"Das Gros der deutschen Führungskräfte hat den Veränderungsbedarf zwar erkannt, weiß aber leider mehrheitlich nicht, wie sich Leadership in Zeiten des digitalen Wandels ändern muss." Das sagt Jörg Kasten, Chairman der Boyden World Corporation und Managing Partner von Boyden Deutschland. Gemeinsam mit der EBS Business School hat er knapp 200 Entscheider befragt. Fazit der Studie "Leadership in der digitalen Welt": Gut acht von zehn Managern (81 Prozent) sehen sich "nur bedingt auf die Herausforderungen derDigitalisierung vorbereitet".
Im Gespräch mit dem CIO-Magazin stellt Kasten klar: "Das liegt nicht unbedingt an den Managern selbst." Viele Firmen hätten das Thema Digitalisierung einfach zu lange vor sich hergeschoben. "Der Druck hat einfach gefehlt", sagt Kasten, "viele Branchen spüren das nun." Als positive Gegenbeispiele nennt er Telekommunikation und Automotive.
Knapp zwei von drei Studienteilnehmern (65 Prozent) erklären, das mittlere Management leiste den stärksten Widerstand gegen die digitale Transformation. Doch den bildhaften Vergleich von der "Lehmschicht" hält Kasten für "etwas übertrieben". Er bestätigt aber: "Es stimmt, dass viele Führungskräfte aus den mittleren Management-Ebenen Probleme mit digitalen Strategien und deren Umsetzung haben. Dies ist aber nur ein Aspekt von vielen, warum die Digitalisierung bei vielen Unternehmen stiefmütterlich behandelt wurde."
"Klassisches Beförderungssystem hat sich geändert"
Kasten kann nachvollziehen, warum sich Manager aus den mittleren Führungsebenen bedroht fühlen. Denn die Digitalisierung ermöglicht nicht nur neue Geschäftsmodelle, sondern auch neue Karrierewege: "Das klassische Beförderungssystem hat sich stark geändert. Jemand mit gewisser Erfahrung - gerade mit Aufgaben rund um die Digitalisierung - hat heute gute Chancen, schnell aufzusteigen und sogar ein paar Ebenen zu überspringen. Und das passiert mittlerweile nicht mehr nur bei einem Jobwechsel, sondern auch innerhalb des eigenen Unternehmens."
Daher ist vom Mittel-Management Flexibilität gefragt. Kastens Tipp: "Nicht stehen bleiben! Ich kann nur raten, sich ständig weiterzuentwickeln." Nach Beobachtung des Boyden-Chairmans entwickelt sich in Deutschland sogar langsam eine positive Kultur des Scheiterns. "Manager, die Erfahrung bei Digitalisierungsprojekten gesammelt haben, stehen daher heute besonders hoch im Kurs", sagt Kasten. "Dabei ist es egal, ob sie vielleicht auch einmal gescheitert sind. Die Erfahrung ist ausschlaggebend."
Inhalte und Aufgaben zählen
Es lohne sich, "ruhig einmal ein Risiko einzugehen". Kasten rät: "Machen sie sich frei von klassischen Karrierewegen! Wer sich heute über Inhalte und Aufgaben definiert, hat bessere Chancen aufzusteigen." Das gelte sowohl in Konzernen als auch im Mittelstand.
Ein weiteres Ergebnis der Studie: Acht von zehn Befragten zeigen sich überzeugt, dass jüngere Manager "anders" führen und der Digitalisierung besser gewachsen sind. Kasten erklärt sich das damit, dass die jüngeren Manager ganz anders aufgewachsen seien als die über Fünfzigjährigen. "Viele jungen Führungskräfte gehen lockerer mit den Möglichkeiten der Digitalisierung um. Sie bewerten die neuen Technologien, Prozesse und Produkte häufig ganz anders", beobachtet er. Dadurch legten sie den Fokus auf Vorteile und Chancen der Digitalisierung und sähen sie weniger als Bedrohung.
Kollege Roboter "hat keinen schlechten Tag"
Doch der Boyden-Chairman spricht auch über die Nachteile: "Andererseits legen jüngere Manager eine gewisse Unbedarftheit an den Tag, wenn es um Digitalisierungsprojekte geht - gerade beim Thema Datenschutz und Absicherung."
Das Thema Führung bleibt für Boyden auch in einer sich digitalisierenden Welt auf der Agenda, betont Kasten. Künstliche Intelligenz (KI) betrachtet er mit Gelassenheit. KI habe schon so manches Unternehmen auf ein neues Level gehoben, sagt er: "Sehen sie sich nur die Automobil- und Zulieferindustrie an. Menschen braucht man hier aber auch weiterhin." Ein solches Unternehmen brauche jedoch mehr Spezialisten, und auch diese erforderten Mitarbeiterführung. "Auch auf lange Sicht werden sie in Unternehmen am Manager aus Fleisch und Blut also nicht vorbei kommen", schmunzelt Kasten. Wobei er die Vorteile von "Kollege Roboter" zu schätzen weiß: "Der Roboter hat keinen schlechten Tag, wird auch nicht mehr Urlaub, ein Aktienpaket zur Altersvorsorge oder einen größeren Firmenwagen verlangen. Und abwerben wird ihn wohl auch niemand müssen."