Jeder Beruf hat seine eigene Sammlung von Abkürzungen, Akronymen und Schlagwörtern, die als Kurzbezeichnungen für Techniken, Trends und Tools dienen. In der IT ist das nicht anders. Doch im Gegensatz zu anderen Disziplinen neigt die Sprache der IT dazu, auf die Unternehmenskultur und die Gesellschaft selbst überzugreifen. In der Werbung werden Cloud Computing und datengesteuerte Entscheidungsfindung angepriesen, Menschen loben ihre neuesten Apps, vergleichen die User Experience und unterhalten sich über Downloads oder Implementierungen. Und mal ehrlich: Wann hat sich das letzte Mal jemand (außerhalb der Finanzwelt) über Amortisation oder Asset Allocation unterhalten?
Aber auch wenn Menschen lieber über Technik reden, verwenden sie nicht immer die richtige Terminologie. Oder sie übernehmen Phrasen. Oder überstrapazieren sie. Oft bis zu dem Punkt, an dem sie verwirrend oder irritierend sind und ihre wahre Bedeutung verloren haben. Vor diesem Hintergrund haben wir eine Reihe von Tech-Führungskräften befragt, um missbräuchlich verwendete Schlagworte aus der IT in Erfahrung zu bringen.
Digitale Transformation
Die digitale Transformation führt die Liste der missbräuchlich verwendeten IT-Buzzwords klar an. Das sollte niemanden in der IT-Branche - oder in der Geschäftswelt im Allgemeinen - überraschen, da fast jede Veränderung (ob groß oder klein) inzwischen als transformativ bezeichnet wird. "Dieser Begriff wird mittlerweile stark überstrapaziert und scheinbar für die Implementierung jeglicher digitaler Funktionen verwendet", kritisiert Ryan Smith, CIO von Intermountain Healthcare.
Seine Forderung: "Der Begriff sollte eigentlich für die Konvergenz digitaler Technologien verwendet werden - beispielsweise von Mobilgeräten, Cloud, Daten und anderen Devices -, um einen traditionellen Geschäftsprozess grundlegend umzukrempeln, der entweder digitale und physikalische Anknüpfungspunkte miteinander verbindet oder eine rein digitale Alternative zu einem traditionellen Prozess bietet." Zudem erfordere eine echte digitale Transformation in der Regel den effektiven Einsatz von Führung, digitalen Technologien und operativem Change Management.
Strategisch
Auch der Begriff "strategisch" verdient einen Platz auf dieser Liste, meint George Westerman, Senior Lecturer an der MIT Sloan School of Management und CIO Award Co-Chair des MIT Sloan CIO Symposium. Seiner Ansicht nach denken Menschen fälschlicherweise, sie gehen strategisch vor, nur weil sie ein Geschäftsziel haben, auf ein bestimmtes Ziel hinarbeiten oder - im Falle des CIO - dem CEO unterstellt sind. "Strategisch wollen wir alle sein, aber wenn man wirklich strategisch vorgeht, weiß man, wohin man will und hat einen Plan, um dorthin zu gelangen, auch wenn man auf dem Weg einige Umstellungen vornimmt", fügt Westerman hinzu.
Agil
Die Menschen von heute wollen nicht nur strategisch vorgehen, sie halten sich auch gerne für agil. Im Büro kann jedoch Verwirrung entstehen, wenn Mitarbeiter und insbesondere IT-Teams von Agilität sprechen. Meinen sie damit, dass sie anpassungsfähig sind? Oder sprechen sie über die Entwicklung von Software nach der agilen Methodik? Jim A. Jorstad, Interims-CIO an der University of Wisconsin-La Crosse, sagt, er habe gehört, dass der Begriff "agil" auf eine Reihe von Konzepten angewandt wird. Jorstad plädiert dafür, dass sich Unternehmen und IT-Abteilungen bei der Verwendung des Schlagworts stärker an die Entwicklungsmethodik halten. "Es geht nicht nur um Flexibilität und Anpassungsfähigkeit oder schnelle Veränderungen. Agile ist viel spezifischer als das", sagt er. "Es ist eine Arbeitsmethodik, und ich glaube nicht, dass die meisten Leute wirklich wissen, was damit gemeint ist."
Nachfragesteuerung
CIOs sehen sich überall mit einer langen Liste von Anfragen konfrontiert, was sie dazu zwingt, die wichtigsten Projekte zu priorisieren. Aber die Vorstellung, dass sie die Anforderungen der Stakeholder managen können oder sollten, trifft die Realität nicht wirklich - und hat dem Begriff einen Platz auf dieser Liste eingebracht. "Es gibt viele verschiedene Stakeholder mit vielen verschiedenen Bedürfnissen, die sich wöchentlich zu ändern scheinen. Dieser ständige Wandel steigert die Anforderungen an die IT-Abteilung. Die Vorstellung, dass die IT-Abteilung die Nachfrage steuern kann, ist jedoch falsch. Die IT-Abteilung kann lediglich ihre Kapazitäten steuern", argumentiert Susan Snedaker, CIO bei El Rio Health und Mitglied der ISACA Emerging Trends Working Group.
Bandbreite
Auch der Begriff Bandbreite erhält hier eine Stimme, da er häufig missbräuchlich verwendet wird. Zwar hat das Wort eine technische Bedeutung, aber inzwischen wird es fälschlicherweise als Einheit für die verfügbare Zeit verwendet. "Es geht um Geschwindigkeit und Kapazität, nicht um Ihre eigene verfügbare Zeit", moniert Jorstad. "Bandbreite ist ein Wort, das ablenkt. Sagen Sie also einfach, was Sie meinen: 'Ich habe keine Zeit, daran zu arbeiten.'"
No-Code / No-IT
Mehrere CIOs bezeichneten diese Begriffe als Unwörter und wiesen darauf hin, dass erstens jede Software Code enthält (auch wenn die Benutzer ein wenig programmieren können, ohne tatsächlich programmieren zu müssen) und zweitens die Bereitstellung von Unternehmenssoftware immer noch IT-Arbeit erfordert. "Dies ist eines der schlimmsten Schlagwörter, die ich verwendet und missbraucht sehe. Ich ärgere mich immer, wenn ich auf der Website eines Lösungsanbieters lese, dass 'keine IT erforderlich' ist", so Snedaker.
Dahinter stecke mehr als ein sprachliches Problem, sagt sie. "Die Werbung 'keine IT erforderlich' führt Unternehmen sowie Endanwender in die Irre und schafft einen potenziell gefährlichen Pfad zur Schatten-IT ", erklärt Snedaker. "Auch wenn die Lösung eines Anbieters keine große IT-Beteiligung erfordert, so ist doch immer ein gewisses Maß an IT-Arbeit erforderlich - von der Bewertung der Sicherheit der Lösung insbesondere in regulierten Branchen bis hin zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen Bereitstellung für Benutzer sowie von der Gewährleistung der Sicherheit der Unternehmensdaten bis hin zur Sicherstellung der Rückführung der Daten."
Und sie fügt hinzu: "Die IT-Abteilung sollte immer als Partner am Tisch sitzen, wenn es darum geht, die von der Unternehmensleitung genehmigten IT-Lösungen für den Einsatz im Unternehmen zu ermöglichen."
KI, maschinelles Lernen und Smart Tech
Vielleicht haben die Menschen zu viel Vertrauen in die Quasi-Wissenschaft der "Terminator"-Filme gesetzt, oder der Begriff verwirrt sie, aber viele Tech-Manager bezeichnen künstliche Intelligenz und einige verwandte Begriffe als die am meisten missverstandenen Schlagworte. "Der Bereich des maschinellen Lernens ist eine gute Quelle für die derzeit falsch verwendeten Buzzwords. Dies gilt vor allem für die Überbewertung der Vorhersagekraft trainierter Modelle. Selbst gründlich trainierte Modelle geben selten absolute Antworten, sondern nur statistisch wahrscheinliche", sagt Tammy Bilitzky, CIO des Data Conversion Laboratory.
Data Warehouse
Als Interimschef der IT-Abteilung des Reinvestment Fund erhält Barry Porozni viele Anfragen nach einem Data Warehouse - obwohl es eigentlich die Daten sind, die seine Kollegen brauchen. "Der Begriff wurde mit allen möglichen Daten in Verbindung gebracht, und er hat ein Eigenleben entwickelt. Wir hören also: 'Wir brauchen ein Data Warehouse', obwohl es eigentlich um den Zugang zu Daten geht", sagt Porozni. Glücklicherweise, so fügt er hinzu, wird der Begriff hauptsächlich von Nicht-IT-Mitarbeitern missbraucht, und das IT-Team findet in der Regel schnell heraus, worum es den Kollegen wirklich geht.
Big Data, Data Mining, Actionable Analytics
Porozni ist nicht der Einzige, der auf die falsche Verwendung von Begriffen aus dem Bereich "Daten" hinweist. Auch Bilitzky fügt der Liste Big Data, Data Mining und Actionable Analytics hinzu und meint, dass es nach wie vor Missverständnisse darüber gibt, was sie bedeuten und was sie tatsächlich leisten. "Dieses Trio wird immer noch ständig verwendet, oft in Verbindung mit den Schlagwörtern KI und ML", sagt sie. "Es wird suggeriert, dass es sich dabei um Push-Button-Funktionen handelt, aber das ist immer noch nicht der Fall."
Zwar stimme es, dass fast alle Unternehmen signifikanter Größe mit skalierbaren Computing-Leistungen und Datenkonvertierungsfunktionen aus der Cloud bereits Systeme rund um Big Data implementiert hätten. Die Unternehmen würden zunehmend den Wert ihrer Daten und die Herausforderungen erkennen, die mit der effektiven Erfassung und Harmonisierung von Daten aus unterschiedlichen und oft unübersichtlichen Quellen verbunden sind. "Aber von diesem Punkt an geht es nicht mehr reibungslos weiter. Trotz all der Analytics-Produkte auf dem Markt erfordert eine umsetzbare Analyse immer noch Fachwissen und menschliche Intelligenz, um die Daten mit all ihren Nuancen zu verstehen und zu interpretieren, die Schlussfolgerungen zu überprüfen und die Problembereiche auf eine klare Art und Weise zu identifizieren, was erst zu einer praktikablen Planung führt."
Microservices
Um im technischen Bereich zu bleiben, weist Bilitzky auch auf Microservices hin. "Microservices sind ein Architekturstil, der eine lose gekoppelte Gruppe von Diensten umfasst, von denen jeder einfach zu testen und unabhängig voneinander sein sollte und nur ein Minimum an Funktionalität offenlegt. Stattdessen versteht man darunter inzwischen jedes System, das mehr als einen Webservice-Aufruf verwendet", sagt sie.
Multi-Cloud
Ken Piddington, Vizepräsident und CIO von U.S. Silica, weist auf den vielfach falschen Gebrauch des Begriffs Multi-Cloud hin. Er hält sich an die, wie er es nennt, "wahrhaftigste Definition", die lautet: "Sie haben ein einziges System mit mehreren Cloud-Komponenten von verschiedenen Cloud-Anbietern oder -Services aufgebaut." Viele Menschen würden jedoch denken, dass Multi-Cloud ein Unternehmen beschreibt, das eine Mischung aus Cloud-Anbietern und Software-as-a-Service-Angeboten nutzt.
"Wir sehen, dass mehr Business-Manager es falsch verstehen, aber auch einige Techniker", sagt Piddington. "Ich glaube nicht, dass es das Ende der Welt ist, wenn man Multi-Cloud falsch verwendet, aber es hat mich immer gestört. Wenn man den Unterschied erst einmal verstanden hat, kann man sich besser über die Herausforderungen und die Gründe für die Nutzung unterhalten."
IS versus IT
Isaiah Nathaniel, Vizepräsident und CIO von Delaware Valley Community Health, bezeichnet die falsche Verwendung von IS und IT als leicht problematisch, aber vor allem als nervig. Seiner Meinung nach werden Informationssysteme und Informationstechnologie oft austauschbar verwendet, obwohl sie nicht dasselbe sind. Um noch einmal auf die eigentliche Definition zurückzukommen: IS bezieht sich traditionell auf die Technologie, die Menschen und die Prozesse - und ist damit breiter gefasst als der auf die Technologie fokussierte Begriff der IT.
Zudem weist Nathaniel auf den synonymen Gebrauch von Telemedizin und Telehealth hin, da Telehealth ein breiteres Spektrum an Remote-Services umfasst als Telemedizin. Obwohl solche Unterscheidungen trivial erscheinen mögen, sagt Nathaniel, dass er gerne auf sie hinweist: "Es ist eine gute Info für einen Trivia-Spieleabend." Allerdings könne die Uneinigkeit über die Bedeutung bestimmter Begriffe manchmal geschäftliche und strategische Diskussionen behindern.
Emerging Tech
Piddington sagt, er habe die Erfahrung gemacht, dass viele Leute jede Technologie, die für ihr Unternehmen neu ist (oder einfach nur neu in ihrem Wortschatz ist), gerne als aufstrebende Technologie (Emerging Technology) bezeichnen, obwohl sie in vielen Fällen bereits ausgereift ist. In dieses Lager ordnet er beispielsweise KI, RPA und IoT ein.
Meta
Es gibt eine ganze Reihe von Begriffen, Technologien und Konzepten, die sich in dieser Kategorie zusammenfassen lassen. Dazu gehören Metaverse, Blockchain, Krypto, digitale Zwillinge und NFTs. Wie Ram Palaniappan, CTO von TEKsystems, erklärt, geht es beim Metaverse darum, "ein Äquivalent in einer virtuellen Welt zu schaffen", doch er und andere sagen, dass viele Menschen immer noch Schwierigkeiten haben, sich mit dieser Idee anzufreunden.
New Normal
New Normal ist ein weiterer Begriff, der sowohl für seine übermäßige Verwendung als auch für seinen Mangel an echter Bedeutung kritisiert wird. "In meinen mehr als 20 Jahren in der Technologiebranche haben wir eine Reihe von Ereignissen erlebt, die den Wandel beschleunigt haben: den Dot.com-Crash im Jahr 2001, die Finanzkrise 2008 und die jüngste Pandemie", sagt Dan O'Brien, Senior Vice President of Solutions Engineering beim Technologieunternehmen Presidio. "Ich bin zu der Erkenntnis gelangt, dass Veränderungen konstant erfolgen, das Blatt oft zum Besseren wenden, und dass sie eigentlich 'normal' sind. Erst wenn die Technologie nicht mehr im Mittelpunkt steht, um Veränderungen in unserem Leben und unseren Erfahrungen zu ermöglichen, werde ich mir Sorgen machen und Angst vor einer Welt haben, die wirklich 'das neue Normal' ist."
Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag unserer US-Schwesterpublikation cio.com