Zwischen Kurzarbeit und Auftragsboom

Wie deutsche Labore die Corona-Pandemie erleben

23.08.2020
Hunderttausende Patienten werden pro Woche in Deutschland auf das Coronavirus getestet. Die auswertenden Labore haben ihre Kapazitäten gesteigert. Als Krisen-Gewinnerin sieht sich die Branche aber nicht.
Insgesamt 150 niedergelassene Labore in Deutschland werten derzeit Corona-Tests aus.
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Neues Personal, teure Labortechnik und Vorräte von Reagenzien und anderen medizinischen Materialien: Viele Labore haben in den vergangenen Monaten kräftig investiert, um die Ausweitung der Teststrategie in der Corona-Pandemie stemmen zu können. Gerade auf diese Tests spezialisierte Labore dürften von der gestiegenen Nachfrage profitieren. Bei manchen war allerdings zwischenzeitlich auch Kurzarbeit angesagt - weil Arztpraxen und Krankenhäuser weniger Patienten mit anderen Krankheiten behandelten.

Um Tests auf das Coronavirus durchführen zu können, hätten viele schon frühzeitig zusätzliches Personal eingestellt und sechs- bis siebenstellige Beträge in die notwendige Ausrüstung investiert, heißt auch vom Verband Akkreditierte Labore in der Medizin (ALM). Allein in den Monaten März bis April seien die Testkapazitäten um das Neunfache gesteigert worden. Die Ausweitung der Teststrategie etwa in Bayern und die Testpflicht für Urlaubsrückkehrer aus Risikogebieten habe den Testbedarf demnach weiter erhöht - innerhalb von wenigen Wochen um mehr als 40 Prozent. Die Auslastung der Labore sei rasch auf 67 Prozent der kurzfristig verfügbaren Maximal-Test-Kapazität gestiegen, so der ALM.

Kleinere Labore scheuen die hohen Investitionen

Insgesamt 150 niedergelassene Labore in Deutschland werten derzeit Corona-Tests aus, sagte Theo Stein, stellvertretender Vorsitzender des Berufsverbands Deutscher Laborärzte (BDL). "Dem ein oder anderen Labor dürfte Corona einen Gewinnzuwachs bringen", sagte Stein. Die Lage sei jedoch uneinheitlich: Während sich einige Labore auf Corona-Tests spezialisiert hätten, verfügten rund 30 Prozent von ihnen nicht über die notwendige Technik. Gerade kleinere Labore würden teils vor den hohen Investitionen zurückscheuen.

Vor allem am Anfang der Pandemie mussten Labore demnach teilweise Kurzarbeit anmelden oder ihre Mitarbeiter Überstunden abbauen lassen. Grund dafür sei, dass Arztpraxen zum Teil 50 bis 70 Prozent weniger Patienten behandelt hätten. Dementsprechend sei auch der Bedarf an Labordiagnostik stark zurückgegangen, sagte Stein. Staatliche Hilfen würden die Verluste zum Teil ausgleichen.

Ähnlich wie Stein vom Bund der Laborärzte sieht der ALM die Absenkung der Vergütung für Corona-Tests kritisch. Der Bewertungsausschuss unter anderem aus Vertretern der gesetzlichen Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung hatte die Preise zum 1. Juli neu festgelegt. Seitdem erhalten Labore für Corona-Tests, die von niedergelassenen Ärzten im Rahmen der Krankenbehandlung veranlasst werden, rund 39 Euro. Zuvor waren es 59 Euro. Krankenhäuser erhalten für die Labordiagnostik 42 Euro, darin enthalten ist bereits eine Transportpauschale.

Abgerechnet wird später

"Wir haben einen sachgerechten Preis gefunden, der die Entwicklung in den Laboren von vereinzelten Tests hin zu Massentestungen widerspiegelt", sagte Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstand beim Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen, im Juni. Anders sieht es der ALM, dem zufolge die Kürzung der festgelegten Vergütungen um rund 30 Prozent "ohne Kalkulationsgrundlage" sei. Die Investitionen der Labore würden infrage gestellt. Wie sich die Pandemie in wirtschaftlicher Hinsicht auf die Labore auswirke, die Corona-Diagnostik eingeführt haben, lasse sich erst gegen Ende des Jahres sagen.

Auch die Hersteller der Labordiagnostik sehen sich derzeit nicht als die "großen Gewinner" der Corona-Krise. Zwar hätten Unternehmen wie die Hersteller von Labortests und Laborgeräten im Zuge der Pandemie ihre Kapazitäten kontinuierlich gesteigert. Auch bei Unternehmen der sogenannten Life-Science-Research-Industrie sei die Entwicklung festzustellen. Diese stellt laut VDGH unter anderem Technologien bereit, die in der Diagnostik und der Entwicklung von Impfstoffen und Therapeutika gegen Covid-19 angewandt werden.

Unternehmen ohne Corona-Diagnostik sind die Verlierer

Seit Februar sei die Produktion um 1.800 Prozent hochgefahren worden, sagte Martin Walger, Geschäftsführer des Verbands der Diagnostica-Industrie (VDGH). "Im Gesamtmarkt der Labordiagnostik liegt der Umsatzanteil der Infektionsdiagnostik bei weniger als 15 Prozent", sagte Walger. Durch die Corona-Krise erhöhe sich dieser Anteil zwar deutlich, die Infektionsdiagnostik bleibe aber ein Marktsegment.

Zwei Drittel der im VDGH vertretenen Unternehmen stellen demnach Tests für die Sars-CoV-2-Diagnostik oder damit assoziierte Produkte und Komponenten her. Unternehmen, die auf Infektionsdiagnostik spezialisiert sind und Tests auf das Coronavirus herstellen, verzeichneten die vergleichsweise stärkste Umsatzsteigerung. "Unternehmen mit einem breiten Produktportfolio werden bestenfalls stagnieren. Unternehmen ohne Corona-Diagnostik sind die Verlierer", sagte Walger.

Die große Nachfrage führt bereit zu Kapazitätsproblemen. In der Woche vom 10. bis 16. August hätten die teilnehmenden Labore einen Rückstau von 17.142 abzuarbeitenden Proben angegeben, heißt es im aktuellen "Epidemiologischen Bulletin" des Robert Koch-Instituts (RKI). Insgesamt 41 Labore hätten Lieferschwierigkeiten für Reagenzien, etwa chemische Substanzen, die für den Nachweis des Virus nötig sind, genannt.

Die Probleme könnten zu Verzögerungen bei der Abklärung möglicher Sars-CoV-2-Infektionen führen - und damit auch bei der Einleitung von Schutzmaßnahmen durch die Gesundheitsämter. Verbrauchsmaterialien und Reagenzien würden in den Laboren unter anderem wegen begrenzter Haltbarkeit nur für kurze Zeiträume bevorratet, hieß es vom RKI. Zudem bestehe bei einigen Produkten eine starke Abhängigkeit von einzelnen Herstellern. (dpa/rs)