IT-Organisation neu aufstellen

Wer ins Digitalteam gehört

11.07.2016 von Werner Kurzlechner
Unternehmen suchen die passende Organisation für die Digitalisierung. Business-Analysten sind noch kostbarer geworden als IT-Profis, wie Forrester feststellt.
  • Im Durchschnitt hat ein Team 94 Mitarbeiter, darunter 18 IT-Fachleute
  • 27 Prozent klagen über IT-Fachkräftemangel
  • Die Firmen behelfen sich mit Outsourcing, falls das möglich ist
  • 13 Prozent der Teams berichten an den IT-Chef
Die IT ist bei digitalen Teams das Segment mit der ausgeprägtesten Personalknappheit. Dennoch sind Firmen momentan noch stärker auf der Suche nach anderen Fachleuten, vor allem Business-Analysten.
Foto: Forrester Research

Wer momentan die Zahl seiner Mitarbeiter im digitalen Team fulminant nach oben schraubt, muss sich einen Verdacht gefallen lassen: Womöglich hinkt so ein Unternehmen der Entwicklung hinterher. Wie eine Studie von Forrester Research zeigt, gibt es bei Aufbau und Personalrekrutierung im digitalen Business aktuell nämlich einen Paradigmenwechsel. Die Phase, in der zentrale Digitalisierungsmannschaften aufgestellt und zügig ausgebaut wurden, neigt sich dem Ende zu.

Auf der Agenda steht indes eine Aufgabe, die vielschichtiger ist. Es gilt zu justieren, in welchem Maße digitales Know-how auch - oder sogar vorwiegend - in den Fachbereichen zu verankern ist. Notabene fragen sich viele Unternehmen offenbar, welches Maß an Zentralisierung des Themas in ihrem Fall das richtige ist.

Stabilisierung auf niedrigerem Niveau

Keineswegs folgenlos bleibt diese Entwicklung für den Bedarf und letztlich die Knappheit an IT-Fachkräften, wie Forrester-Analyst Martin Gill in seiner Studie "Trends 2016: Staffing and Hiring for Digital Business" ausführt. Die Lage in Zahlen gefasst: Durchschnittlich bestand eine weltweit aktive Online-Abteilung 2015 aus 94 Mitarbeitern; von 76 Mitarbeitern im Jahr 2011 gab es einen zunächst rasanten Anstieg auf ein Maximum von 103 Mitarbeitern im Jahr 2013. Seither erfolgt eine Stabilisierung auf etwas niedrigerem Niveau.

Wie digitale Teams heute aussehen

IT-Experten haben nach wie vor das höchste Gewicht in den digitalen Teams. In einer durchschnittlichen Truppe befinden sich laut Studie 18 Fachleute für IT, Entwicklung und Infrastruktur, 15 Marketingmenschen und 13 Experten für den Betrieb. Daneben zählen zum Team mittlerer Größe unter anderem neun Kundendienstmitarbeiter, acht Kreative, die sich um Usability und Kundenerlebnis kümmern, sieben Produktmanager und ebenso viele Business-Analysten.

Kienbaum über die Vergütung von Digitalisierungsverantwortlichen
Kienbaum: Vergütung von Digitalisierungschefs
Wer hat in deutschsprachigen Unternehmen in Sachen Digitalisierung den Hut auf – diese Frage steht im Zentrum einer Studie von Kienbaum. Die Berater haben mit 80 Unternehmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz gesprochen.
Länderspezifische Unterschiede
Wer in einer österreichischen Firma als Spezialist/Experte die Digitalisierung verantwortet, muss sich mit 48.300 Euro zufrieden geben. Wer eine solche Position auf Vorstandsebene in der Schweiz innehat, kann bis zu 533.200 Schweizer Franken verdienen.
Länderübergreifender Blick
Länderübergreifend verdienen Digitalisierungsverantwortliche im Schnitt rund 150.000 Euro im Jahr, darin sind etwa zehn Prozent variable Vergütungsbestandteile enthalten.
Position selten besetzt
Erst gut jede zehnte Firma (elf Prozent) hat einen Hauptverantwortlichen für das Thema Digitalisierung ernannt.
Verortung
Die Frage, in welchem Bereich Unternehmen Digitalisierung verorten, bringt kein einheitliches Bild. 35 Prozent nennen die IT, aber fast jeder zweite Befragte (48 Prozent) nennt „Andere“ – eine Sammelkategorie, unter die das Qualitätsmanagement fallen kann, die Compliance-Abteilung, das Customer Relationship Management (CRM) und weiteres.

Gerade diese Analysten sind derzeit offenbar besonders schwer zu rekrutieren. 69 Prozent der Unternehmen klagten darüber, so Gill. Auch Kreative und Produktmanager sind laut Studie aktuell schwerer zu finden als IT-Profis. Und das ist eine neue Entwicklung, denn bislang galten gerade sie als besonders gesucht. Und ja, irgendwie ist das paradoxerweise immer noch so.

Denn fragt man die Unternehmen, wo aus ihrer Sicht der Fachkräftemangel besonders ausgeprägt ist, dann nennen 27 Prozent den IT-Bereich - mit Abstand die häufigste Antwort. 22 Prozent fühlen sich zu schlecht ausgestattet mit Business-Analysten, jeweils 13 Prozent beklagen Personalknappheit im Marketing und bei den Kreativen.

31 Prozent haben digitale IT ausgelagert

Das Paradox lässt sich mit einem Wort auflösen: Outsourcing. 31 Prozent der 64 von Forrester befragten Unternehmen haben die IT für ihr elektronisches Geschäft ausgelagert. Im Gegensatz dazu findet Outsourcing im Marketing oder bei den naturgemäß geschäftskritischen Business-Analysen kaum statt. Dieser Gegensatz zwischen In- und Aushäusigkeit erklärt, warum IT-Personal für digitale Teams auf den ersten Blick nicht mehr so schwer zu finden ist wie andere Fachkräfte: Im IT-Bereich sorgt die Option der Zusammenarbeit mit Dienstleistern für Linderung der Personalknappheit, anderswo ist das nicht der Fall.

Die quantitativen Entwicklungen an der Oberfläche des Personalmanagements korrespondieren indes mit einem qualitativen Paradigmenwechsel. "Das kometenhafte Größenwachstum der digitalen Teams stößt an Grenzen und außerdem verändern sich Gestalt, Gesicht und Rolle der digitalen Teams, weil Teams innerhalb der Fachbereiche die Verantwortlichkeit für die digitale Ausführung übernehmen und weil Technologiemanagement-Teams die digitale Entwicklung managen", beobachtet Analyst Gill. Der Fokus der digitalen Teams verschiebe sich hin zu Strategie und Governance.

Wie House of Fraser die Organisation umgebaut hat

Gill illustriert das Vorantasten hin zur optimalen Organisation für die Digitalisierung am Beispiel des britischen Handelsunternehmens House of Fraser. Im Jahr 2015 erfolgte dort eine Neuausrichtung, die sich mit bekannten Schlagworten umreißen lässt: Niederreißen alter Silostrukturen, kundenzentrierte Reorganisation, Verschmelzung von klassischem und webbasiertem Marketing, Einrichtung eines digitalen Produktmanagement- und Delivery-Teams. Klingt sehr ambitioniert. Laut Forrester zeichnet sich am Horizont aber bereits für dieses Jahr eine noch fundamentalere Reorganisation bei House of Fraser ab.

40 Prozent setzen auf Zentralisierung

Hinter dem konkreten Beispiel zeigt sich eine allgemeine Unentschiedenheit in den Firmen darüber, wie das digitale Geschäft am besten zu organisieren ist. Zwei Fünftel vertrauen auf die eine zentralisierte E-Business-Einheit. 33 Prozent bevorzugen ein hybrides Modell, in dem digitale Skills unternehmensweit eingebettet sind - Funktionen wie beispielsweise Merchandising oder Supply Chain dienen hier sowohl Online- als auch Offline-Kanälen. Weitere 26 Prozent setzen auf eine Vielzahl an E-Business-Gruppen in den einzelnen Fachbereichen und eine Zentralisierung lediglich von bestimmten Funktionen.

Ernst&Young über Digitalisierung: Chance oder Jobkiller?
Digitalisierung und ihre Auswirkungen
Die Berater von Ernst&Young üben sich in Dramatik: ob die digitale Arbeitswelt Chance sei oder „Jobkiller“, stellen sie ihrer Befragung von mehr als 1.000 deutschen Arbeitnehmern voran. Teilgenommen haben sowohl Abteilungs- und Teamleiter als auch Sachbearbeiter.
Definition
Nur knapp jeder Vierte (23 Prozent) weiß mit dem Begriff Industrie 4.0 etwas anzufangen.
Bedeutung
Diese 23 Prozent verbinden mit Industrie 4.0 vor allem Digitalisierung/Informatisierung sowie Vernetzung von Maschinen und Anlagen und intelligente, selbstlernende Systeme beziehungsweise computergesteuerte Produktion und Prozesse.
Attraktiverer Job
Die Frage, ob die Digitalisierung den Arbeitsplatz attraktiver macht, hängt vom Alter ab.
Mehr Stress - oder weniger
Die Einschätzung der Auswirkungen von Digitalisierung weichen deutlich voneinander ab. Manche Befragte verspüren mehr Stress, andere dagegen weniger.
Information
Die Befragten fühlen sich innerhalb der Unternehmen nicht gut über die anstehenden Veränderungen informiert.
Qualifizierung
Nicht alle Unternehmen stellen ihren Mitarbeitern Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen für die Digitalisierung bereit.

Berichtswege an CIO und CMO

31 Prozent der zentralisierten Digitalteams berichten laut Studie ans Marketing/an den CMO, 28 Prozent definieren sich als eigenständige Gruppe - unter anderem mit separatem Budget. Autor Gill verweist hierzu darauf, dass dies nicht zwingend mit der Existenz einen Chief Digital Officer einhergeht. 13 Prozent berichten an die Firmen-IT/den CIO/den CTO.

Aufgaben der digitalen Teams

Kernaufgaben der digitalen Teams sind laut Studie immer noch die Firmenwebsite und mobile Kanäle im Allgemeinen. Die Hälfte der Teams ist darüber hinaus mit der Strategie mobiler Programme für einzelne Läden oder Zweige beschäftigt, ein Viertel hat den gesamten, also auch den nicht-digitalen Kundendienst in die Hand genommen. Auch im Produktentwicklungsbereich sind die digitalen Teams immer häufiger gefragt - naheliegend etwa im Zusammenhang mit Connected Cars, wofür Forrester die Beispiele Nissan und Volvo Cars nennt.

Analyst Gill empfiehlt auch digital noch unreifen Firmen, in diesem Feld an sich zu arbeiten - vor allem auch deshalb, um als attraktiver Arbeitgeber eine Chance im Buhlen um den besten Nachwuchs zu haben. Personelle Lücken sollten laut Forrester durch die Zusammenarbeit mit externen Partnern geschlossen werden, das Prinzip der "Customer Obsession" sollte in das eigene Organisationsmodell fest eingeschrieben werden. "Helfen Sie Teams aus den Fachbereichen dabei, die digitale Ausführung zu übernehmen", rät Gill schließlich. TUI Travel beispielsweise sei es gelungen, durch ein digitales Schulungsprogramm für seine Reiseleiter den digitalen IQ nach oben zu schrauben.