Mehr Geschwindigkeit, mehr Flexibilität, mehr Kundenorientierung: Diesen Dreiklang beschwören Berater und IT-Anbieter fast schon gebetsmühlenhaft, wenn es um den digitalen Wandel in Unternehmen geht. Doch was auf den bunten Powerpoint-Slides sofort einleuchtet, erfordert in der Praxis meist tiefgreifende Veränderungen in Prozessen und Organisationstrukturen, die sich nur langfristig erreichen lassen. Das Zauberwort auf diesem Weg heißt Agilität, und es gibt kaum noch einen CIO, der das Thema nicht auf der Agenda hat.
"Am Anfang stand für uns die Frage: Wie verbinden wir die digitale Welt mit der traditionellen IT?", berichtet Michael Gorriz, CIO der singapurischen Standard Chartered Bank, auf einer Fachkonferenz des Handelsblatts. "Wie lange dauert es eigentlich, bis wir von der Idee zum Produkt-Launch kommen?", wollte der IT-Chef wissen. Die ernüchternde Antwort: Sechs bis neun Monate. Gorriz, langjähriger CIO von Daimler und 2009 von COMPUTERWOCHE und CIO-Magazin zum CIO des Jahres gekürt, wollte sich damit nicht zufrieden geben. Er gab das ehrgeizige Ziel aus, den Zeitraum auf ein bis zwei Wochen zu verkürzen. Dazu formulierte er drei Maßnahmenbündel: Personal schulen, Prozesse umstellen und die IT-Architektur verändern.
In puncto IT-Personal geht es beispielsweise darum, den Anteil der aktiven Programmierer deutlich zu steigern und damit die Effektivität in der Softwareentwicklung zu erhöhen. Waren noch vor einigen Jahren nur 20 Prozent der ITler aktiv in die Programmieraufgaben eingebunden, sind es aktuell bereits 50 Prozent. Gorriz strebt einen Anteil von 65 Prozent an. Auf der Prozessebene sind agile Methoden Pflicht. Der CIO arbeitet intensiv daran, die IT-Organisation an Customer Journeys auszurichten und auf diese Weise die Kundenorientierung der Bank zu verbessern. Die Standard Chartered Bank beschäftigt etwa 86.000 Mitarbeiter und ist in 60 Ländern aktiv.
Gravierende Auswirkungen hat der Transformationsprozess auch im Backend. Gorriz spricht von einem umfassenden Umbau der Systemlandschaften. Er setzt unter anderem auf RESTful APIs, um unterschiedliche Systeme wie mobile Apps und das Kernbankensystem miteinander zu verknüpfen. Auch der Data Lake von Standard Chartered werde via APIs gefüttert und angezapft. Aktuell arbeite die Bank mit rund 160 APIs im IT-Betrieb.
Erste Erfolge sind sichtbar. So habe Standard Chartered in nur acht Monaten die erste vollständig digitale Bank in Afrika aufgebaut, betont Gorriz. Weitere Regionen sollen folgen. Auch in Sachen Blockchain ist das Finanzinstitut aktiv geworden. Gemeinsam mit Ant Financial, dem früher als Alipay bekannten Finanzarm des Alibaba-Konzerns, startete Standard Chartered einen Blockchain-basierenden Service für länderübergreifende Geldüberweisungen. Projektlaufzeit: drei Monate. Ein weiteres Blockchain-Projekt im Bereich Handelsfinanzierungen verfolgt die Bank mit den Kooperationspartnern Siemens Financial Services und dem Plattformanbieter TradeIX.
Deutsche Bahn setzt auf selbstorganisierte Teams
Mit ganz anderen Herausforderungen kämpft Christa Koenen, CIO der Deutschen Bahn AG und Chefin des konzerneigenen IT-Dienstleisters DB Systel. Das traditionelle Kerngeschäft der Bahn mit den Säulen Mobilität, Logistik und Infrastruktur reiche in Zeiten des digitalen Wandels nicht mehr aus, erläutert die Managerin. Heute gehe es um "digital vernetzte Ökosysteme" und am Ende um neue digitale Geschäftsmodelle. Ganz ähnlich wie ihr Amtskollege Gorriz betont aber auch sie: "Erfolgsentscheidend ist die Integration zwischen alter und neuer Welt."
Ein gängiges Vorgehen sei es heute, alles umzustellen und die Organisation einmal "durchzuschütteln". Allzu oft entstünden daraus nur neue Silos. Koenen: "Mit DB Systel gehen wir einen anderen Weg und bauen ein adaptives Netzwerk aus selbstorganisierten Teams." Das klingt nach einer Mammutaufgabe und die IT-Chefin räumt ein, dass DB Systel noch mitten drin steckt im Veränderungsprozess: 320 Teams mit jeweils etwa sieben Mitarbeitern schule die Bahn derzeit in Sachen Selbstorganisation. Agile Methoden in der Softwareentwicklung spielten dabei eine zentrale Rolle.
"Wir brechen die klassische disziplinarische Führungsstruktur auf", gibt Koenen die Marschrichtung vor. "Die Verantwortung geht dahin zurück, wo sie hingehört: in die Teams." Wichtig dabei sei auch der Aufbau einer DevOps-Organsation. Mehr als zwei Drittel des Weges habe DB Systel bereits geschafft, der "Point of no Return" sei erreicht.
Die digitale Reise der KION Group
Wie steinig der Weg der digitalen Transformation sein kann, berichtet Walter Grüner, CIO der KION Group. Der Maschinenbaukonzern, der neben Gabelstaplern der Marken Still und Linde auch Supply-Chain-Lösungen anbietet, habe auf seiner "Digital Journey" drei Phasen durchlaufen: Die erste Welle war geprägt von vielen im Unternehmen verteilten Einzelinitiativen. Darauf folgte unweigerlich ein zentralerer Ansatz mit vielen Vorgaben und Regeln. Grüner: "Das ging nicht lange gut." Erst der dritte Anlauf brachte den Erfolg, so der IT-Chef. KION habe seine Digitalisierungsbemühungen breit angelegt und viele Mitarbeiter aus unterschiedlichen Regionen eingebunden. Heute arbeite man international koordiniert in mehreren Teams an der digitalen Transformation.
Die KION-Verantwortlichen wollen ein "digitales Mindset" in den Köpfen verankern und haben dazu vier Bausteine identifiziert: Agilität und Flexibilität, Customer Centricity, Collaboration und Open Culture. Eine zentrale Rolle spielt der "KION Digital Campus", den das Unternehmen im ersten Schritt in Frankfurt/Main aufgebaut hat. Weitere Standorte sollen folgen. Der Campus dient als digitales Lab, in dem Projekte mithilfe agiler Methoden vorangetrieben werden.
Eine konsequente Kundenorientierung und das Einbinden vieler Mitarbeiter auf allen Ebenen gehören für Grüner zu den Erfolgsfaktoren, um den kulturellen Wandel zu schaffen. Und noch etwas gibt er Entscheidern mit auf den Weg: "Don't be German". Zuviel Regulierung, Governance und finanzielle Vorgaben könnten Digitalisierungsinitiativen schnell an die Wand fahren.