Fragt man heute jüngere Fahrer, was sie von einem Auto erwarten, fallen die Antworten für Autoliebhaber älteren Semesters ernüchternd aus. Denn häufig stehen ganz oben auf der Wunschliste nicht etwa ein leistungsstarker Motor oder ein dynamisches Fahrwerk, sondern Infotainment-Technologien und Schnittstellen für mobile Endgeräte.
Hi-Fi-Systeme gehören seit langem zu jedem Wagen, Navis und Schnittstellen sind mittlerweile fast schon der Standard. Und auch multifunktionale Komponenten, die über das Internet verschiedenste Dienste abrufen können, finden sich in immer mehr Modellen. Laut einer Studie von Oliver Wyman aus dem vergangenen Jahr werden 2016 80 Prozent aller Neuwagen vernetzt sein.
So klar sich der Bedeutungszuwachs der Car-IT abzeichnet, so ungewiss ist bislang allerding noch, welche Auswirkungen das auf Hersteller und Händler haben wird. Um darauf Antworten zu finden, sind wir von einer zentralen Annahme ausgegangen: Mit der Vernetzung der Fahrzeuge öffnet sich das bislang mehr oder weniger fest geschlossene Eco-System Automobilwirtschaft.
Bislang hat ein Endkunde in der Regel ausschließlich Kontakt zu einem Vertragshändler und einer Vertragswerkstatt. Diese wiederum stehen im Austausch mit den Herstellern und deren Finanzdienstleistern. Schon für freie Werkstätten ist es kaum möglich, einen Fuß in die Tür zu bekommen - die Garantieregelungen verhindern das wirksam.
Der Einbau internetfähiger Geräte ruft nun zwangsläufig neue Akteure auf den Plan: Hardware- und Software-Hersteller, Provider sowie Dienstanbieter. Für die OEMs wird sich daher künftig die Frage stellen, in welchen Bereichen sie schon heute über ausreichende Kompetenzen verfügen, wo sie Know-how entwickeln wollen und wann sich Kooperationen mit anderen Unternehmen anbieten.
Momentan fällt die Selbsteinschätzung der Hersteller noch äußerst optimistisch aus. So ergaben unsere Befragungen im Rahmen der Studie "Auswirkungen von Car-IT auf den Automobilvertrieb und Automobilservice" in Zusammenarbeit mit Professor Willi Diez vom Institut für Automobilwirtschaft, dass sie ihre Fähigkeiten in nahezu allen Bereichen als stark bewerten. Und das auch in Segmenten, die nicht eben zum Kerngeschäft gehören: so beim Geräte- und Softwaremanagement, beim Content- und Servicemanagement oder beim Aufbau von Human Machine Interfaces.
Die konkreten Aktivitäten vieler OEMs weisen indes nicht darauf hin, dass sie das neue Car-IT-Feld komplett alleine erobern wollen. Beispielsweise ist BMW eine Kooperation mit Vodafone eingegangen, um einen SIM-Chip im Fahrzeug zu integrieren. Mit T-Systems unterhält der Münchner Auto-Konzern des weiteren eine Partnerschaft, die die Autos mit Wifi-Funktionenen ausstattet. Toyota arbeitet gemeinsam mit Intel an einem Multimediasystem, Ford mit Microsoft.
Warum die Autohändler unter Druck geraten
Die Automobilhändler blicken derweil nur mit einem Auge auf die Vernetzung der Fahrzeuge und beurteilen diese vorrangig als technisches Thema. Dass sich ihr Verhältnis zu den Endkunden durch die neue Technologie nachhaltig verändern und dass damit ihre Position innerhalb des Eco-Systems Automobilwirtschaft entscheidend geschwächt werden könnte, haben bislang die wenigsten erkannt. An fundierten Strategien oder konkreten Aktivitäten auf Händlerseite fehlt es daher folgerichtig.
Der Autohandel wird in den nächsten Jahren unter Druck geraten, weil sich das Kundenmanagement aufgrund der Vernetzung maßgeblich wandeln wird. Heute spielen die vielen Händler vor Ort im Verkaufsprozess die entscheidende Rolle.
Sie sprechen die Kunden auf Basis der dezentral in ihren Systemen gespeicherten Daten an, sie beraten und verkaufen persönlich im Autohaus, sie bestellen beim Hersteller und sie liefern schließlich den Wagen aus. Bei Inspektionen oder Reparaturen wenden sich die Kunden an die Werkstatt ihres Händlers - von diesen wird übrigens angesichts der Entwicklung ein immer umfassenderes IT-Know-how verlangt.
Car-IT macht den Händler im Verkaufsprozess nun entbehrlicher. So könnten sämtliche Daten zu einem Kunden in einer zentralen Datenbank gespeichert werden. Via Internet werden diese um Informationen zum jeweiligen Fahrzeug ergänzt. Das Auslesen des Bordcomputers in der Werkstatt würde damit ebenfalls der Vergangenheit angehören.
Für den Hersteller ergibt sich daraus die Chance, dem Fahrer zum richtigen Zeitpunkt ein neues und passendes Fahrzeug oder zusätzliche Services anzubieten. Das ginge beispielsweise in Form einer Präsentation direkt auf das Display im Auto. Über die Oberfläche könnte dann auch der weitere Verkaufsdialog - im besten Fall bis zur Bestellung - geführt werden.
Der OEM kommuniziert direkt mit dem Fahrer
Der Händler vor Ort würde den so georderten Wagen nur noch auf Anweisung des Herstellers ausliefern. Die weitere Betreuung übernimmt dann wieder der OEM. Er sammelt die Informationen, die das Fahrzeug selbst permanent erzeugt, wertet sie aus und zieht daraus Schlüsse. So kann der Hersteller einen Kunden rechtzeitig auf anstehende Reparaturen hinweisen und einen Werkstatttermin in die Wege leiten.
Die Beziehung zwischen Fahrer und OEM wird auf diese Weise gestärkt, die zwischen Fahrer und Händler geschwächt. Dies verstärkt den Trend, dass in Zukunft weniger Autohändler die Kunden betreuen werden. Ein Rückgang von heute knapp 8.000 auf 4.500 Händler im Jahr 2020 ist nach unserer Einschätzung realistisch.
Dieses für die Hersteller günstige Szenario ist auch für sie indes kein Selbstläufer. Denn die neue Durchlässigkeit im System könnte auch dazu führen, dass die wertvollen Daten nicht bei ihnen, sondern bei einer dritten Partei landen - zum Beispiel einem Provider, der die Verbindung ins Internet ermöglicht. Dieser könnte die Informationen nun an andere OEMs verkaufen, die ihrerseits via Cockpit mit dem Fahrer interagieren. Auf dem Display erscheint dann nicht der eigene neue SUV, sondern das Konkurrenzmodell.
Grünes Licht für den, der die Datenströme als erster nutzt
Die Vernetzung der Fahrzeuge ist für die Hersteller also gleichermaßen Chance und Risiko. In welcher Richtung das Pendel ausschlägt, hängt stark davon ab, wer die Chance als erster be- und ergreift, wem es gelingt, die entscheidenden Datenströme für sich zu nutzen und in Geschäftsmodellen zu überführen, die auch den Kunden überzeugen.
Dr. Robert Marek ist Partner im Bereich des Customer Relationship Management (CRM) und Retail Business Management bei Mieschke Hofmann und Partner (MHP).