Gründer

Wer scheitert, gewinnt

14.12.2012 von Jens Tönnesmann
Jeder Unternehmer kann pleite gehen. Die Furcht davor ist hierzulande so stark, dass sie viele potenzielle Gründer ausbremst – dabei entpuppen sich Fehlschläge oft als wertvolle Erfahrungen.

Als er im Frühjahr 2006 seinen Job kündigte, sämtliche Ersparnisse zusammenkratzte und einen fünfstelligen Betrag in sein erstes Startup steckte, war sich Sascha Schubert seiner Sache ganz sicher: Eine Online-Plattform für Frauen wollte er aus der Taufe heben, die so ähnlich funktionieren sollte wie Xing oder StudiVZ. Soziale Netzwerke wie diese sorgten damals für Aufsehen, den Boom wollte Schubert nutzen. Name und Strategie hatte er schnell gefunden: Bondea sollte das Unternehmen heißen, für Mitglieder kostenlos sein und sich über den Verkauf von Anzeigen finanzieren.

Das Vorhaben passte zwar in die Zeit - ging aber trotzdem gründlich schief: Nutzerinnen und Investoren machten um Bondea einen Bogen - andere Netzwerke waren einfach attraktiver und schneller. Nach ein paar Monaten waren die Ersparnisse aufgebraucht und Bondea erledigt.

Heute kann Schubert über die Pleite lachen. Denn anstatt sich zu verkriechen, nahmen er und sein Mitgründer Florian Nöll noch einmal Anlauf und starteten Spendino, eine Spendenplattform im Internet. Dieses Mal setzten sie nicht auf einen großen Trend, sondern auf eine neue Nische. Und anstatt externe Entwickler zu bezahlen, suchten sie gleich zu Beginn einen Mitgründer, der programmieren konnte.

Die Folge: Ausgerechnet jene Business Angels, die ihnen bei Bondea eine Absage erteilt hatten, rannten ihnen nun die Türen ein. Mit dem Kapital konnten sie Spendino ausbauen, allein in den vergangenen zwei Jahren kamen darüber mehr als 350 000 Spenden mit einem Gesamtvolumen von mehreren Millionen Euro für Organisationen wie das Deutsche Rote Kreuz oder Unicef zustande. An jeder verdiente das Unternehmen ein paar Cent mit. Fünf Jahre gibt es Spendino jetzt - auch weil Bondea nur ein paar Monate überlebte.

Bis Schubert mit der Pleite so offen umgehen konnte, hat es eine Weile gedauert: "Die meisten Gründer sprechen erst über ihre Niederlage, wenn sie mal wieder siegreich vom Platz gegangen sind", sagt Schubert. "Dabei kann man aus Fehltritten die besten Lehren ziehen."

Scheitern ist ein Tabu

Schubert ist mit seinen Erfahrungen nicht allein - laut dem KfW-Gründungsmonitor scheitert in Deutschland jedes dritte Gründungsprojekt innerhalb von drei Jahren. Und dennoch zählt der heute 39-Jährige mit seinen offenen Worten zu den Ausnahmen: Denn Scheitern ist hierzulande ein Tabu.

Während in den USA Gründer ihre Misserfolge auf sogenannten Failure Partys mit Freunden und Kollegen feiern, ziehen es Unternehmer in Deutschland in der Regel vor, über die Pleite den Mantel des Schweigens auszubreiten. Die Angst vor dem Absturz ist so weit verbreitet, dass sie jeden Zweiten davon abhält, überhaupt ein Unternehmen zu gründen - in den USA immerhin nur jeden Dritten. Das zeigt der aktuelle Global Entrepreneurship Monitor. Der Studie zufolge ist die Furcht, als Unternehmer zu versagen, innerhalb Europas nur in den Krisenstaaten Griechenland und Spanien sowie in Polen größer als in der Bundesrepublik - nicht auszudenken, wie viele gute Ideen und Arbeitsplätze alleine deswegen auf der Strecke bleiben.

Natürlich ist Gründen riskant: Entrepreneure wagen sich mit neuen Geschäftsmodellen und Produkten auf unbekanntes Terrain. Sie müssen mit wenig Geld viel erreichen. Sie fällen Entscheidungen in Situationen, die sie nie zuvor erlebt haben. Sie genießen anfangs wenig Vertrauen bei Investoren, Kunden und Mitarbeitern. Sie müssen betteln, baggern, bohren.

Dabei unterlaufen ihnen zwangsläufig Fehler: Viele Gründer verlassen sich zu sehr auf einige wenige Kunden, planen nicht gut genug, zerstreiten sich mit ihren Mitgründern, investieren ihr Geld falsch oder wachsen zu schnell.

So ist es wenig überraschend, dass etwa der High-Tech-Gründerfonds, der seit 2005 fast 300 aussichtsreiche Startups finanziert hat, 36 davon in die Pleite begleitete und damit fast 40 Millionen Euro in den Sand setzte. Und selbst Serien-Unternehmer Oliver Samwer hat nicht nur erfolgreiche Firmen wie den Groupon-Klon Citydeal aufgebaut, sondern auch schon mehrere Projekte teuer beerdigt – zum Beispiel den Twitter-Klon Frazr. Nur: Darüber reden möchte Samwer nicht. "Scheitern ist nicht sein Thema", lässt er über seinen Pressesprecher ausrichten.

Krisen gemeinsam meistern

Dabei sind es gerade diese Fehler, die wertvolle Erfahrungen mit sich bringen. Und die Chance erhöhen, künftige Projekte zum Erfolg zu führen. Deshalb sitzt Spendino-Gründer Schubert auch im Vorstand des Berliner Entrepreneurs Club, der am 15. November ein Event aus den USA nach Berlin importiert, das es in Deutschland noch nie gegeben hat: die Failcon. Die Konferenz unter Schirmherrschaft von Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler will dazu beitragen, eine "Kultur der zweiten Chance" zu etablieren, und Gründern eine Bühne bieten, ihren Fehlern zu huldigen. Bei einem "Failpitch" kann jeder seine Irrtümer vortragen - und erzählen, was er daraus gelernt hat.

"Wir können das Scheitern nicht komplett verhindern", sagt Schubert, "aber wir können aus eigenen und fremden Fehlern lernen und die Angst davor nehmen."

Noch findet dieser Austausch weitestgehend im Verborgenen statt: zum Beispiel im Rahmen der Entrepreneurs’ Organization, einem Partner des WirtschaftsWoche-Gründerwettbewerbs. Immer wenn sich die Mitglieder in ihren Regionalgruppen treffen, erzählen sie, was in ihren Unternehmen schiefgelaufen ist. In der Regel kann jeder etwas dazu beitragen und von den Erfahrungen der anderen lernen.

Ähnlich läuft es im Gesprächskreis der Anonymen Insolvenzler, der in Köln erfunden wurde und den es inzwischen in mehreren deutschen Städten gibt. Er richtet sich an Unternehmer und Selbstständige, die eine Insolvenz hinter sich haben oder eine Pleite fürchten.

Die Idee dazu stammt von Attila von Unruh, den der Bankrott seines ehemaligen Unternehmens im Jahr 2005 in die Privatinsolvenz mitgerissen hat. Sechs Jahre lang musste von Unruh alles oberhalb der sogenannten Pfändungsgrenze an seine Gläubiger abführen, dann wurde er von seinen Restschulden befreit.

"Traumatisch und lebensbedrohend" hat von Unruh die Insolvenz empfunden - und nur die Gespräche mit anderen haben ihm geholfen, damit klarzukommen. "Wer scheitert, verliert sein Gesicht, wird sozial isoliert und bekommt mitunter nicht mal mehr ein Bankkonto", sagt von Unruh. Mit seinem Engagement als Gründerberater und Initiator der Gesprächskreise will er anderen Unternehmern helfen und dazu beitragen, dass hierzulande konstruktiver mit Krisen umgegangen wird. "Deutschland kann es sich nicht leisten, dass Potenziale brachliegen, nur weil Menschen keine zweite Chance bekommen."

Wissen weitergeben

Gabriel Yoran hat sich diese zweite Chance selbst erarbeitet: Als er mit vier Mitgründern das Startup Aka-Aki im Jahr 2006 in Berlin anschob, waren sie echte Pioniere. Das Team entwickelte ein Programm für Handys, das seinen Nutzern anzeigte, wenn sich andere Menschen mit ähnlichen Interessen in der Nähe aufhielten. So half es dabei, mit alten Freunden in Kontakt zu bleiben und neue zu finden. Was heute, im Zeitalter von Facebook und Smartphones, selbstverständlich klingt, war damals eine vollkommen neue Idee - Handys mit Internet-Zugang waren eine Seltenheit, Datentarife teuer und der Begriff "App" noch nicht im Durchschnittswortschatz der Deutschen angekommen. "Wir waren zu früh dran", sagt Yoran heute.

Eine Erkenntnis, die zu Beginn keiner aussprechen wollte. Medien im In- und Ausland berichteten über das Startup, und Investoren investierten in mehreren Schüben eine siebenstellige Summe, ohne den Gründern die Mehrheit der Anteile abspenstig zu machen. Alles deutete auf einen Erfolg hin. Die Probleme für Aka-Aki fingen an, als die Zahl der Nutzer auf einmal so schnell wuchs, dass die Server ihre Kapazitätsgrenzen erreichten. "Wir mussten die Plattform komplett neu aufbauen", sagt Yoran. "Das hat ein halbes Jahr Zeit und viel Geld gekostet."

Und dann kamen die Wettbewerber. Die Nutzer verbrachten weniger Zeit mit Aka-Aki, klickten auf weniger Werbebanner und kosteten deswegen irgendwann mehr Geld, als sie einspielten. Die Gründer sahen nur zwei Wege, um die Nutzer länger an sich zu binden: Aka-Aki musste entweder zur vollwertigen Dating-Plattform oder spielerischer werden. Die Gründer stimmten ab, eine knappe Mehrheit sprach sich für die Spiel-Variante aus. Das zu entwickeln dauerte allerdings fast ein Jahr länger als gedacht. "Und als es fertig war, floppte es", erzählt Yoran. "Da wurde klar: Das hat keinen Sinn mehr."

Im Sommer 2012 beerdigten die Gründer Aka-Aki ganz offiziell. Gabriel Yoran ist zu Steganos zurückgekehrt, einem Anbieter von Verschlüsselungssoftware, den er bereits 1997 im Alter von 17 Jahren mit zwei Schulfreunden gegründet hatte. Außerdem reist er durch Europa und gibt seine Erfahrungen in Seminaren an andere Gründer weiter - etwa im Rahmen der Berlin Startup Academy. "Aus Fehlern lässt sich mehr lernen als aus Erfolgen", ist Yoran überzeugt, "zum Beispiel, dass eine gute Idee allein nichts wert ist - es kommt darauf an, der Euphorie zu misstrauen und das Geschäft permanent zu analysieren und zu verbessern."

Lektionen verinnerlichen

Lars Hinrichs hat vor einigen Jahren 100 solcher Lektionen aufgeschrieben. Mit einem Partner hat er zur Jahrtausendwende im Dotcom-Boom ein Unternehmen gegründet und damit in kürzester Zeit etwa 1,5 Millionen Euro Risikokapital verbrannt - dann ging es pleite.

Heute bezeichnet Hinrichs den Fehlschlag gerne als "teuersten MBA-Kurs der Welt" und zitiert den Erfinder und Unternehmer Thomas Edison: "Fail your way to success" - "Scheitere dich zum Erfolg." Denn als er nach der Pleite das Business-Netzwerk Xing aufbaute, vermied er die meisten Irrtümer. Zum Beispiel legte er Wert darauf, dass es nicht zwei gleichberechtigte Chefs im selben Unternehmen geben dürfe. Mit Klaus Hommels fand Hinrichs sogar einen potenten Geldgeber, der den Wert des Fehlschlags hoch schätzte: Jetzt würde Hinrichs sehr viel vorsichtiger mit dem Geld umgehen, war Hommels überzeugt - und behielt recht. Im Jahr 2006, also gerade mal drei Jahre nach der Gründung, zählte Xing bereits 1,7 Millionen Nutzer und strebte als weltweit erstes Web-2.0-Unternehmen an die Börse.

Zwei Jahre danach verließ Hinrichs den Vorstand des Unternehmens und versilberte seine Anteile. Wieder schrieb er 128 Punkte auf - jetzt war schon die Hälfte davon positiv. Seitdem baut er neue Startups auf und gibt sein Wissen weiter. Zu seinen Investments zählt auch das Bonner Startup Doo, das eine Dokumentenplattform im Netz entwickelt und dafür mehrere Millionen Euro Risikokapital eingesammelt hat.

Doo-Gründer Frank Thelen gründet Unternehmen, seit er die Schule verlassen hat, darunter etwa den Fotosoftware-Dienst Iplabs, den er 2008 an Fujifilm verkauft hat - Presseberichten zufolge für 20 bis 30 Millionen Euro.

Auch diesem Erfolg ging jedoch eine Pleite voraus: Mit 18 Jahren hatte Thelen sein erstes Unternehmen aufgebaut und sich dabei so sehr verschuldet, dass er fast Privatinsolvenz anmelden musste. "Wenn man eine Million Miese hat, bringen die Zinsen einen fast um", erinnert sich Thelen. "Ich hatte immer wieder Nasenbluten, mein Körper rebellierte, ich fuhr meinen BMW zu Schrott." Sein wichtigster Ratschlag an Gründer lautet daher: "Geh niemals unter null."

Diesen Satz würde auch Daniel Hasagic unterschreiben. Es war der 14. Januar 2011, als er erkannte, dass sich sein Unternehmen mit großen Schritten der Zahlungsunfähigkeit näherte - und er vorläufige Insolvenz anmeldete. Ein grausamer Tag sei das gewesen, erzählt der 38-Jährige. Provivan, ein Anbieter von Nahrungsergänzungsmitteln mit 17 Mitarbeitern, war nach vier Jahren am Ende.

Profitabel nach drei Monaten

In den Jahren zuvor war das Unternehmen so sehr gewachsen, dass Hasagic die Kontrolle über Ausgaben und Einnahmen mehr und mehr verloren hatte. Er hatte ins Ausland expandiert und nicht damit gerechnet, dass dort mehr Kunden ihre Bestellungen nicht bezahlen als hierzulande. Und er hatte in einem Rechtsstreit um den Namen des Unternehmens den Kürzeren gezogen. "Wenn du weißt, dass du deine Mitarbeiter, Versicherungen und Kampagnen nicht mehr bezahlen kannst und deinen Namen aufgeben musst, dann bleibt dir nur ein Weg", sagt Hasagic, "und zwar zum Amtsgericht."

Doch der 38-Jährige steckte den Kopf nicht in den Sand, sondern dachte über seine Fehler nach. Dann nahm er noch einmal Anlauf. "Ich wusste ja jetzt genau, was ich tun muss und was nicht." Hasagic sammelte seine Ersparnisse ein und gründete in München das Unternehmen SanaExpert, das wie Provivan Nahrungsergänzungsmittel und diätetische Lebensmittel entwickelt und vertreibt - zum Beispiel Antiaging-Produkte und Diät-Drinks. Der Gründer prüfte den Namen genauer als bei Provivan und behielt die Zahlen akribisch im Blick - mit Erfolg: Das Startup wuchs kontrollierter und konstanter.

Nach drei Monaten war SanaExpert profitabel, inzwischen erwirtschaftet das Startup einen Millionenumsatz, zählt Tausende Kunden und beschäftigt 15 Mitarbeiter. "Ich habe meine vier größten Fehler im zweiten Anlauf vermieden", sagt Hasagic, "aus dem Scheitern habe ich nur das Beste gezogen."

(Quelle: Wirtschaftswoche)