Von Hustenetikette bis Quarantäne

Wie der Coronavirus den Alltag verändert

01.03.2020
Ein mulmiges Gefühl beim Einkaufen, Langeweile in der Quarantäne: Das neuartige Coronavirus beginnt das normale Leben in Deutschland zu verändern. Vorsichtsmaßnahmen können viele Menschen vor Ansteckung bewahren.
Coronavirus: Mit einer Eindämmungsstrategie versuchen Mitarbeiter von Gesundheitsämtern die Verbreitung zu stoppen.
Foto: creativeneko - shutterstock.com

Das Virus ist unsichtbar in Gangelt. Es sind nur Kleinigkeiten, die in der Gemeinde tief im Westen Nordrhein-Westfalens auf seine Spur hindeuten. Vor einer Apotheke stehen Kunden Schlange. Sie dürfen nicht hinein. Immer nur einen Spalt breit öffnet die Apothekerin am Freitag die Schiebetür, um ein Rezept anzunehmen. "Aus aktuellem Anlass" steht auf einem Blatt Papier, das provisorisch an einer Scheibe klebt. Jeder hier weiß, was gemeint ist.

Vergangenen Dienstag ist in Gangelt die erste Sars-CoV-2-Infektion im dicht bevölkerten Bundesland nachgewiesen worden. Der 47-jährige Mann, der sich angesteckt hat, lebt hier mit seiner Familie. Er ist bisher der einzige der mindestens 53 bisher bekannten Virusträger in Deutschland, der schwer erkrankte. Er sei in einem kritischen, aber stabilen Zustand, heißt es aus der Uni-Klinik.

Der Alltag in Gangelt fühlt sich seitdem nicht mehr so vertraut an. "Irgendwie eine bedrückende Atmosphäre, wenn man hier steht", sagt eine Frau, die ein Medikament aus der Apotheke holen will. Erst schien das Virus weit weg. Nun sei eine Kollegin vorsorglich in Quarantäne. "Sie hat uns per WhatsApp informiert", berichtet die Erzieherin.

So fühlt sich Isolation an

"Alle Welt spricht jetzt über uns", ergänzt ein Mann in der Warteschlage. Viele Menschen, die jetzt vorsorglich in Quarantäne seien, hätten Angst vor Stigmatisierung. Für sie fühle sich die Isolation an, als ob sie etwas verbrochen hätten.

Quarantäne. In Deutschland erfahren gerade hunderte Menschen ganz persönlich, warum das bei einer neuen Infektionskrankheit nötig ist. Seit seinem Ursprung in China hat sich das Sars-CoV-2-Virus in mehr als 50 Länder verbreitet und nachweislich mehr als 83.000 Menschen infiziert. In China sind bisher fast 2.800 Menschen an der neuen Lungenkrankheit Covid-19 gestorben. Damit ist diese Infektion wohl tödlicher als eine Grippe - auch, wenn die große Mehrzahl der Infizierten nur leicht oder auch gar nicht erkrankt.

Bei Maßnahmen wie einer Quarantäne für Kontaktpersonen geht es darum, dass sich die Krankheit nicht noch weiter ausbreitet. Eindämmungsstrategie nennen das die Wissenschaftler am Berliner Robert Koch-Institut. Die Gesundheitsämter arbeiten dazu wie Detektive: Wer hat wann wen getroffen? Wenn sich möglichst viele Kontaktpersonen finden lassen und selbst ohne Symptome rund 14 Tage zu Hause bleiben, schützen sie sehr viele andere. Ein lokaler Ausbruch kann so unter Kontrolle bleiben statt zu einem Flächenbrand zu werden.

Was bei Quarantäne zu beachten ist

Gutes Zureden ist in Sachen Quarantäne dabei nicht alles. Bei Missachtung einer häuslichen Isolation drohen nach Angaben des Kieler Gesundheitsministeriums Konsequenzen. Das sei bußgeldbewehrt, sagte Infektionsreferentin Anne Marcic am Freitag. "Und wenn man sie nicht einhält und die Krankheit verbreitet, ist es sogar strafbewehrt. Darüber werden alle aufgeklärt."

In Norditalien heißt Quarantäne zur Zeit etwas ganz anderes. In der Lombardei ist die gesamte Stadt Codogno samt zehn weiteren Gemeinden seit knapp einer Woche abgeriegelt. Das kontrollieren Polizisten und Militär. Supermärkte und Apotheken sind aber geöffnet. Inzwischen seien auch wieder Kioske offen, berichtet Bewohner Roberto Cighetti der Deutschen Presse-Agentur. "Die Leute gehen wieder mehr auf die Straßen, nicht nur draußen auf dem Land, sondern auch wieder im Zentrum. Aber sie halten Abstand zueinander." Die Quarantäne habe auch positive Seiten, sagt der 33-Jährige, der in einer Schule in der Umgebung unterrichtet. Die Leute verbrächten wieder mehr Zeit mit der Familie.

Für Deutschland hat das Robert Koch-Institut drastische Maßnahmen wie in Norditalien bisher ausgeschlossen. Quarantäne für einzelne Menschen ist aber auch hierzulande nötig, um das Sars-CoV-2-Virus möglichst lange auszubremsen. Mit jeder Woche gewonnener Zeit steigt zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit, geeignete Medikamente gegen die schwere Lungenentzündung zu finden, die das Virus in seltenen Fällen auslösen kann. Jeder kann dabei mithelfen. Das fängt bei Husten- und Nies-Etikette an und reicht über häufigeres Händewaschen bis hin zur Isolation.

Deshalb kamen auch alle Rückkehrer aus der Virus-Hochburg Wuhan in China in Deutschland erst einmal vorsorglich zwei Wochen in Quarantäne, unter anderem in Berlin. Für die Betroffenen war das kein Vergnügen. Auf die Schnelle fand sich in der Hauptstadt nur ein abgelegenes Verwaltungsgebäude auf einem Klinikgelände als Unterkunft. Anfangs gab es dort für 20 Menschen nur wenige Toiletten und provisorische Duschhäuschen auf dem Hof. Am Ende war niemand infiziert. Die Vorsichtsmaßnahme halten Virologen dennoch für notwendig. Ein infizierter Mensch kann letztlich durchaus hunderte andere anstecken. Das gilt auch für medizinisches Personal: Der erste Infizierte in Hamburg ist Arzt am Uni-Klinikum. Er war vorher in Italien.

Für den Bayerischen Rundfunk hat der erste deutsche Coronavirus-Patient seinen Quarantäne-Alltag im Krankenhaus kurz und bündig zusammengefasst: sehr, sehr langweilig. Er habe deshalb in seinem Einzelzimmer gearbeitet - per Laptop. Doch er kann die Vorsichtsmaßnahmen nachvollziehen. Er hat eine schwangere Frau und eine kleine Tochter. Sie haben sich nicht angesteckt. Dennoch habe es mit der Zeit psychischen Druck gegeben, wie lange die Isolation wohl dauert, sagte er. Am Ende waren es bei ihm 18 lange Tage. (dpa/rs)