie und des Partners beschränkt?
In jeder Gesellschaft ist die Art und Weise, wie Männer und Frauen zusammen leben und lieben, abhängig von der Art und Weise wie sie arbeiten. Das Bürgerliche Zeitalter, das mit der Industrialisierung und der Trennung von Wohn- und Arbeitsplatz zu Anfang des 19. Jahrhunderts begann, war die große Zeit für das romantische Liebes- und Familienideal.
Die Bürgersfrau war für das Heim, die Familie und auch die Liebe zuständig. Der Mann ernährte die Familie, und erfuhr, wenn er nach getaner Arbeit heimkehrte, von seiner Frau Anerkennung für die materielle Sicherheit, die er ihr bot. Die Frau der gehobenen Schichten erhielt Anerkennung für die Kinder, die sie gebar, und die Geborgenheit, die sie dem Ernährer bot. Und im besten Falle liebten sich beide auch.
Der lange Marsch der Frauen
Dieses romantische Ideal der Liebesehe war die Rechtfertigung für das auf Unterordnung und rechtlicher Benachteiligung der Frauen beruhende Gesellschaftsmodell. Sie sollten sich gegenseitig ergänzen, und idealerweise für den jeweils anderen da sein. Er ernährt sie mit, sie zieht die gemeinsamen Kinder mit groß.
Zu diesem Modell gehörte, dass Frauenarbeit stigmatisiert wurde. Die Zugehörigkeit zur Klasse konnte man bis vor wenigen Generationen daran erkennen, ob die Ehefrauen arbeiteten oder nicht. Nur die ärmsten Frauen arbeiteten außerhalb der Familie, Bauersfrauen und Kleinbürgerinnen mussten zumindest die Hausarbeit selbst machen. In besseren Familien taten die Ehefrauen und Töchter nichts, was irgendwie an Arbeit erinnerte. Das war Voraussetzung für ein hohes soziales Ansehen der Familie. Die Gattin eines Gutsbesitzers oder Großkaufmanns hätte niemals freiwillig Hausarbeit, geschweige denn Erwerbsarbeit verrichtet. Fontanes unglückliche Romanheldin Effi Briest muss erst als Hauslehrerin Geld verdienen, als ihr Mann sie verstößt. Die ultimative Schande für eine Frau aus guter Familie im 19. Jahrhundert.
Weg von der Ein-Ernährer-Familie
Der lange Marsch der Frauen in die Berufstätigkeit ist nicht nur eine Geschichte der Befreiung. Die frühen Feministinnen rissen sich nicht in erster Linie darum, dass Frauen Unternehmen gründen oder Managerin werden durften. Sie waren Schriftstellerinnen, Wissenschaftlerinnen, Intellektuelle. Sie wollten volle Bürgerrechte und vor allem Zugang zu den Universitäten. "Ein eigenes Zimmer" forderte Virginia Woolf in ihrem berühmten gleichnamigen Aufsatz von 1929- und 500 Pfund im Jahr, was damals eine angenehme Existenz ermöglichte. Vom Recht, Marketing-Bereichsleiterin werden zu dürfen, ist bei den großen Feministinnen des 19. und 20. Jahrhunderts keine Rede.
Die Geschichte der Frauenberufstätigkeit ist nicht nur eine Geschichte der Selbstbefreiung von an den Herd gefesselten Heimchen. Natürlich war ein eigenes vom Ehemann unabhängiges Einkommen eine Bedingung für die vollständige Emanzipation. Aber mindestens ebenso wichtig, wie der Wunsch der Frauen nach Arbeit, war und ist der Wunsch der Arbeitgebern nach der Verdopplung des Arbeitskräftereservoirs. Tatsächlich mussten die Frauen, die Türen der Wirtschaft nicht einrennen. Sie wurden reingebeten.
Die Frauenemanzipation und die Auflösung der klassischen Versorgerfamilie ab den späten Sechziger Jahren kamen der Wirtschaft nämlich gerade recht. Es gibt, wie der Soziologe Wolfgang Streeck nachgewiesen hat, einen positiven Rückkopplungsprozess zwischen immer flexibleren Arbeitsmärkten und immer flexibleren Familienverhältnissen. Die Anforderungen der Wirtschaft nach mobilen Arbeitskräften und die Auflösungserscheinungen der Ein-Ernährer-Familie schaukeln sich gegenseitig hoch.
Verlierer dieser Entwicklung ist die Stabilität von Beziehungen und Familien. Das allein muss man nicht generell bedauern. Den vielen unglücklichen Ehen des bürgerlichen Zeitalters, die nur durch ökonomischen Zwang zusammengezwungen blieben und Millionen gescheiterter Schicksale erzeugten, sollte niemand nachtrauern. Und auf den Gewinn der Frauen an persönlicher Freiheit und finanzieller Unabhängigkeit will sicher niemand mehr verzichten, auch die Männer nicht.
Was man sehr wohl bedauern kann, ist der generelle Bedeutungsverlust von Liebe und Familie in einer Gesellschaft, die für beide Geschlechter keinen anderen Lebensentwurf mehr akzeptiert als lebenslange Erwerbsarbeit und kein anderes Lebensziel als beruflichen Erfolg.
Berufliche Opfer für die Liebe
Anerkennung anderer Menschen gewinnt man in der heutigen Gesellschaft in erster Linie für berufliche Leistungen. Die Achtung vor familiären "Leistungen", vor allem die für Mütter, ist entwertet. In wenigen Jahrzehnten hat hier ein radikaler und fataler Wertewandel stattgefunden. Keine Kinder zu haben, war noch vor wenigen Generationen ein Makel, vor allem für Frauen, für die es keine andere Anerkennungsquelle gab.
Heute ist es umgekehrt: Bekommt eine Frau Kinder und gibt dafür zeitweilig das Arbeitsleben auf, gewinnt sie nicht Anerkennung, sondern droht sie zu verlieren. Der Arbeitgeber und zunehmend auch die öffentliche Meinung üben Druck aus, so bald wie möglich wieder zu arbeiten. Sie vermitteln der Frau dadurch das Gefühl, dass ihre Mutterschaft eine leidige Unterbrechung von etwas wichtigerem ist. Viele Mütter, das zeigt die Studie von Wimbauer, fühlen sich "abgeschnitten" von Anerkennung. Mütter von vielen Kindern werden allenfalls bemitleidet. Das fehlende Sozialprestige von Elternschaft ist eine verhängnisvolle Krankheit unserer Gesellschaft.
Die Falle der Anerkennung
Liebe und Familie werden im Leben vieler Menschen durch das Selbstverwirklichungsversprechen der modernen Arbeitswelt zur Nebensache degradiert oder zu einer professionellen Team-Beziehung umgewandelt. Wimbauer nennt das die Anerkennungsfalle: Die "Liebe" der Arbeit, also durch Leistung erworbene Anerkennung, soll die Liebe eines Partners ersetzen. Das erscheint sehr viel unkomplizierter und risikoärmer. Der Versuch ist zum Scheitern verurteilt. Denn Liebe wird eben gerade nicht durch Leistung erworben, sondern bedingungslos. Im Berufsleben ist jeder ersetzlich. Aber wer wirklich geliebt wird, ist für den Liebenden nicht zu ersetzen. Und genau darum ist Liebe so unendlich kostbar und erstrebenswert.
Arbeit ist ein Segen. Sie schafft nicht nur die materiellen und immateriellen Grundlagen des Lebens, sondern auch die Anerkennung, nach der Menschen als soziale Wesen streben. Aber Arbeit kann auch ein Fluch werden, wenn ihrem Selbstverwirklichungsversprechen das Liebesglück geopfert wird.
Den Fluch kann man aber bannen. Niemand zwingt uns, in die Anerkennungsfalle zu tappen. Das Mittel der Wahl ist alt und seit Jahrtausenden bewährt: Es ist die Kardinaltugend der Mäßigung. Im bürgerlichen Zeitalter mussten Männer und Frauen das richtige Maß zwischen Arbeit und Liebesleben nicht suchen, es war vorgegeben: Er war für die Arbeit zuständig, sie für die Pflege der Liebe. Heute müssen beide gemeinsam das Gleichgewicht auspendeln. Und das wird sich nicht einstellen, wenn beide ihr ganzes Gewicht in die Waagschale der Arbeit legen. Das heißt nicht unbedingt, dass Beruf und familiäre Aufgaben exakt aufgeteilt sein müssen. Vielleicht ist schon viel erreicht, wenn die Anerkennung für familiäre, nicht berufliche Arbeit des anderen wächst.
Tom und Violet machen es am Schluss des Films vor. Sie haben gelernt. Für ihre Liebe bringen sie berufliche Opfer. Beide. Sie hat ihre Psychologie-Professur in Michigan aufgegeben, er ist bereit, sein mobiles Tacco-Schnellrestaurant mitzunehmen - wohin auch immer. Und dann heiraten sie mit fünf Jahren Verspätung doch noch. (Quelle: Wirtschaftswoche)