Diversity als Wettbewerbsvorteil

Wer fremde Märkte verstehen will, braucht "fremde" Mitarbeiter

28.06.2016 von Christiane Pütter
In der globalen Wirtschaftswelt können Unternehmen nicht bestehen, wenn sie nur von älteren weißen Männern aus der Mittelschicht geleitet werden. Wer sich neue Märkte erschließen will, hat mehr Erfolg, wenn er deren Vertreter in der eigenen Belegschaft hat. Diese Thesen vertritt der Berater und Autor Edgar Geffroy.
  • Die Angst vor dem Unbekannten beginnt schon bei der Frage Rechts- oder Linkshänder
  • Die Arbeitsplätze sollten die Märkte spiegeln, die das Unternehmen bedienen will
  • Die Frauenquote ist Chance, nicht Strafe
Consultant Edgar Geffroy fordert, Mitarbeiter zur "Herzenssache" zu machen.
Foto: Edgar Geffroy

"Lasst uns froh und bunter sein" - diesen Appell schickt Edgar Geffroy in die deutschen Unternehmen. Der Consultant und Autor widmet Diversity in seinem neuen Buch "Herzenssache Mitarbeiter" ein eigenes Kapitel. Darin untersucht Geffroy die Hemmnisse für Diversity und gibt Anregungen fürs Gelingen.

Zunächst interessiert sich Geffroy für die üblichen Lippenbekenntnisse: "Auf Unternehmensebene wird gern betont, dass man über Vorteile statt Vorurteile nachdenken soll, wenn es um das Miteinander geht", beobachtet er. Gleichzeitig gesteht er Entscheidern zu, Bewerber und Partner vorzuziehen, die ihnen selbst ähnlich sind. Das beginnt schon bei der Frage Links- oder Rechtshänder - und ist einfach menschlich.

Aber in einer sich globalisierenden Welt können Unternehmen nicht bestehen, wenn sie ausschließlich von älteren weißen Männern aus der Mittelschicht geleitet werden. Schließlich darf der Kunde ja alles sein. Herkunft und Hautfarbe, Religion und Geschlecht spielen keine Rolle, wenn es um den Verkauf von Produkten und Dienstleistungen geht. Wer sich also neue Märkte erschließen will, hat mehr Erfolg, wenn er deren Vertreterinnen und Vertreter in der eigenen Belegschaft hat. Geffroy sagt: "Je mehr Vielfalt in einem Unternehmen, desto größer die Zahl der Märkte, die verstanden werden." Entscheider sollten sich zum Ziel setzen, dass die Arbeitsplätze die Märkte spiegeln, die das Unternehmen bedienen will.

Der neue Königsweg zu Diversity

Der Consultant verdeutlicht das an einem Beispiel. Ein Konzern, der eine Vertriebsstruktur in Korea aufbauen will, kann mehrere Manager dorthin schicken. Diese brauchen während ihres Aufenthalts mindestens einen Dolmetscher, der sich "hoffentlich mit den fachspezifischen Termini auskennt". Vertriebsexperten mit Praxis-Erfahrung in Korea und sehr guten Sprach- sowie Kulturkenntnissen sind rar. Gibt es aber jemanden im Haus, der jahrelang dort gelebt hat, mit einer Koreanerin verheiratet ist und seine Kinder zweisprachig erzieht, so ist dieser Mitarbeiter von sehr hohem Wert.

Von so hohem Wert, dass er sich möglicherweise gar nicht von einem einzelnen Unternehmen einspannen lassen möchte, wie Geffroy betont. Independent Professionals (kurz "iPro") nennt er Menschen mit so raren Kenntnissen. Der Consultant glaubt, dass Outsourcing an solche unabhängigen Experten ein neuer Königsweg zur Diversity sein kann. Diese iPros wissen ihre gefragten Skills zu vermarkten und ziehen die selbstbestimmte Existenz der klassischen Festanstellung vor. Geffroy schätzt, dass "in den letzten zehn Jahren EU-weit einige Millionen iPros die Selbstständigkeit gewählt haben", wobei der Begriff in Deutschland noch nicht gängig ist.

Freiberufler-Markt 2016: Was Personaldienstleister erwarten
Freiberuflervermittler reden Klartext
Scheinselbständigkeit, Wachstumschancen 2016, Kandidatenmarkt - das waren nur einige der Themen, über die die rund 20 Personaldienstleister diskutierten, die die COMPUTERWOCHE im Oktober 2015 zum Freiberufler-Roundtable in die Redaktion geladen hatte.
Luuk Houtepen, Sthree
Luuk Houtepen ist Head of Business Development DACH bei Sthree. Das erste Wort, das er in Deutschland lernte, war "Passt ned!". Da sucht ein bayerischer Konzern händeringend IT-Spezialisten und bekommt einen Kandidaten aus Hamburg vorgeschlagen - die Antwort lautet "passt ned".
Andreas Krawczyk, Freelancer.Net
Andreas Krawczyk, Chief Operation Officer (COO) bei Freelancer.Net, beobachtet, dass die viel zitierte Offenheit durchaus auch auf Seiten der IT-Freien fehlt. "Freiberufler sind auch oft passiv", sagt er, "sie kümmern sich zu wenig um Akquise."
Marco Raschia, top itservices
Marco Raschia, Director des Global Competenc Center Finance bei top itservices, sagt über die konservative deutsche Unternehmenskultur: "Diese Thematik haben wir ja jetzt durch die aktuelle Flüchtlingskrise auf dem Tisch." Er begrüßt, dass viele Bildungsträger Sprachkurse anbieten.
Christian Neuerburg, DIS AG
Ein weiterer großer Schmerzpunkt ist die unklare Rechtslage, Stichwort Scheinselbständigkeit. Christian Neuerburg, Manager Operations bei der DIS AG, legt denselben Katalog an Prüfkiterien an Selbständige zugrunde wie die deutsche Rentenversicherung. Neuerburg weiß: Eben jener Katalog der Rentenversicherung ist keine Drohkulisse, sondern "gelebte Realität".
Nikolaus Reuter, Etengo
Nikolaus Reuter, Vorstandschef von Etengo, engagiert sich gemeinsam mit dem Deutschen Bundesverband Informationstechnologie für Selbständige (DBITS) und leistet Lobbyarbeit auf bundespolitischer Ebene. Er sagt: "Selbst Andrea Nahles hat mit dem Dialogprozess 'Arbeiten 4.0' verstanden, dass sie ein hundert Jahre altes Gesetzeswerk nicht einfach in neue Formen klopfen kann."
Michael Girke, Q-Perior
Wie Michael Girke, Partner bei Q-Perior, beobachtet, beschäftigt das Thema Scheinselbständigkeit ganze Compliance-Abteilungen. Manche Branchen allerdings wollen schon gar nicht mehr mit Freiberuflern zusammenarbeiten, etwa Risiko-averse Versicherungen.
Daniela Kluge, Gulp
„Wir Dienstleister haben es mit zwei herausfordernden Zielgruppen zu tun. Auf der einen Seite steht der selbstbewusste Freiberufler, der weiß, was er kann und was er wert ist. Auf der anderen Seite sind die Endkunden nicht mehr bereit, jeden Preis zu zahlen. Trotzdem ist der durchschnittlich erzielte Stundensatz der IT- und Engineering-Freiberufler in 2015 laut unserer Stundensatz-Umfrage um 50 Cent marginal auf 80,50 Euro gestiegen - ein Anzeichen für einen starken Kandidatenmarkt."
Andreas Dittes, Talentwunder
„Die Fachkräfte wissen um ihren Wert. Vor allem die jüngere Generation hat nicht nur finanzielle Ansprüche, sondern erwartet von ihrem Auftraggeber Flexibilität, etwa in Hinblick auf eine Vier-Tage-Woche oder eine Home-Office-Regelung.“
Sven Herzberg, Goetzfried
„Diese Erwartungen der Generation Y (Teilzeiteinsatz, Home Office, etc) decken sich häufig aber nicht mit denen des Kunden. Ein IT-Freiberufler hat in der Regel vor Ort zu sein, auch anderswo werden keine Kompromisse gemacht: So gilt Deutsch nach wie vor als Projektsprache. Ohne Deutschkenntnisse wird es für Freiberufler schwierig, ein Projekt zu finden.“
Carlos Frischmuth, Hays
„Deutsche Unternehmen wünschen sich zu einem überwiegenden Anteil den Einsatz deutschsprachiger Freiberufler in der IT - allerdings verzeichnen wir parallel dazu eine kontinuierliche Öffnung der internationalen Projektmärkte insbesondere für IT-Freelancer aus Deutschland!“
Andreas Nader, Questax
„Unsere Kunden erwarten nach wie vor, dass der Freiberufler bei Ihnen vor Ort im Einsatz ist, zum einen weil die freiberuflichen Experten ihr Wissen an die Mitarbeiter weitergeben sollen. Zum anderen erfordern etwa agile Methoden wie Scrum, dass alle Entwickler präsent sind und sie sich mitunter täglich austauschen und untereinander abstimmen.“
René Troche, Westhouse Consulting
„In großen Unternehmen entscheidet der Einkauf, welche Freiberufler beauftragt werden. Und sie arbeiten in der Regel nur noch mit vier bis fünf Personaldienstleistern zusammen. Mehr Offenheit und Breite findet man in kleinen und mittelständischen Betrieben.“
Stefan Frohnhoff, emagine
„Das Thema Scheinselbständigkeit sorgt sowohl bei Unternehmen als auch bei Freelancern schon seit geraumer Zeit für Unsicherheit.“
Shahin Rejaei Pour, iPAXX
„Ein IT-Experte ist ein Mensch, man kann ihn nicht wie eine Ware bestellen und aus dem Regal holen.“
Maxim Zvezdan Probojcevic, SOLCOM
„Der Markt wächst auch deshalb, weil die Auftraggeber mit der Qualität, die deutsche Freelancer abliefern, sehr zufrieden sind.“
Frank Shams, 1st Solution
"Ich habe den Eindruck, dass ein Freiberufler oft auf einen Skill reduziert wird. Dabei besteht das eigentliche „ Können" darin, ihn mit all seinen „Fähigkeiten" zu bewerten.“

Ein weiteres Stichwort ist die Geschlechterfrage. Der Consultant spricht offen über den "Erfolgsfaktor Frau", weil er Frauen nicht für eine stille Reserve hält, sondern für eine "Geheimwaffe". Bestückt ist diese Waffe mit Fähigkeiten wie Empathie, Besonnenheit, Kommunikationsfähigkeit, Konsensbereitschaft und Kontaktfreude. Geffroy: "Sind das nicht genau die Charaktereigenschaften, die hohe Führungskompetenz garantieren?"

Die Angst der Männer

Dass Deutschland vergangenes Jahr eine 30-Prozentquote für weibliche Aufsichtsräte einführen musste, will der Berater nicht als Strafe verstanden wissen, sondern als Chance. Den Widerstand gegen die Quote kommentiert Geffroy so: "Mir scheint, als hätten die Männer in Führungspositionen Angst um ihre eigenen Aufstiegsmöglichkeiten."

Women create Tech
Frauen vernetzen sich
Women create Tech nennt sich ein neues Netzwerk, das Frauen in der IT- und Technikbranche zusammenbringen soll. Auftakt in Deutschland ist der 24. März in München.
Initiatorin Charlotta Asell
Hinter "Women create Tech" steht Charlotta Asell. Die Schwedin ist Product- and Communication Manager beim Payment-Anbieter Klarna. Aussagen wie "Es gibt nunmal keine Frauen in der Technik-Branche" akzeptiert Asell nicht mehr.
Start in Stockholm
Asells Netzwerk-Treffen startete voriges Jahr in Stockholm. Rund 1.000 Frauen kamen.
Deutscher Treff in München
Am 24. März 2015 steigt "Women create Tech" erstmals in Deutschland, und zwar in München. Asell erwartet etwa 250 Frauen. Warum nicht Berlin? "München ist ein europaweiter Tech Hub", erklärt die Initiatorin.
Andrea Pfundmeier, Boxcryptor
Eine der Sprecherinnen auf dem ersten deutschen "Women create tech"-Treffen ist Andrea Pfundmeier. Die 27-Jährige ist Mitgründerin von Boxcryptor, einem Spezialisten für Datensicherheit in der Cloud. Sie sagt: „Wir müssen endlich von der Vorstellung wegkommen, dass Informatik nichts für Frauen sei."
Tina Nunno, Gartner-Analystin
Tina Nunno, Vice President & Fellow beim US-Marktforscher Gartner, hat die Studie „CIO Agenda 2015: A gender perspective“ geleitet. Die Studie basiert auf Angaben von knapp 3.000 IT-Verantwortlichen aus 84 Ländern. Eines der Ergebnisse: Frauen erreichten 2015 eine Budgetsteigerung um 2,4 Prozent, ihre männlichen Kollegen nur um 0,8 Prozent. Eine vergleichbare Studie aus dem Vorjahr zeigte fast das identische Ergebnis.

Der Consultant kennt die Argumentation gegen diese Regelung. Die Quote führe nicht nur in Kontrollgremien, sondern unternehmensübergreifend zu Problemen. Eine Position müsse an eine Frau vergeben werden, auch, wenn sich mehrere, besser qualifizierte Männer bewürben. Geffroy: "Diese Meinung steht allerdings auf wackligen Füßen." Denn hätten qualifizierte Frauen solche Positionen früher bekommen, wäre die ganze Quoten-Diskussion überflüssig. "Männer halten in solchen Fragen nun einmal nicht viel von Selbstverpflichtung", seufzt Geffroy.

Nicht das "Fremde", sondern das Unbekannte

Treiber der Diversity müssen auf jeden Fall die Führungskräfte sein, fordert der Berater. Diese brauchen den Mut zur Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Psychologie. Für Geffroy geht es dabei gar nicht um die Angst vor "dem Fremden". "Schließlich vertrauen wir in allen Fragen auf Wikipedia, dem gebündelten Wissen von Fremden", sagt er. Sondern es geht um die Angst vor dem Unbekannten. Und um solche Fragen: Wie wird sich unsere Gesellschaft oder auch unser Unternehmen unter neuen Aspekten verändern? Muss ich Opfer bringen, obwohl ich es gar nicht möchte?

Früher musste ein Unternehmen dem Wettbewerb einen Schritt voraus sein - heute muss es den Bedürfnissen der Kunden einen Schritt voraus sein, wie die Erfolge von Facebook und Apple beweisen. Dazu Geffroy: "Genau an diesem Punkt setzt Diversity an. Man ist anders, man denkt anders - und wird bereits dadurch zum Gewinn. Wenn möglichst viele unterschiedliche, subjektive Weltanschauungen miteinander kollidieren, kann durch sanfte Explosion Neues entstehen."