Steuerungssysteme

Wie Computer den Verkehr der Zukunft regeln

16.12.2010 von Maximilian  Gaub
Er steuert U-Bahnen, berechnet den ökonomischsten Landeanflug und scannt auf Autobahnen den Verkehr: In naher Zukunft assistiert der Computer den Menschen bei seiner rasant wachsenden Mobilität. Weil sonst der Kollaps droht.
Klein, elektrisch, vernetzt: Der EN-V von General Motors kollidiert nicht mit Artgenossen. Denn er weiß, wo sich die Kollegen befinden.
Foto: GM

Die Zukunft startete am 14. Juni 2008. Nürnberg schreibt Verkehrsgeschichte, sprach Wolfgang Tiefensee bei der Jungfernfahrt der U3 Richtung Maxfeld. Der damalige Bundesverkehrsminister war eben aus einer U-Bahn gestiegen, in der hinter der Frontscheibe Fahrgäste standen aber kein Fahrer. Ein Computer hatte den Zug gesteuert.

In den kommenden Jahrzehnten erreichen unsere Verkehrssysteme eine Komplexität, die kein Mensch mehr überblickt. Nur ein Mehr an Rechnern kann den Kollaps vermeiden. Denn die Menschheit wächst rasant. Die UNO schätzt, dass die Zahl der Menschen bis 2050 um zwei auf neun Milliarden ansteigt. Und die werden kaum noch auf dem Land leben: Einer der größten weltweiten Trends ist die zunehmende Urbanisierung, sagt Christopher Borroni-Bird, Projektleiter bei General Motors (GM) in Detroit. Mehr Menschen, das bedeutet: mehr Güter, mehr Tourismus.

Der Flugverkehr wird sich in den nächsten 15 bis 20 Jahren verdoppeln, sagt Helmut Többen, Manager bei Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Und Rainer Müller, technischer Vorstand der Verkehrs-Aktiengesellschaft Nürnberg, prognostiziert: "Wir brauchen Lösungen, die angesichts knapper Ressourcen für viele Menschen Mobilität preisgünstig ermöglichen."

Mehr Menschen in den Städten, das bedeutet auch: Mehr Passagiere in öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Züge der Zukunft müssen also in kürzerem Abstand fahren. Eine noch höhere Frequenz, das schafft allerdings nur ein Rechner. Wie in Nürnberg. Dort kommuniziert der Computer im Zug zu jedem Zeitpunkt mit der Strecke, kann daher zu jeder Sekunde auf Änderungen im Verkehr reagieren – und benötigt daher im Idealfall nur einen Abstand von 100 Sekunden zum Vorderzug. Bei konventionellen Strecken fährt ein menschlicher Fahrer bis zum nächsten Signal - um dann vielleicht zu merken, dass er bremsen muss. Sicherheitsabstand daher hier mindestens: 200 Sekunden.

Zukunft des Schienenverkehrs: Zugführer PC

Zugführer Computer: Zu jederzeit berechnen drei Rechner das richtige Verhalten der U-Bahn. Und setzen es um, wenn mindestens zwei Computer zum gleichen Ergebnis kommen.
Foto: VAG Nürnberg

Noch plastischer wird der Zeitvorsprung des Rechners beim Wenden an Endhaltestellen. Erreichte ein Zugführer der U2 früher Röthenbach, räumte er den Fahrerraum auf, sperrte die Türe ab, lief am ganzen Zug vorbei zum anderen Ende, öffnete dort die Tür und startete den Zug neu. Ein Computer fährt einfach in die andere Richtung.

Schneller ist der Computer, aber auch spontaner, ökonomischer und präziser: Wenn plötzlich mehr Passagiere an den Bahnsteigen stehen, fährt einfach ein neuer Zug aus der Abstellanlage. Er verbraucht weniger Energie, weil er gleichmäßiger beschleunigt und bremst. Und er wartet nicht auf Fahrgäste, die flehend die Rolltreppe hinunterrennen – weil sonst der Abstand zum nächsten Zug gefährlich schrumpfen würde.

Die Bilanz seit Tiefensees Jungfernfahrt: Bis auf einige Störungen zu Beginn des Jahres 2010 läuft der Betrieb seit Start "mit einer Verfügbarkeit von 99 Prozent", wie Rainer Müller erklärt. Störungen, die aus Sicherheitsgründen entstanden: Im Zweifelsfall fahren die Züge nicht weiter. So verhakten sich die Spaltüberbrückungen bei Türen manchmal, fuhren nicht zurück - und die Computer-U-Bahn blieb stehen. Zudem schlugen in seltenen Fällen Entgleisungsdetektoren bei manchen Weichen Alarm. Jüngst allerdings bestand das Netz den Härtetest: Am Tag der deutschen Einheit fuhren Kurzzüge alle 100 Sekunden durch die Tunnel. Ohne Zwischenfälle.

Die Züge der Zukunft navigieren schon heute per Mikrochips. Das wird der Flugverkehr von morgen auch aktuell noch theoretisch. Der Wissenschaftler Helmut Többen vom DLR ist mit Kollegen der Frage nachgegangen, ob ein Algorithmus allein die Flugbahnen der rund 1.000 täglich startenden und landenden Flieger des Flughafens Frankfurt am Main fehlerfrei steuern könnte. Ergebnis: Es funktioniert, wenn sich die Flugzeuge an den Plan halten und der Wetterbericht die Windverhältnisse richtig vorhersagt;

Eine völlige Automatisierung schließt Többen aber in den kommenden 50 Jahren aus, der Mensch wird immer eine Management-Funktion übernehmen.Zum Beispiel wird er umplanen, wenn der Wind sich dreht. Aber der Computer wird den Menschen zunehmend aus Flieger und Tower verdrängen, weil er den Luftverkehr effizienter und sicherer gestaltet. In Zukunft kontrolliert die Software ASAS (Airborne Separation Assurance System) den Mindestabstand zwischen zwei Flugzeugen. Die Bordrechner stimmen sich bald untereinander ab, in welcher Reihenfolge gelandet wird. Und ein digitaler Lotse berechnet rascher und präziser die komplexe Vierdimensionalität (Position und Zeit) eines optimalen Landeanflugs. Dieser setzt bereits mehrere hundert Kilometer vor dem Ziel ein, mit einem segelnden Sinkflug in einem Winkel von wenigen Grad.

Der Rechner als Co-Pilot und Lotse

Frank Flemisch (DLR) vor dem Fahrsimulator des Instituts für Verkehrssystemtechnik.
Foto: DLR

Zudem fliegen künftige Flugzeuge auf kürzestem Weg von A nach B. Bislang bewegen sie sich entlang gerader Himmelsstraßen, die nie direkt zu einem Ziel führen um die Komplexität vieler tausend Flugzeuge in der Luft zu reduzieren. Mit einem Computer als Lotsen brauchen wir die Himmelsautobahnen nicht mehr, erklärt Többen. Er schätzt, dass dadurch fünf bis sieben Prozent Treibstoff eingespart wird.

Nächster Schritt in Többens Forschung. Im November 2010 startet das Projekt 4 dimensions contracts guidance and control, kurz 4DCo-GC. Dann wird der Wissenschaftler mit europäischen Kollegen versuchen, einen Algorithmus zu entwickeln, der die täglich 30.000 Flieger über Europa heil vom Start zum Ziel rechnet.

Auch bei der Stadtauto-Vision planen Ingenieure mit Computern. Ingenieure von GM zum Beispiel glauben an vernetzte Kleinstwägen, die in Zukunft in eigenen Spuren durch unsere Städte fahren. Sie nennen das Projekt Electric Networked Vehicles (EN-V): Über eine eigene Frequenz sind die batteriebetriebenen Mini-Autos verbunden - auch in Tunnels oder zwischen Hochhäusern, angepasst an die zunehmende Verstädterung der Erde. "Die Fahrzeuge kommunizieren, vermeiden so Kollisionen, warnen rechtzeitig vor Staus und ermitteln schon vor Erreichen des Ziels, wo ich einen Parkplatz finden werde", erklärt Projektleiter Christopher Borroni-Bird. Die Absicht dahinter: Mehr Menschen in weniger Zeit zu ihrem Ziel zu bringen.

Frank Flemisch ist Wissenschaftler des DLR, er arbeitet noch an einem weiteren Motiv des kommenden Autos: Sicherheit. Er erforscht das hochautomatisierte Fahren. "Denken Sie an eine Kutsche mit einem intelligentem, gutmütigen Pferd, das seine Umgebung wahrnimmt und mitdenkt. Aber sie halten die Zügel", erklärt er seine Arbeit. Ein Auto, dessen Radar vor einem überraschenden Stau hinter einer Kurve warnt. Ein Auto, das dank Laserscanner Hindernisse in bis zu 200 Meter Entfernung erkennt. Ein Auto, das Bremsen oder Fahrspurwechsel empfiehlt - via Bildschirm, der in der Frontscheibe integriert ist, ein sogenanntes Head-up-Display (HUD). Das im Stau den Komfort erhöht, in dem es selbst sanft beschleunigt oder bremst. Ein Auto, das den Fahrer überwacht - und ihn warnt, wenn er die Augen schließt oder den Blick zu lange von der Straße nimmt. Aber auch ein Auto, dessen Herr immer der Fahrer bleibt. Schließlich gilt noch das Wiener Weltabkommen, wonach der Fahrer immer Kontrolle über sein Vehikel behalten muss.

"Einzelne Funktionen erreichen den Markt in fünf bis sieben Jahren", schätzt Flemisch. Das vollkommen mitdenkende Auto gibt es wohl ab 2025 zu kaufen. Und vielleicht, in ferner Zukunft, gibt es ein Auto, bei dem der Fahrer dem Einfahren auf die Autobahn nach hinten klettert und schläft. Und aufwacht, wenn das Auto die Schnellstraße verlässt. Auch wenn Flemisch einwendet: "Das ist ein extremes von mehreren möglichen Zukunftszenarien, das nur Realität wird, wenn bis dahin das System absolut sicher ist." Was Sicherheit in ein bis zwei Dekaden auch bedeutet, konkretisiert Christopher Borroni-Bird: "Denken Sie an Hacker, die in computergesteuerte Fahrzeuge eindringen." Der Verkehr der Zukunft wird also nicht nur praktischer, komfortabler und effektiver. Er könnte auch etwas gespenstischer werden.

Quelle: PC-Welt