Der Nachfrage nach IT-Talenten steigt weiter, der Kampf um die besten Nachwuchskräfte wird durch den demografischen Wandel noch härter. Das gilt vor allem für Nicht-IT-Unternehmen, beobachtet Markus Matschi von der Managementberatung 4C GROUP. Gemeint sind damit etwa klassische Industriebetriebe, deren Produkte nicht primär auf Informationstechnologien basieren und die deshalb weniger auf eigenes IT-Know-how zurückgreifen können. Sie müssten gezielt ihre Attraktivität für IT-Talente steigern, so Matschi.
In einer gemeinsamen Studie mit der Technischen Universität München (TUM) wollten die Berater herausfinden, welche Faktoren zur Arbeitgeberattraktivität besonders relevant sind. Sie sprachen mit jungen IT-Professionals aus neun verschiedenen Sektoren außerhalb der IT-Branche. Die Interviewten mit zwei bis fünf Jahren Berufserfahrung hatten jeweils überdurchschnittliche Abschlussnoten und waren in stark nachgefragten IT-Positionen tätig.
Was macht ein Unternehmen attraktiv für IT-Talente? Aus den Gesprächen leiteten die Studienautoren ein Ranking der wichtigsten Arbeitgeberkriterien ab:
Kriterium 1: Tätigkeit mit Sinn
IT-Talente möchten durch ihre Tätigkeit einen sichtbaren Beitrag zu den Unternehmenszielen leisten, der zu Veränderungen führt - bei den Mitarbeitern, in der physischen Welt durch das Einbinden von IT in Produkte oder für die ganze Gesellschaft. Ein Teilnehmer drückte es so aus: "Es geht auch um die Frage, wie effektiv ich dort sein kann. (…) Mich fasziniert es, das Leben anderer Menschen auf irgendeine Weise ein wenig besser zu machen. Und ich möchte bei meinem Arbeitgeber sehen, dass genau das möglich ist."
Kriterium 2: Selbstverwirklichung
IT-Talente suchen und schätzen intellektuelle, vielseitige und anspruchsvolle Aufgaben und Projekte, die Ihren Fähigkeiten entsprechen.
Kriterium 3: Work-Life-Balance
Die Studienteilnehmer setzen das Thema Work-Life-Balance mit Flexibilität und Familienfreundlichkeit gleich. Sie schätzen es, in ihrer Rolle sowohl zeitlich als auch örtlich ungebunden zu sein: "Ich suche einen Arbeitgeber, bei dem eine freie Gestaltung der Arbeitszeiten und des Arbeitsortes möglich ist", erklärte ein Befragter.
Kriterium 4: Karriere, Kompetenz und persönliche Weiterentwicklung
IT-Talenten ist es wichtig, sich schnell neues Wissen anzueignen. Sie wollen zudem ihre Hard- und Softskills verbessern. Darüber hinaus sind die Karrierewege bei ihrem Arbeitgeber ein wichtiges Kriterium. Ein Teilnehmer erklärte dazu: "Ich habe mich gefragt, welcher Job der schnellste Weg ist, um so weit wie möglich zu kommen - in Bezug auf meine technischen Fähigkeiten und Fertigkeiten, aber auch hinsichtlich Projektmanagement und meiner Karriere."
Kriterium 5: Entlohnung und Sozialleistungen
Natürlich will der IT-Nachwuchs auch angemessen entlohnt werden. Geht es um allgemeine Zusatzleistungen, zählt vor allem die richtige Mischung. Wenn Benefits die persönlichen Interessen widerspiegeln oder sich entsprechend anpassen lassen, ist das ein weiterer Pluspunkt.
Kriterium 6: Kultur und Management
Die Unternehmenskultur und das Management spielen für IT-Talente eine große Rolle. Beide Faktoren sind zu Beginn einer Tätigkeit schwer zu beurteilen. "Es sind eher Dinge, die von einem Arbeitgeber wegführen als zu einem hin", erklärte ein Studienteilnehmer. Dessen ungeachtet beschreiben die IT-Profis eine attraktive Teamkultur als "informell, jung, lustig, agil und ergebnisorientiert". Eine gute Unternehmenskultur zeichne sich aus durch Offenheit, Wertschätzung, Individualität und Loyalität gegenüber den Mitarbeitern.
Kriterium 7: Standort
Die befragten IT-Talente bevorzugen Arbeitgeber, die nahe an ihrem Wohnort angesiedelt sind. Sie weisen jedoch darauf hin, dass der Standort des Büros weniger wichtig wird, wenn Home-Office-Optionen verfügbar sind.
Kriterium 7: Image
Ethisches Verhalten des Arbeitsgebers und der transparente Umgang damit hat für junge IT-Professionals eine hohe Bedeutung. Die Bekanntheit von Unternehmen scheint ihnen dabei weniger wichtig zu sein.
Kriterium 8: Unternehmensgröße
Die Studienteilnehmer achten bei Arbeitgebern außerhalb des IT-Sektors auch auf die Unternehmensgröße. Sie verbinden damit einen höheren Reifegrad der Organisation und der IT, aber auch mehr Einfluss, Stabilität und Arbeitsplatzsicherheit.
10 Hebel, die CIOs ansetzen können
Das Wissen um die wichtigsten Kriterien, die einen Arbeitgeber attraktiv machen, sollten auch IT-Führungskräfte nutzen, kommentiert Martin Stephany von der 4C GROUP: "Die Steigerung der Attraktivität für IT-Talente ist zu wichtig für die digitale Transformation und damit den Fortbestand der Organisationen. Sie ist deshalb kein reines HR-Problem, sondern eine Kernaufgabe des CIOs und der ganzen IT-Organisation." Auf Grundlage der Erkenntnisse haben die 4C-Berater 10 "Hebel" für CIOs definiert.
Hebel 1: Formulieren Sie Ihre IT-spezifische Arbeitgebermarke
Setzen Sie bei den oben genannten Attraktivitätskriterien an, um das spezifische Wertangebot Ihrer IT-Organisation zu identifizieren, zu erarbeiten oder zu optimieren.
Hebel 2: Vermarkten Sie Ihre individuellen Attraktivitätskriterien
Vermitteln und bewerben Sie in enger Zusammenarbeit mit HR gezielt Ihre IT-Attraktivitätskriterien in allen Informationsquellen, Employer-Branding- und anderen Aktivitäten. Dazu gehören beispielsweise Stellenbeschreibungen, Unternehmenspräsentationen, Mitarbeiter-Testimonials und Beiträge in sozialen Medien.
Hebel 3: Bleiben Sie authentisch
Bewerben Sie nur die Kriterien, die Ihrem tatsächlichem und individuellen Wertangebot entsprechen.
Hindernisse - das schreckt IT-Talente ab
Um die Attraktivität als Arbeitgeber zu steigern, sollten Unternehmen auch die Kriterien kennen, die IT-Talente eher abschrecken. Die Studienteilnehmer nannten folgenden Faktoren:
- Altbacken und unflexibel: IT-Talente werden von konservativen Umgangsformen und Bürokratie, altmodischen Verfahren und steilen Hierarchien abgeschreckt, aber auch von veralteter IT-Infrastruktur und Technologie.
- Starre Arbeitsmodelle: Keine flexiblen Arbeitszeit- und Standortmodelle sowie starker Fokus auf zu leistende Arbeitszeit statt auf Ergebnisse ist für viele IT-Talente ein No-Go.
- Mangel an technischen Entwicklungsmöglichkeiten: Zu wenige technische Vorbilder, unzureichende Möglichkeiten zum beruflichen Austausch und mangelnde Alternativen in punkto Spezialisierung und technische Herausforderungen hält IT-Talente von einer Jobzusage ab.
- Spärliches IT-Verständnis: Die Studienteilnehmer stört ein zu schwaches Bewusstsein dafür, was die IT für den Unternehmenserfolg bedeutet. Non-IT-Mitarbeitern mangele es oft an IT- und digitalen Kompetenzen, was sich negativ auf IT-Projekte auswirke.
- Unattraktiver Standort: Unternehmen außerhalb des IT-Sektors sind den Befragten zufolge oft nicht in attraktiven und großen Städten angesiedelt, die Standorte befänden sich in der Regel auch nicht in zentraler Lage.
IT-Organisationen und besonders CIOs können das Recruiting von IT-Talenten direkt beeinflussen, indem Sie sich darauf konzentrieren, diese Hindernisse abzubauen, argumentieren die Studienautoren:
Hebel 4: Identifizieren und überwinden Sie Ihre Arbeitgebernachteile
Analysieren Sie, welche Nachteile auf Ihr Unternehmen zutreffen und wie ausgeprägt diese sind. Erarbeiten Sie Strategien und Lösungen, um Nachteile zu überwinden oder zu kompensieren. Damit ziehen Sie nicht nur neue IT-Talente an, sondern steigern Ihre Attraktivität nachhaltig.
IT-Talente auf den richtigen Kanälen ansprechen
Die richtigen Kontaktkanäle auszuwählen, geht Hand in Hand damit, eine attraktive IT-Arbeitgebermarke aufzubauen. Sie sind das Medium, um die Zielgruppe zu erreichen, mit ihr zu kommunizieren und sie auf das Unternehmen als potenziellen Arbeitgeber aufmerksam zu machen. Der Studie zufolge bevorzugen IT-Talente die Ansprache über folgende Kanäle (in absteigender Reihenfolge):
Peer-Group-Marketing und Empfehlungsprogramme: IT-Talente präferieren es, Stellenausschreibungen und Arbeitgeberempfehlungen über persönliche Kontakte zu erhalten. Auch nutzen Sie Arbeitgeberbewertungs-Webseiten als Entscheidungshilfe.
Inhouse Recruiter: IT-Talente schätzen an Inhouse Recruitern vor allem den persönlichen und transparenten Austausch von relevanten Informationen.
Plattformen für soziale Netzwerke: Die jungen IT-Professionals gaben an, dass Sie vor allem über persönliche Nachrichten, Stellenanzeigen und regelmäßige Postings in den sozialen Netzwerken auf interessante Stellenangebote aufmerksam werden.
Headhunter: Diese werden von vielen IT-Talenten geschätzt, weil Sie über gute Kenntnisse des Arbeitsmarkts verfügen, als objektiv gelten und laut der Studie ein echtes Interesse an der Vermittlung von IT-Talenten haben.
Einladung zu Veranstaltungen: Unternehmenseigene Veranstaltungen werden von IT-Talenten sehr positiv aufgenommen. Sie schätzen die Gelegenheit, sich auf informelle Art besser kennenzulernen.
Unternehmens-Webseiten: Sie sind neben den sozialen Medien die erste Anlaufstelle, um sich über neue Stellenangebote und das Unternehmen zu informieren.
Aus diesen Erkenntnissen leiten die Autoren weitere Hebel für CIOs und die IT-Organisation ab:
Hebel 5: Bespielen Sie systematisch die Kontaktkanäle
Die Studie zeigt, dass die Ansprache von IT-Talenten vor allem über die breit aufgestellten, gängigen Kanäle funktioniert. IT-spezifische Kanäle weisen dagegen eine geringe Wirksamkeit auf.
Hebel 6: Sprechen Sie IT-Talente direkt und individualisiert an
Am meisten Erfolg verspricht ein direkter und individueller Ansatz. Er funktioniert über persönliche Kontakte, Nachrichten, Einladungen oder Werbung in den persönlichen Feeds von IT-Talenten.
Hebel 7: Offerieren Sie vielfältige Einstiegsmöglichkeiten für Studenten
42 Prozent der Befragten waren bereits während des Studiums für ihren späteren Arbeitgeber tätig. Die Studie belegt, dass sich vielfältige Angebote wie Werkstudententätigkeiten oder Praktika lohnen und IT-Talente nachhaltig anziehen.
Recruiting-Prozess - Den ersten Eindruck als Wettbewerbsvorteil nutzen
Während des Recruiting-Prozesses kommen Bewerber zum ersten Mal in direkten Kontakt mit dem potenziellen Arbeitgeber. Ein positives Recruiting-Erlebnis ist deshalb wichtig, argumentieren die Studienautoren. Dennoch waren etliche befragte IT-Talente damit nicht zufrieden. Die 4C-Berater haben deshalb auch für diese Phase Erfolgsfaktoren definiert:
Hebel 8: Decken Sie den Informationsbedarf Ihres Bewerbers
IT-Talente haben die Qual der Wahl. Stellen Sie deshalb so viele Informationen wie möglich bereit, um Bewerbern die Möglichkeit zu geben, Sie als Arbeitgeber kennenzulernen. Konzentrieren Sie sich vor allem darauf, Informationen zu den spezifischen Aufgaben sowie dem Verantwortungs- und dem Wirkungsbereich zu vermitteln. Dazu gehören auch Einblicke in das Team, die Unternehmenskultur und ein Kennenlernen der potenziellen künftigen Führungskraft.
Hebel 9: Erfüllen Sie die Erwartungen an den Recruiter
Bewerber wollen sich wohlfühlen, auch das zeigt die Studie. Schaffen Sie dafür die Rahmenbedingungen. IT-Talente wünschen sich einen persönlichen und offenen Austausch sowie eine wertschätzende und angenehme Gesprächsatmosphäre. Stellen Sie auch sicher, dass Ihr Recruiter IT-Kompetenzen besitzt, um mit IT-Talenten auf Augenhöhe sprechen zu können. Oder beziehen Sie jemand aus der IT-Abteilung frühzeitig in den Prozess ein.
Hebel 10: Erfüllen Sie die Erwartungen an den Prozess
Achten Sie darauf, dass der Recruiting-Prozess transparent und strukturiert ist, und dass Antworten und Entscheidungen zügig mitgeteilt werden. Jungen IT-Profis ist vor allem Transparenz wichtig. Sie trägt dazu bei, dass das Verfahren als fair und gültig wahrgenommen wird.