Wo muss ein Konzern ansetzen, damit Zigtausende von Beschäftigten über Abteilungs- und Ländergrenzen hinaus miteinander arbeiten und voneinander lernen? Die einzig richtige Antwort auf diese Frage gibt es wohl nicht, aber die Working-Out-Loud-Methode ist zumindest ein Ansatz. Davon ist der Autobauer Daimler überzeugt, der seit 2016 diese Lern- und Arbeitsmethode einsetzt.
WOL-Circle: Fünf Mitarbeiter, fünf Ziele
Working Out Loud bedeutet, über soziale Netzwerke und Collaboration-Plattformen die eigene Arbeit und ihre Entwicklung sichtbar zu machen und andere nach Möglichkeit einzubeziehen. Dafür schließen sich fünf Mitarbeiter, die sich idealerweise nicht kennen und in unterschiedlichen Abteilungen arbeiten, über eine soziale Plattform zu einem WOL-Circle zusammen.
Jeder von ihnen verfolgt mit hoher Motivation sein persönliches Ziel, das er binnen zwölf Wochen erreichen möchte. Zum Prinzip der Methode gehört es, dass die Ziele der fünf Circle-Mitglieder ganz unterschiedlicher Natur sein können. Während der eine sein Business-Englisch verbessern will, möchte der andere ein Netzwerk rund um künstliche Intelligenz aufbauen.
Lukas Fütterer, der bei Daimler Working Out Loud vorantreibt, hatte sich in einem Circle zum Ziel gesetzt, künftig papierlos zu arbeiten. In einem anderen Circle nahm er sich vor, ein Multiplikatorennetz aufzubauen: "Ziele eignen sich immer dann gut für einen WOL-Circle, wenn sie etwas mit Lernen und Wachsen zu tun haben. Dabei sollten andere Menschen gut helfen können."
In der Wahl des Ziels sind die Mitarbeiter frei, ebenso in der Entscheidung, ob sie mitmachen wollen. "Das ist Teil unserer Führungskultur", so Fütterer. Zu einer selbstorganisierten Lern- und Arbeitsmethode wie Working Out Loud würde es nicht passen, seinen Vorgesetzten um Erlaubnis fragen zu müssen. Wichtig ist aber, dass der Chef bereit ist, zuzugestehen, dass sein Mitarbeiter über drei Monate eine Stunde pro Woche nicht greifbar ist.
Die fünf Mitglieder jedes WOL-Circle verabreden sich einmal pro Woche zu einem virtuellen oder realen Treffen. Damit alle ihre Ziele erreichen, sich gegenseitig Feedback geben und ihre Fähigkeiten ausbauen können, strukturiert die Gruppe ihre Treffen nach einem wöchentlichen Plan - dem "Circle Guide". Der von WOL-Erfinder John Stepper entworfene Leitfaden gibt Gruppenübungen und Diskussionsthemen vor. So überlegen die Mitglieder im Circle gemeinsam, wer ihnen bei den Zielen helfen könnte, und erarbeiten Beziehungslisten, auf denen Personen stehen, von denen sie etwas gelernt haben.
"Der wöchentliche Austausch mit den anderen Circle-Mitgliedern ist eine gute Projektionsfläche, da man beschreiben muss, warum es einem zum Beispiel schwerfällt, den nächsten Schritt zu tun", sagt Fütterer. "Es geht nicht immer darum, ein gestecktes Ziel eins zu eins zu erreichen. Wichtig ist, sich dem Ziel anzunähern und es zu konkretisieren." Weitere wichtige Nebeneffekte der Lernmethode seien, dass nicht nur Mitarbeiter, die ursprünglich nichts miteinander zu tun hatten, sich über den Circle miteinander vernetzen und voneinander lernen, sondern dass sich jedem Mitglied das Kontaktnetz seiner Mitstreiter öffnet, so dass die Vernetzung in einem großen Konzern wie Daimler Circle für Circle immer enger gewoben wird.
Mit WOL Silos abbauen
"Es ist sinnvoll, dass die Circle-Mitglieder aus unterschiedlichen Abteilungen und Unternehmensbereichen stammen. Je unterschiedlicher die Circle-Teilnehmer, desto unterschiedlicher sind auch ihre Netzwerke, die sie in den Circle mit einbringen", ist Fütterer überzeugt. "Für das Individuum hat das einen großen Mehrwert, aber auch für das Unternehmen: So gelingt abteilungsübergreifende Kommunikation, so können bestehende Silos abgebaut werden."
2016 fand bei Daimler der erste WOL-Circle statt, mittlerweile haben weltweit mehr als 400 Mitarbeiter schon mindestens einmal an einem solchen Kreis teilgenommen. Im Social Intranet des Autokonzerns, auf dem sich die WOL-Circles finden, hat die WOL-Community über 1.100 Follower. 98 Prozent von ihnen empfehlen die Methode weiter, 100 Prozent geben an, durch die Methode mehr Spaß an ihrer Arbeit zu haben.
Eine Mitarbeiterin konnte ihre Kommunikations- und Moderationsfähigkeiten über einen Circle ausbauen und bekam darauf einen neuen Job innerhalb des Konzerns angeboten. Ein anderer Kollege organisierte über den Circle seine Arbeitsweise neu, entdeckte den Reiz der Vernetzung und organisiert heute Schulungen zur Mitarbeitervernetzung neben seiner angestammten Aufgabe.
Auch Daimler-Betriebsratschef Michael Brecht ist zufrieden: "Wer seine Arbeit sichtbar macht, erfährt, dass sie etwas wert ist. Wer sich vernetzt, findet zusätzliche Möglichkeiten der Zugehörigkeit und Anerkennung." WOL zeige, dass der digitale Wandel keine Angst einflößen müsse.
Working Out Loud - die Methode
2010 formulierte Bryce Williams die Idee des Working Out Loud: Macht jeder seine Arbeit in einem Netzwerk sichtbar und lässt andere daran teilhaben, lernen alle. 2015 entwickelte John Stepper, damals bei der Deutschen Bank in New York angestellt, die Methode in seinem Buch "Working Out Loud: For a better career and life" weiter.
Als fünf Grundprinzipien definiert Stepper
Beziehungen,
Großzügigkeit,
sichtbare Arbeit,
zielgerichtetes Verhalten und
wachstumsorientiertes Denken.
Im Mittelpunkt steht ein zwölfwöchiges Programm (WOL-Circle), in dem die Teilnehmer in die Lage versetzt werden, Neues zu lernen und Gewohnheiten zu ändern.
In Deutschland setzen Konzerne wie Audi, BMW, Bosch, Continental, Daimler, Deutsche Bank, Telekom oder Siemens diese Lernmethode ein und entwickeln sie auch unternehmensübergreifend weiter, etwa auf gemeinsamen Konferenzen wie jüngst Bosch und Daimler.