Schon seit 2011 gibt es im Daimler-Konzern den Bereich DigitalLife@Daimler, für den Sie verantwortlich sind. Welches Ziel verfolgt der Konzern damit?
Hägele: Die Digitalisierung durchdringt alle Unternehmensbereiche: Marketing, Forschung & Entwicklung, Produktion, HR, Finance & Controlling. Wir haben deshalb mit jedem dieser Bereiche das Gespräch gesucht. Das kam so gut an, dass wir vom Vorstand den Auftrag bekamen, das in dieser Breite und über alle Geschäftsbereiche weiter voranzutreiben. Denn unser Ziel ist es, als Unternehmen in unserer Industrie führend im Bereich Digitalisierung zu sein. Wir nennen das "Digitaler Champion".
Digitale Unterstützung für jeden Daimler-Unternehmensbereich
Ist Ihr Bereich eine Art Shared Service im Konzern?
Hägele: DigitalLife ist aufgehängt im Strategiebereich, sozusagen in einer Stabsfunktion, mit Dieter Zetsche als Schirmherr. Man kann das vielleicht als Shared Service interpretieren, wenn man sieht, dass wir auch Dienstleistungen für andere Bereiche im Konzern erbringen.
Wir versuchen, die digitale Transformation sowohl übergreifend im Konzern voranzutreiben, als auch spezifisch für Mitarbeiter in einzelnen Bereichen. Das heißt konkret: Wir unterstützen jeden einzelnen Bereich dabei, das Thema Digitalisierung mit dem richtigen Mindset und Know-how weiterzutreiben, um dann insgesamt zur Transformation von Daimler beizutragen.
Ein Weg, um hier voranzukommen, ist der DigitalLife Day, eine interne Veranstaltungsreihe mit Mitarbeitern aus allen Bereichen und Funktionen und Dieter Zetsche als Sponsor. Wir machen solche Veranstaltungen für alle Funktions- und Unternehmensbereiche im In- und Ausland. Je konkreter man sich mit den Arbeitswelten der Mitarbeiter beschäftigt, sie involviert und ihnen Mehrwerte aufzeigt, desto besser für das gesamte Unternehmen.
Wie groß ist Ihr Team und wie tief ist das Verständnis nicht nur der Digital-, sondern auch der Fachthemen der Bereiche, denen Sie helfen wollen und sollen?
Hägele: Heutzutage ist es meiner Meinung nach nicht mehr sinnvoll, die Bedeutung eines Themas an der Anzahl der Mitarbeiter zu definieren, die direkt daran arbeiten. Wir beschäftigen uns mit den unterschiedlichsten Digitalthemen, etwa mit Collaboration in unserem Enterprise Social Network, mit Ideation in unserem DigitalLife Hub, wo wir Teams als interne Startups voranbringen, sowie mit der Change- Kommunikation und der übergreifenden digitale Strategie für Daimler und die jeweiligen Geschäftsbereiche. Das ist sehr breit angelegt. Wir sind aber nur dann schlagkräftig, wenn wir die richtigen Mitarbeiter im Unternehmen zusammenbringen und optimal Synergien nutzen.
Deshalb haben wir über die Jahre ein gutes Netzwerk von Partnern in den Divisionen und Funktionen etabliert. Das Vertrauen ist da, wir können Themen gemeinsam schnell und pragmatisch - neudeutsch würde man sagen: agil - angehen und lösen, auch über Abteilungs- und Bereichsgrenzen hinweg.
Konzernweite Vernetzung ist der Schlüssel
Welche Rolle spielt dabei Ihr Enterprise Social Network?
Hägele: Wir haben heute viele Tausend Multiplikatoren im Konzern, die oft auch an einer Mitarbeit in virtuellen Teams interessiert sind. Damit ist es nicht mehr allein ausschlaggebend, ob 20 oder 50 Mitarbeiter in unserer Stabsfunktion die digitalen Themen treiben. Auch 500 würden es allein nicht schaffen. Nur durch die Vernetzung im Konzern und die inzwischen gute Zusammenarbeit mit Divisionen und Funktionen funktioniert das in der Breite.
Wie gehen Sie konkret vor, um zum Beispiel in Ihrer Bus-Sparte, die Zusammenarbeit voranzutreiben?
Hägele: Ich setze mich erstmal mit dem Leitungsteam der Sparte zusammen und kläre, was es erreichen will. Von den gemeinsam erarbeiteten groben Zielen leite ich einen entsprechenden Maßnahmenplan ab. Dabei ist es ganz wichtig, nicht nur einmal im Jahr zu kommen, den Bereich zu bespaßen und dann wieder zu gehen und sich nie mehr zu melden. Eine kontinuierliche, nachhaltige und sich permanent weiterentwickelnde Zusammenarbeit ist zentral.
Um beim Bus-Beispiel zu bleiben: Ein erster Ansatz könnte sein, die Kommunikation zwischen den vielen Standorten im Konzern zu verbessern und auch das Thema Collaboration aufzugreifen.
Wir von DigitalLife haben einen Bus eingerichtet, mit dem wir als digitale Botschafter auf Tour gehen. Mit unserem Bus würden wir im nächsten Schritt an die Standorte unserer Bus-Sparte reisen und den Mitarbeitern aufzeigen, welche Chancen Digitalisierung für Arbeitsplatz, Vernetzung, den Standort, den Unternehmensbereich oder das ganze Unternehmen bietet.
Das kann man sich tatsächlich bildlich so vorstellen, dass wir uns mit zehn Themen neben die Kantine im Werk stellen, fünf davon kommen von uns beziehungsweise dem Headquarter, fünf andere aus der Bussparte oder besser direkt aus einem Werk, so dass der Bezug gleich erkennbar ist.
So etwas funktioniert besser als nur mit Powerpoint oder über die normalen Online-Kanäle. Wir wollen zu den Menschen gehen und, wo immer es geht, persönliche Erlebnisse schaffen.
Unterstützung der Mitarbeiter statt Kontrolle
Wie viel Hierarchie ist da im Spiel, wenn Sie ausrücken? Sind Sie auch als eine Art Kontrollinstanz im Auftrag des Headquarters unterwegs?
Hägele: Wenn es um Kultur geht, also um Change, Mindset und auch die Zusammenarbeit, kontrollieren wir nicht, sondern unterstützen. Manager und Mitarbeiter stehen dem positiv gegenüber, da kommen viele Anfragen.
Hat Ihr Bereich eine beratende Funktion in Sachen neuer Technologien?
Hägele: Teilweise. Wenn es um deren Beurteilung geht oder die Folgen der Einführung, dann ja. Stehen aber konkrete Einsatzmöglichkeiten in Produktion oder Logistik im Vordergrund, dann nicht mehr. Dort sind ja die Experten, die jeden einzelnen Prozessschritt kennen.
Haben Sie nicht mitunter Schwierigkeiten, Türen zu öffnen und beispielsweise über Technologien zu reden? In einem großen Automobilkonzern gibt es ja immer viele Leute, die alles besser wissen…
Hägele: Es ist sicher gut, dass wir in den letzten Jahren schon zeigen konnten, was wir können. Aber natürlich wird es immer Menschen geben mit Vorbehalten, sei es aus Sorge oder aus Unwissenheit. Wichtig ist, dass man sich auf die jeweilige Zielgruppe vorbereitet und weiß, was sie umtreibt.
Wächst Ihre DigitalLife-Organisation noch?
Hägele: Ja sie wächst und soll auch weiterwachsen, insbesondere auch die Multiplikatoren, aber nicht um das digitale Know-how in den Fachfunktionen zu ersetzen, sondern weil sich die Welt gerade so dramatisch ändert. Nehmen Sie CASE (gemeint sind die vier zentralen Herausforderungen für den Automotive-Sektor: Connected, Autonomous, Shared und Electric, Anm.d.Red.). Jedes einzelne Element ist für sich ja schon disruptiv, aber die Kombination aus allen vieren wird nochmal viel stärkere Veränderungen bringen.
Durch künstliche Intelligenz und neue Möglichkeiten im Big-Data-/Analytics-Bereich steigen die Möglichkeiten exponentiell. Wir wollen es schaffen, dass die verschiedenen Fachbereiche definieren, welche digitalen Produkte und Services ihnen weiterhelfen und welche Prozessveränderungen damit einhergehen - wie sie also den Kundennutzen mit digitalen Technologien und Angeboten verbessern können. Trotzdem wird es immer ein Digital-Team geben müssen, das die technischen und kulturellen Entwicklungen verfolgt und ins Unternehmen hereinträgt.
Sie sind kein Chief Digital Officer und Daimler hat auch keinen CDO. Warum?
Hägele: Weil die Digitalisierung das ganze Unternehmen mit all seinen Bereichen komplett durchdringt. Jeder ist damit auch der Digitalisierungsverantwortliche für seinen Bereich. Und der oberste Digitalisierer ist Dieter Zetsche selbst. Unsere Aufgabe ist es, dabei zu unterstützen. Wir können in diesem unabhängigen Strategiebereich frei agieren. Und das ist wichtig.
Welche Rolle spielt Ihre Einheit in Abgrenzung von der klassischen IT-Organisation im Konzern? Gibt es dort Eifersüchteleien nach dem Motto: Eigentlich sind es unsere Themen, die DigitalLife nun treibt?
Hägele: Nein. Wir arbeiten in vielen Bereichen sehr gut und intensiv mit der IT und unserem CIO Jan Brecht zusammen. Wenn es zum Beispiel um Enterprise Social Network geht, arbeiten wir sowohl eng mit der IT als auch mit der Unternehmenskommunikation zusammen. Ist Künstliche Intelligenz das Thema, sind neben der IT die unterschiedlichen Fachbereiche sehr wichtig.
Mit dem HR-Bereich veranstalten wir Recruiting Events, interne Weiterbildungsaktivitäten und bieten Seminare zu spezifischen Digitalthemen an. Es gibt also immer wieder Schnittstellen zu anderen Bereichen. Es geht nicht um Abgrenzung, sondern um gemeinsames Handeln.
Reden wir über Geld. Haben Sie ein eigenes Budget? Wer finanziert die Digitalprojekte?
Hägele: Wir sind im Boot, wenn es um das Initiieren von neuen Themen oder Vorhaben mit übergreifendem Charakter geht.
Außerdem sind wir da, wenn es um innovative Trendthemen geht und gute Ideen von Mitarbeitern weiterverfolgt werden sollen. Über unsere Crowd Ideation Plattform sammeln wir dann virtuelles Geld von Unterstützern aus verschiedenen Bereichen. Vielleicht kennen Sie "Ask Mercedes", unseren digitalen Assistenten für Mercedes-Benz-Fahrer: Diese Idee entstand im Rahmen eines Open Space. Sie ist anschließend von den Mitarbeitern, die die Idee hatten, und verschiedenen Linienfunktionen vorangetrieben und schließlich umgesetzt worden.
"Viele Ideen kann man schnell umsetzen"
Ziehen die Führungskräfte in den Bereichen mit, wenn sie Mitarbeiter für ein innovatives Digitalprojekt abstellen sollen?
Hägele: Wichtig ist, den Nutzen aufzuzeigen, die Chefs zu begeistern und zu integrieren.
Viele Ideen kann man sehr schnell umsetzen, oft auch zusammen mit einem innovativen Startup. Da braucht man kein großes Team, das ein ganzes Jahr dran arbeitet. Wir haben dafür aber keinen Standardprozess, weil es am Ende immer auf das Thema und das Team ankommt.
Manche Teams haben viel Know-how im Bereich der vorgeschlagenen Idee, und es ist sinnvoll, die Ideengeber intensiv einzubinden. Andere haben nur eine gute Idee, aber nicht das Wissen.
Das Schöne an digitalen Technologien ist ja, dass man am Anfang einen spezifischen Use Case hat, der sich dann aber auf andere Bereiche übertragen lässt. pacTris ist ein gutes Beispiel: Man kann einen Kofferraum via App vermessen, aber einen Schritt weitergedacht irgendwann auch die Ladefläche eines Trucks. Insofern ist das bei uns als zentrale Instanz gut aufgehoben.
Was ist schwieriger: die Ideenfindung oder deren Umsetzung?
Hägele: Das ist tatsächlich interessant, oft kommt ein Mitarbeiterteam mit einer Idee, beschreibt diese, und sagt dann: Nun macht mal. Dann müssen wir klarmachen: Die Arbeit fängt jetzt erst an. Ganz oft ist die Idee auch gar nicht neu, es gibt schon Vergleichbares. Die eigentliche Herausforderung ist die Umsetzung, das Dranbleiben, das Ankämpfen gegen mögliche Widerstände.
Verstehen Sie DigitalLife auch als Botschafter von Daimler, der die digitale Kompetenz des Konzerns nach außen repräsentiert?
Hägele: Auch das gehört mit zu unseren Aufgaben. In Partnerschaft mit Bereichen wie IT, HR oder Marketing sind wir auf allen wichtigen Tech- und Digital-Messen wie beispielsweise Mobile World Congress (MWC), Consumer Electronics Show oder South by Southwest - als Scouts und Beobachter, aber auch als Aussteller. Beim MWC in diesem Jahr hatten wir KI als Leitthema und haben es u.a. anhand unserer neuen A-Klasse wie auch dem digitalen Avatar "Sarah" demonstriert.
Eine unserer Aufgaben ist es auch, Daimler als digital führenden OEM zu repräsentieren und zu positionieren.
Welche Rolle spielt Ihr Bereich, wenn es gilt, digitale Kompetenz zu verbreiten, Mitarbeiter zu trainieren und einen neuen Mindset im Unternehmen zu verankern?
Hägele: Das ist auch eine unserer Aufgaben. Dafür reicht allerdings nicht irgendein Event oder eine Schulung aus, hier muss man regelmäßig und nachhaltig aktiv sein. Bleiben wir beim Thema neue Technologien: Wenn wir sehen, ein Thema wie E-Sports, Blockchain oder KI könnte interessant werden, dann informieren wir uns erstmal durch Recherchen und auf Messen, Veranstaltungen etc. Dann initiieren wir einen sogenannten TechTalk. Das ist ein Event mit internen und externen Experten. Jeder, der möchte, kann kommen, um sich zu informieren, beizutragen oder sich auszutauschen.
Wir haben sehr gute Chancen, Communities rund um relevante Themen aufzubauen. Das liegt daran, dass wir für das Social Enterprise Network zuständig sind und dort Tausende von Followern und Multiplikatoren haben. Gerade bei den neueren Themen gibt es viele im Konzern, die ihr Wissen teilen, aktiv netzwerken und sich in kleinen Gruppen treffen wollen.