Früher musste Sattlermeister Tom Büttner mit Biegelineal, aufwendigen Pappschablonen und allerlei anderen Gerätschaften anrücken, um einen Pferderücken zu vermessen. Heute reicht ein kleiner rechteckiger Kasten, den er ein paar Sekunden über den Rücken des Tieres hält. Ein kurzer "Piep" - dann werden die Daten an den Computer übermittelt. "Die Digitalisierung hat uns ganz neue Möglichkeiten eröffnet", sagt der 53-Jährige, der in Dresden eine Sattlerei und einen Pferdesportladen mit 18 Mitarbeitern betreibt.
Büttner hat einen 3-D-Scanner entwickelt. Dieser misst zuerst den Umriss des Pferderückens, bevor ein "digitaler Rückenabbilder" in Sekunden ein naturgetreues Modell erstellt. Die Maschine mit fünf motorgetriebenen "Wirbeln" steht in Büttners Werkstatt. Per Mausklick lassen sich diese so verändern, dass sie der Anatomie des jeweiligen Pferdes entsprechen - und der Sattel genau angepasst werden kann.
"Ein Haflinger hat eine andere Form als ein Vollblut, ein Rennpferd ist anders als Brauereipferd", erklärt Büttner. Neben dem Scanner stehen die hölzernen Werkbänke, auf denen die Sättel angefertigt werden. Es riecht nach Leder, es wird gehämmert und geklopft. Berührungsängste - wie viele andere Kollegen - kennt Büttner nicht. Er spricht von einer "wunderbaren Chance": "Die Digitalisierung soll ja nicht gegen uns, sondern mit uns arbeiten."
Die Vorteile liegen für den Meister auf der Hand. Mit dem Scanner können mehr Pferde pro Tag vermessen werden, weniger Nachbesserungen sind nötig, der Sattel sitzt passgenau. Nachfragen kommen aus ganz Deutschland, das System hat er auch an eine englische Sattelbaufirma verkauft. "Wir könnten das theoretisch weltweit aufziehen."
Vom Sattlermeister zum Entwickler, der den Scanner selbst oder auch Daten weiter vertreibt: Büttner ist ein Beispiel dafür, wie das Digitale neue Geschäftsfelder öffnen kann. "Digitalisierung betrifft letztlich alle Branchen - auch das Handwerk, so heterogen es mit seinen verschiedenen Gewerken ist", sagt der Geschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Karl-Sebastian Schulte.
Seit dem Frühjahr gibt es an seinem Haus das Kompetenzzentrum Digitales Handwerk (KDH). "Wir wollen Handwerksbetriebe neugierig machen und zeigen, was alles möglich ist." Damit die Entwicklung auch an Betrieben in der Fläche nicht vorbeigeht, gibt es zudem vier digitale "Schaufenster" - im Norden, Süden, Osten und Westen.
Bundesweit arbeiten rund fünf Millionen Handwerker in etwa einer Million Betriebe. Studien prophezeien immer wieder den Wegfall von Arbeitsplätzen, wenn Computer und Roboter an Bedeutung gewinnen.
Ein bedrohliches Szenario für das Handwerk? "Es werden keine Jobs wegfallen oder Berufe verschwinden - aber Tätigkeitsfelder werden sich verändern", glaubt Schulte. Grund zur Sorge sieht er nicht: "Wir sehen das eher als Chance und sehen das nicht als Bedrohung."
Schulte schätzt vorsichtig, dass etwa 20 Prozent der Handwerker "nah an den aktuellen Entwicklungen dran sind" - sozusagen als digitale Vorreiter. Das breite Mittelfeld fange nun damit an, sich intensiver mit Vernetzung und intelligenter Computersoftware zu beschäftigen.
Branchen, die davon unberührt bleiben, gibt es im Handwerk nicht, ist Schulte überzeugt. Wenn die Gewerke auch "nicht in gleicher Wucht" betroffen sind. So werde das Frisieren zwar kein Roboter übernehmen, Online-Buchungen hätten aber dennoch mit Digitalisierung zu tun.
Die Spannweite ist groß: von der Drohne im Bauhandwerk, die Gebäude scannt, bis zur vernetzten Bäckerei, die nach Kundenwunsch produziert - vom Tischler, der Möbel nach einem Online-Konfigurator maßanfertigt, bis zum Zahntechniker, der mit einem digitalen Abdruck arbeitet.
Vor allem über das Elektrohandwerk wird gesprochen. Längst sind neue Berufsbezeichnungen wie Elektroniker hinzugekommen. Dieser muss nicht nur Stromkabel verlegen, sondern auch Haushaltsgeräte miteinander vernetzen und per Tablet oder Smartphone steuerbar machen.
Die "E-Handwerke" erlebten derzeit ein Konjunkturhoch, berichtet der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands der Deutschen Elektro- und Informationstechnischen Handwerke (ZVEH), Ingolf Jakobi. Umsatz machten die Betriebe besonders mit Projekten in der Energie- und Gebäudetechnik, "Stichwort "smart Home" und intelligente Vernetzung".
Jakobi sieht die Firmen gut aufgestellt. "Unsere Betriebe und Mitarbeiter müssen aber angesichts der rasanten Entwicklung bereit sein, sich ständig weiterzubilden", ergänzt er. Änderten sich die Anforderungen, müsse die Ausbildung entsprechend angepasst werden.
Das Thema Digitalisierung müsse künftig stärker berücksichtigt werden, sagt Friedrich Hubert Esser, Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB). Perspektivisch müssten Berufsfelder neu geordnet werden - etwa IT-Berufe mit Schwerpunkten wie Cloud Computing oder Datensicherheit. Schulte sieht auch die Politik am Zug - und mahnt besseren Zugang zu schnellem Internet an. "Sonst können Betriebe gar nicht erst an der digitalen Revolution teilnehmen." (dpa/rs)