Wer nach Uses Cases für die Blockchain sucht, sollte bei der TUI anrufen. IBM-Chefin Virginia Rometty hat es getan und sich über die Initiativen der TUI informiert, berichtet Elke Reichart, die ihre Karriere einst beim IBM-Konkurrenten Hewlett-Packard begann: "Wir beschäftigen uns seit fast zwei Jahren mit dem Thema und haben ein eigenes Entwicklungsteam aufgestellt." Der Touristikkonzern mit Hauptsitz in Hannover nutzt Distributed-Ledger-Technologien unter anderem zur Verwaltung von Hotelverträgen.
Das Blockchain Lab der TUI entwickelte dazu Anwendungen, die das Ausführen dezentraler Programme (Smart Contracts) in einer Blockchain ermöglichen. "Damit können wir Bettenkontingente einzelner Länder viel effizienter auf andere Regionen verteilen", erläutert die Managerin. Verfüge etwa TUI Deutschland über freie Kapazitäten in einem Hotel auf Mallorca, könne die britische Landesgesellschat darauf zugreifen und ihren Kunden die Zimmer anbieten: "Mit Hilfe von Smart Contracts stellt unsere Blockchain ungenutzte Zimmer konzernweit zur Verfügung und erledigt dabei auch die interne Verrechnung." Die Auslastung sei mit dem neuen System deutlich gestiegen. Früher war das Verschieben von Hotelkontingenten zwischen einzelnen Ländern zudem mit erheblichem manuellen Aufwand verbunden.
Reichart will das Thema noch weiterverfolgen. In einem Pilotprojekt testet die TUI derzeit eine Plattform, über die Kleinstanbieter auch kurzfristig Reiseausflüge wie etwa einen Segeltörn feilbieten können. Die Vertragsverwaltung übernehmen Smart Contracts auf der Blockchain.
IT-Organisation der TUI Group
Seit Februar 2018 ist Reichart Chief Digital Officer (CDO) und Leiterin der Group IT. Als Geschäftsführerin des konzerneigenen IT-Dienstleisters TUI Infotec zeichnet sie für rund 800 IT-Mitarbeiter verantwortlich.
Zu ihren wichtigsten Aufgaben gehört das Umsetzen der Digitalisierungsstrategie, die bei der TUI Group stark vom Topmanagement getrieben wird. Das ehrgeizige Ziel lautet: Die TUI soll eine "Tech-Company" in der Reisebranche werden. "Das waren natürlich beste Voraussetzungen für den Einstieg als CDO", blickt Reichart zurück. "Ich musste nicht als Evangelist durch die Abteilungen wandern, sondern konnte sofort loslegen." Standardisierte Systeme für den ganzen Konzern gehören dabei zum Pflichtprogramm, denn die TUI Group ist nach zahlreichen Übernahmen auch in Sachen IT heterogen aufgestellt.
Megatrends in der Touristikbranche
Reichart studierte VWL, Romanistik und Informatik an den Universitäten Gießen und Montpellier. Als Digitalchefin der TUI muss sie vor allem die großen Trends in der Touristikbranche im Auge behalten. Der wichtigste ist für sie die Individualisierung und Personalisierung von Reisen. Die TUI will ihren mehr als 20 Millionen Kunden künftig individualisierte Angebote machen und beispielsweise schon mehrere Wochen vor Reiseantritt auf zusätzliche maßgeschneiderte Sportangebote und Ausflüge hinweisen.
Im Visier hat der Konzern auch die Millennials, sprich jüngere Kunden, die ihre Reisen häufig über mobile Endgeräte planen. "Diese Zielgruppe ist sehr preissensitiv", erläutert die Managerin. Wegen ihres begrenzten Budgets legten solche Kunden großen Wert auf transparente und planbare Kosten. Die TUI halte deshalb etwa im Hotelsegment entsprechende Kontingente vor, entwickle aber auch zusätzliche Services wie Abendprogramme speziell für jüngere Interesssenten.
Dabei helfen sollen Analytics- und Machine-Learning-Systeme, die auf Grundlage von Kundenprofilen automatisiert passgenaue Serviceangebote machen. Reichart: "Besonders interessant ist hier der Zeitraum zwischen Buchung und Reiseantritt, in dem wir einen exklusiven Zugang zu den Kunden haben."
Kernsysteme wandern in die Cloud
Eine weitere Anforderung an die IT laute: "Wir wollen es dem Kunden so einfach wie möglich machen, eine Reise zu buchen." Immer häufiger geschehe das zwar via App auf dem Mobiltelefon. Doch auch andere Wege behielten ihre Berechtigung. Gehe es etwa um komplexere Reisen, ließen sich auch jüngere Kunden noch gerne im Reisebüro beraten. Die TUI lege Wert auf Wahlmöglichkeiten und bilde diese auch in der IT ab.
Zum Thema Komfort und Einfachheit gehört für die Digitalchfin auch, dass Kunden möglichst alle Dokumente und Reiseinformationen aus einer Hand erhalten: "Dann geht es nicht mehr nur um Hotelreservierungen, sondern beispielsweise auch um Abholzeiten vom und zum Flughafen bis hin zur Bordkarte, die der Kunde in der TUI-App vorhalten kann."
Die technische Basis für solche Angebote bilden künftig Public-Cloud-Plattformen. Die TUI hat sich strategisch für Amazon Web Services (AWS) entschieden und will bis 2023 alle eigenen Rechenzentren schließen und die Workloads in die Cloud migrieren. Reichart spricht von einer umfassenden IT-Transformation und betont: "Wir wollen ausdrücklich keine Hybrid Cloud. Unser Ziel ist die Public Cloud mit zunächst nur einem Anbieter." Erst langfristig peile man eine Multi-Cloud-Umgebung an, um eine zu starke Abhängigkeit von einem Provider zu vermeiden. Dann kämen auch andere Cloud-Schwergewichte wie Microsoft und Google ins Spiel. Reichart: "Auch die Alibaba Cloud schauen wir uns an."
Die "Cloud Journey" des Touristikkonzerns begann 2017. Bis heute ist etwa ein Viertel aller Business-Anwendungen in die Public Cloud gewandert. Dazu gehören auch Kernsysteme wie die Buchungsplattformen. Ein zentrales Argument für die Cloud war die Möglichkeit, Lastspitzen effizienter abzudecken, berichtet die IT-Chefin.
Von November bis Januar, wenn die meisten Kunden ihren Sommerurlaub buchen, sind die Plattformen am stärksten frequentiert. Danach sinkt die Last und ein großer Teil der IT-Infrastruktur bleibt ungenutzt. Anders in der Cloud: Die TUI könne die Kapazitäten bei Bedarf jederzeit zurückfahren, so Reichart. Erste Effekte seien 2018 sichtbar geworden, also in der ersten vollen Saison im Cloud-Betrieb. Die Antwortzeiten auf den Buchungsplattformen hätten sich im Durchschnitt um 35 Prozent verringert, obwohl die Suchanfragen im selben Zeitraum um 18 Prozent gestiegen seien.
In der Amazon-Cloud nutzen die Hannoveraner neben Compute- und Storage-Diensten auch KI- und Machine-Learning-Systeme des Providers. Die dafür benötigten Daten konsolidiert die TUI im AWS-eigenen Data Lake. Außen vor ist bislang noch die SAP-Landschaft. CRM- und HR-Systeme (SAP SuccessFactors) bezieht der Konzern zwar aus der Cloud des Walldorfer Softwareanbieters. Das Finanzsystem arbeitet aber noch klassisch im On-Premise-Betrieb. Mittelfristig denkt Reichart über S/4HANA nach, die Migration in die AWS-Cloud habe jedoch Vorrang. Erst ab 2026 will sich die IT-Chefin ernsthat mit dem Umstieg auf das neue SAP-Kernsystem befassen.
Erfolgsfaktor Weiterbildung
Erfolgsentscheidend für die Cloud-Strategie ist der IT-Managerin zufolge das Thema Weiterbildung: "Wir setzen stark darauf, inhouse Kompetenzen auszubauen." Dafür habe der Konzern ein stattliches Budget zur Verfügung gestellt, mit dem man "100 Prozent des Infrastrukturteams und 80 Prozent der übrigen IT-Mitarbeiter" in Cloud-Technologien schulen werde. Das Thema spiele eine besondere Rolle und werde von den Kollegen gut angenommen. Darüber hinaus gibt es Weiterbildungsangebote zu den Themen Artificial Intelligence, Blockchain, DevOps und agiles Arbeiten.
Alexa spricht mit TUI-Kunden
Der digitale Umbau betrifft nicht nur die IT-Infrastruktur. In der Kundenbetreuung experimentiert die TUI Group beispielsweise mit Chatbots, die Amazons Spracherkennungstechnik Alexa nutzen. Dafür hat der Konzern bislang drei Alexa-Skills entwickelt. Die Bots informieren Kunden beispielsweise über Reiseziele oder weisen auf aktuelle Rabattaktionen hin.
Sprachtechnologien werden für die TUI immer wichtiger, betont Reichart. Das Ziel sei eine natürlichsprachige Kommunikation mit Kunden, die künftig auch komplexere Wünsche mit einem digitalen Assistenten besprechen können sollen. Ein Beispiel: "Suche mir ein Hotelzimmer auf Kreta für sieben Nächte im Zeitraum Anfang bis Mitte September."
In diesem Technologiefeld spreche die TUI unter anderem mit Google, aber auch mit kleineren Startups, die teilweise noch innovativere Lösungen als die Cloud-Riesen böten, vor allem im Bereich Natural Language Processing.
Agilität trifft Wasserfall
Die klassische IT-Organisation ist für derartige Projekte nur bedingt geeignet, sagt die Digital-Managerin. Aus ihrer Sicht ist die kontrovers diskutierte "Bimodal IT" in vielen Bereichen Realität. So greife die TUI Group beispielsweise in SAP-Projekten durchaus noch auf klassische Methoden nach dem Wasserfallmodell zurück; Laufzeiten von mehreren Monaten sind dabei eher die Regel als die Ausnahme. In anderen Bereichen setze man dagegen konsequent auf agile Methoden mit wöchentlichen Sprints und wesentlich kürzeren Release-Zyklen.
"Das Business muss dabei mitziehen", gibt Reichart zu bedenken: "Wenn es kürzere Release-Zyklen gibt, erwarten wir natürlich auch ein rascheres Feedback aus den Fachabteilungen." Ginge es nach ihr, würde die IT in einigen Bereichen täglich neue Releases ausliefern. Denn auch im Touristikgeschä gelte die Devise: "Die Schnelleren werden gewinnen."