IT-Leiter Joachim Marz spricht vom digitalen Zeitalter wie von der zweiten Geburt. CeWe Color ist europäischer Marktführer im "Fotofinishing", wie die Branche auf Neudeutsch heißt. Früher verdiente das Unternehmen sein Geld, indem es die Negative der Urlauber zu schönen Fotos entwickelte. Dieser Service büßte allerdings in Rekordgeschwindigkeit seine Tragfähigkeit ein: 191 Millionen Fotofilme gingen laut Photoindustrie-Verband noch im Jahr 2000 über die Verkaufstresen, 2008 waren es nur noch 30 Millionen Stück – ein Einbruch von 85 Prozent. Die Mehrheit knipst heute digital, viele denken nur noch vor dem Bildschirm an ihre Reisen zurück.
Oder sie lassen doch Abzüge der besten Motive machen, verschenken Kalender mit eigenen Fotos, schlürfen ihren Frühstückskaffee aus Tassen mit ihrem Lieblingsbild und blättern in professionell gemachten Fotobüchern mit Wikipedia-Erklärungen zu den besuchten Sehenswürdigkeiten. Genau diesen Wachstumsmarkt hat sich CeWe Color in den vergangenen Jahren erschlossen und so erfolgreich seine Verluste im Feld der analogen Fotografie abgefedert.
Oma Gerda und Onkel Franz, die ihre lieb gewonnenen Kameras weiterhin benutzen, werden zwar nicht links liegen gelassen. "Wir machen immer noch 20 Prozent unseres Umsatzes im Analogbereich", sagt Joachim Marz. Aber zu den Laboren, in denen nach wie vor Filme im Silber-Halogenit-Verfahren entwickelt werden, sei beispielsweise in der Oldenburger Zentrale Europas größte Digitaldruckerei hingekommen, wie der CIO nicht ohne Stolz berichtet. An elf von 13 Standorten in Europa bedrucken rund 50 Digitaldrucker DIN-A3-Bögen vierfarbig.
Klangvolle Namen wie Agfa sind weg
420 Millionen Euro Umsatz machte CeWe Color nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr. Der Marktanteil in Europa beträgt 40 Prozent. Der unangefochtene Spitzenplatz erklärt sich auch damit, dass andere Wettbewerber den Umbruch nicht bewältigen konnten oder wollten. Ehedem klangvolle Namen wie Agfa sind vom Fotomarkt gänzlich verschwunden, andere wie Kodak gaben ihr Fotofinishing auf. Vor allem aber hat sich CeWe Color selbst gut aufgestellt und zum Beispiel den osteuropäischen Markt erobert. In Ungarn, der Slowakei und Polen liegt der Marktanteil bei 90 Prozent und darüber, in Tschechien bei 75 Prozent.
In Deutschland sind es immerhin 45 Prozent. Basis dieses Erfolgs ist heute die digitale Fotografie. 2002 noch stellte das Unternehmen knapp 39 Millionen Digitalfotos her, 2008 waren es mehr als 1,78 Milliarden Stück. Als aktuellen Verkaufsschlager betrachtet das Unternehmen seine Fotobücher. 2008 explodierte bei 2,6 Millionen Stück die Nachfrage gegenüber dem Vorjahr um fast 75 Prozent, noch 2005 wurden lediglich 71.000 Exemplare verkauft.
Geschäftsmodell Business-to-Business-to-Consumer ist ein Dogma
Diese exorbitante Wachstumsrate zeigt schon, dass es sich hier um ein junges Marktsegment handelt. Und das in einem Unternehmen, das fest in den Wirtschaftswunderjahren der jungen Bundesrepublik wurzelt. Firmengründer Heinz Neumüller heiratete 1949 die Tochter des Fotohändlers Carl Wöltje, dessen Initialen dem seit 1961 bestehenden Unternehmen den Namen gaben. Bei so viel Tradition ist das Beharren auf alten Erfolgsrezepten nicht überraschend. Das Geschäftsmodell Business-to-Business-to-Consumer sei für sein Unternehmen ein Dogma, sagt Joachim Marz.
Die Endverbraucher bringen ihre Filme, CDs oder Speicherkarten also weiterhin in die Filialen der Handelspartner - nahezu alle bekannten Drogerie- und Elektronikmärkte, Kaufhäuser und Fotohandelsketten. Oder sie erwerben ihre Fotobücher im Internet - beispielsweise bei Amazon - und gestalten sie dann mit der Software von CeWe Color am eigenen Rechner. Immer noch B2B2C also, aber unter völlig anderen Bedingungen. "Bei allem Jubilieren: Wir sind zwar nie in die roten Zahlen gerutscht, mussten aber auch Arbeitsplätze abbauen", so Marz. 4000 Mitarbeiter beschäftigte man einmal, derzeit sind es 2800.
Fundament des Überlebens im digitalen Zeitalter ist bei CeWe Color in besonderem Maße die IT. Der heute 52 Jahre alte Joachim Marz kann hier von Erfahrungen berichten, wie sie mancher CIO in den vergangenen Jahren gemacht hat: "Als ich 1998 hier angefangen habe, hatten wir keine zentrale EDV, geschweige denn ein zentrales Enterprise Resource Planning." Mittlerweile gibt es selbstverständlich eine zentrale IT für alle Standorte vom polnischen Graudenz bis ins französische Montpellier. Mit seinen 30 Mitarbeitern sei er für die klassische IT verantwortlich, so Marz.
Daneben besteht aber noch eine zweite, dem CTO Dr. Reiner Fageth unterstellte IT: 50 Mitarbeiter, die Online-Applikationen entwickeln und an Kundenwünsche anpassen. "Wir machen zum Beispiel die Clients selbst, mit denen unsere Kunden im Internet bestellen", erklärt Marz. Überhaupt ist das Internet-Geschäft ein weiteres Beispiel für den radikalen Wandel. Er könne sich noch gut an die unbändige Freude vor einigen Jahren erinnern, als der 100ste Auftrag über das World Wide Web eintraf. Mittlerweile läuft fast die Hälfte des Digitalfotogeschäfts via Internet.
CeWe Color hat neue Geschäfte im Visier
Enorme Herausforderung hat CeWe Color also bewältigt, auf die künftigen stellt man sich schon ein. Irgendwann wird auch der derzeitige, auf die Vorweihnachtszeit konzentrierte Fotobuch-Boom vorbei sein. Deshalb will das Unternehmen künftig neue Kunden erschließen. Man denke an Profis wie Versicherungsagenten, die man mit maßgeschneiderten Druckereierzeugnissen in mittlerer Auflage bedienen könnte, verrät Marz.
Und dann gibt es da noch den Wunsch von Hobbyfotografen, mit ihren Mühen etwas hinzuzuverdienen. Wenn zum Beispiel der Bowling-Club zum Paddeln fährt und der Schriftführer liebevoll ein Fotobuch erstellt, soll er künftig eine kleine Aufwandsentschädigung bekommen können immer dann, wenn seine Sportsfreunde bei CeWe Color ein Exemplar nachbestellen.