Die erste nutzungsbasierte Kfz-Versicherung läuft bei Norwich Union, einer Tochter von Aviva, der größten Versicherung Großbritanniens. Mit ihrem nutzungsbasierten Prämienmodell "Pay As You Drive" (PAYD) wirbelt der Versicherungskonzern den britischen Kfz-Markt durcheinander. PAYD bedeutet, dass die Versicherungsbeiträge sich nach der tatsächlichen Fahrzeugnutzung Streckenlänge, Fahrtziel und Tageszeit richten. Die Versicherungsprämie wird also danach errechnet, wann, wo und wie ein Auto gefahren wird. Nach der Pilotphase mit 5.000 Teilnehmern in Großbritannien und Nordirland beginnt Norwich Union jetzt mit der Vermarktung seines neuen Angebots.
Hinter dem Modell steckt moderne IT. Die Fahrzeuge werden mit einem GPS-Gerät ausgestattet, das in Echtzeit übermittelt, wo das versicherte Auto unterwegs ist. Seit Beginn der Pilotphase 2004 wurden bei den 5.000 Testteilnehmern über zehn Millionen Fahrten mit über 100 Millionen gefahrenen Kilometern aufgezeichnet. Ein Datenspeicher von Teradata sichert, dass die Versicherung auch bei großer Nachfrage in der Lage ist, die Abrechnungen durchzuführen und die Risiken individuell zu kalkulieren.
Jeden Tag und jede Fahrt werden im Data Warehouse gesammelt, aufbereitet und analysiert, die Informationen werden an das Rechenzentrum geschickt und dort in persönliche Prämien umgerechnet. So berechnet Norwich Union etwa jungen Fahrern Aufschläge, wenn sie nachts zwischen 23 und 6 Uhr fahren. Von IBM gelieferte Technologien liefern den Versicherungsmathematikern die Daten, auf deren Basis sie die Prämien festlegen - zusätzlich zu Fahrzeugmodell, Alter, Wohnort und Fahrhistorie der Versicherten.
Die gemeldete Strecke wird je nach Tageszeit und Route einer Tarifstufe zugeordnet. Am Monatsende erhält der Kunde eine genaue Abrechnung. Die Versicherung wirbt damit, dass so jeder sein individuelles Versicherungsprodukt bekommen könne. "Wir nutzen die neuesten Entwicklungen der GPS- und Data-Warehouse-Technologie, um unseren Kunden einen Tarif nach ihrem tatsächlichen Nutzungsverhalten und ihrer individuellen Risikostruktur zu bieten", sagt der CIO der Norwich Union, Alex Robinson.
In Deutschland will die Württembergische Gemeinde-Versicherung (WGV) aus Stuttgart etwas Ähnliches versuchen. Als Erstes startet sie mit der Verkehrssicherheitsstudie „young & safe“ ein Pilotprojekt mit 1.500 Fahranfängern. Es soll ihnen ein finanzielles Anreizsystem bieten, nicht schneller zu fahren als erlaubt. Die WGV bietet dafür um 30 Prozent niedrigere Prämien. Die technische Basis bildet eine im Auto eingebaute Freisprechanlage oder ein PDA von HP, in denen ein GPS-System integriert ist, das die Bewegungsdaten des Fahrzeuges erfasst. Die Kunden müssen zu der Freisprechanlage einmalig 500 Euro dazubezahlen.
15 Sekunden, um vom Gas zu gehen
Das in den Autos eingebaute Fahrerassistenzsystem überprüft die zulässige Geschwindigkeit und warnt bei Überschreitungen. Dann muss der Fahrer innerhalb von 15 Sekunden vom Gas gehen. Bei längerer Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit wird auf der On Board Unit ein Minuspunkt inklusive zulässiger Höchstgeschwindigkeit und gefahrener Geschwindigkeit gespeichert. Das darf nur zwölfmal im Jahr passieren, denn beim dreizehnten Mal wird der gewährte Rabatt widerrufen. Während Datenschutz bei den britischen Nachbarn kein großes Thema ist, ist die "Big Brother"-Furcht hierzulande weit verbreitet. "In Deutschland ist die Verfolgung von Bewegungsmustern sehr kritisch. Wir haben deswegen alles gründlich mit den Datenschützern abgestimmt", sagt Achim Schweizer, Abteilungsleiter Kfz-Versicherungen bei der WGV. Deshalb werden die Maluspunkte nur auf der On Board Unit gespeichert und erst bei Überschreitung des Punktestandes verschlüsselt an die WGV weitergeleitet.
Der Versicherungsnehmer kann jedoch jederzeit seinen Punktestand abrufen. Dieser wird vom Versicherungsnehmer angefordert und bei der nächsten Fahrzeugbewegung über den Betreiber aus der On Board Unit abgerufen. Der Versicherungsnehmer kann dann über seinen Schlüssel die Daten einsehen. Für Betreiber und Versicherung sind die Daten nicht lesbar
HP dient als Systemintegrator der fünf am System beteiligten Firmen. "Es ist ein völlig neues Geschäftsmodell für Versicherungen. Die Resonanz auf das Projekt ist sehr gut“, freut sich Uwe Krüger, Berater für Mobilty und Multimedia bei HP. PAYD ermöglicht durch die durchgängige elektronische Übermittlung aller relevanten Daten auch die Industrialisierung der Abläufe, bestätigt Detecon. Da die Fahrtdaten automatisch erfasst, übertragen und in Prämien umgerechnet werden, erwarten die Versicherungen sinkende Bearbeitungs- und Produktkosten. Und für die Versicherten liegt der Vorteil auf der Hand: Sie sind nicht mehr gezwungen, Fahrer mit hohen Risiken mitzufinanzieren, nur weil sie das gleiche demografische Profil aufweisen.