Innovation ist in den letzten Jahren nicht unbedingt die Priorität von CIOs gewesen. Aber jetzt, wo die Krise weithin gemeistert scheint, richtet sich der Blick in vielen Unternehmen wieder weiter in die Zukunft. Es geht um perspektivische Wettbewerbsfähigkeit, und der beste Weg dahin sind innovative Produkte und Dienstleistungen. Um sie zu entwickeln, benötigen Firmen wertvolle Beiträge ihrer IT-Abteilung, deren Chef idealerweise auch dort für gewinnbringende Neuerungen sorgt. So weit, so einfach – oder?
Ganz so simpel denn doch nicht, würden George Chen und Amy Muller von der in Chicago ansässigen Unternehmensberatung Strategos antworten. In einem Gastbeitrag für unsere amerikanische Schwesterpublikation CIO.com setzen sie sich mit der komplexen Frage auseinander, wie denn die Innovationskraft und der Wert von Neuerungen für ein Unternehmen zu messen seien. „Dafür haben Manager aller Arten, und IT-Manager im besonderen, nur ein vages Gespür“, schreiben die Consultants. Dank einer Reihe von unternehmensweiten oder in einzelnen Abteilungen angesiedelten Innovationsprogrammen in den vergangenen Jahren mit unterschiedlichem Erfolg gebe es mittlerweile gute Ansatzpunkte für ein exakteres Vorgehen.
Nach Ansicht der beiden Experten reicht es nicht aus, allein den einfach feststellbaren Wertbeitrag neuer Produkte und Services zu kalkulieren. Chen und Muller plädieren ausdrücklich für ein ganzheitlicheres System. Sie gehen auf drei Perspektiven ein, die zusammengefasst werden müssten, und nennen drei Fallstricke aus der Praxis.
1. Perspektive: Performance. Solange spezifische Produkte und Dienstleistungen klar abgegrenzt und etikettiert werden können, ist die Erfassung der durch sie beigesteuerten Erträge und Gewinne unproblematisch. Mit Enterprise Resource Planning (ERP) und Financial Management Systemen können Kennzahlen flexibel und umfassend erfasst werden. „Das gilt aber kaum für IT-Abteilungen“, so Chen und Muller.
Kosten und Nutzen neuer Programme und Initiativen seien hier grundsätzlich schwer aufzudröseln, schreiben die Berater. Wenn der CIO diese Nuss geknackt hat, wartet schon die nächste: Weil in der IT zwischen innovativen Ideen und ihrer Vermarktung viel Zeit verstreicht, muss auch die Innovationspipeline ausgemessen werden. Laut Chen und Muller sollten CIOs auf ähnliche Weise vorgehen wie Pharmafirmen, die für noch nicht zugelassene Medikamente auf jeder Entwicklungsstufe die Marktchancen bestimmen und mit Markteintrittswahrscheinlichkeit und voraussichtlicher Zeitspanne bis dahin diskontieren.
Innovation ROI bestimmen
Eine Menge Holz, das nicht an einem Vormittag gehackt ist. Die Berater führen als Beispiel aus der Praxis eine Bank an, die vor einiger Zeit alle IT-Mitarbeiter weltweit nach Verbesserungsideen fragte, dann aussiebte, evaluierte und testete. Nach einem Jahr sei das Kreditinstitut in der Lage gewesen, den Nutzen jeder dieser Neuerungen grob zu bestimmen, so Chen und Muller. Mittlerweile melde die IT regelmäßig den Wert dieses Portfolios für Innovationsprojekte.
Sobald eine solche Kalkulation standardisiert sei, könne immer wieder das Verhältnis von Wertveränderungen in der Pipeline und den im betrachteten Zeitraum getätigten Investitionen in Innovation gemessen werden, so die Berater. Herauskomme der Return on Investment for Innovation („innovation ROI“).
Zusammen könnten die zurechenbaren Wertbeiträge durch Innovation, der Wert der Pipeline, der Status der Pipeline und der „innovation ROI“ dem Management „eine ziemlich robuste Sicht“ auf die Innovationsperformance eröffnen, so die Strategos-Berater.
2. Perspektive: Kompetenz. Das bisher beschriebene Messen der tatsächlichen Resultate reicht nach Meinung der Autoren deshalb nicht aus, weil Unternehmen an dauerhafter Innovationsfähigkeit gelegen sein muss. Diese muss über die konkreten Projekte hinaus Wurzeln schlagen. Es geht auch darum zu bewerten, inwieweit Fertigkeiten und Fähigkeiten, Prozesse, Unternehmenskultur und Bedingungen in den Firmenfluren die Umwandlung von innovativen Ressourcen in Chancen zur geschäftlichen Erneuerung unterstützen.
Um darüber Klarheit zu gewinnen, können Firmen etwa die persönlichen Kompetenzniveaus ihrer Mitarbeiter erfassen, die Zahl der Mitarbeiter auf verschiedenen Levels bestimmen und die Zugänglichkeit zu Innovationsschulungen überprüfen. Auch ein Benchmarking von Breite und Qualität der Personalentwicklung fällt in diesen Bereich.
Die Zusammenschau zählt
Die Innovationskompetenz sollte aber nicht nur an Persönlichkeit und Ausbildung einzelner Mitarbeiter hängen. Mit dem Begriff „Kodifizierung“ bezeichnen die beiden Berater Methoden und Techniken, die die Innovationsentwicklung im Unternehmen befördern – geronnene Strukturen also, die die geschäftliche Umsetzung neuer Ideen dauerhaft unterstützen. Aus IT-Sicht gehört dazu beispielsweise auch der Support durch automatisierte IT-Lösungen.
Neben dem Input durch die Belegschaft und der Kodifizierung vervollständigt laut Chen und Muller ein drittes Messelement diesen Bereich: technologie-gestützte Fertigkeiten. Das kann beispielsweise ein neuer Ansatz für die Anwendungsentwicklung sein oder – als strategisch relevante IT-Lösung – ein neues System fürs Supply Chain Management.
3. Perspektive: Strategie. Die dritte relevante Ebene bewertet laut Strategos die strategische Bedeutung von Innovation im gesamten Unternehmen und die Rolle, die die IT diesbezüglich spielt. Zu messen sind das Engagement des Top-Managements für Innovationsaktivitäten, die Etablierung formaler Prozesse zu Stimulierung von Innovation und die Einbettung des Themas in Leistungsmessungen. Zu fragen sei außerdem, ob der IT ein kritisches Gewicht in der Unterstützung der Geschäftsziele beikomme, so die Autoren.
Chen und Muller betonen, dass nur die Zusammenschau aller genannten Faktoren eine treffende Einordnung der Innovationskraft des Unternehmens ermöglicht. Als einen von drei gängigen Fehlern führen sie die Überbewertung eines einzelnen Maßstabes an. Wer sich also ausschließlich und mit enormem Aufwand um seine Produktpipeline kümmert, wird auf Dauer wohl den Anschluss an Wettbewerber verlieren. Was für das Unternehmen als ganzes gilt, trifft auch für den CIO und seine IT-Abteilung zu. Das Versteifen auf einzelne Prestigeprojekte kann am Ende schädlich sein.
Eine weitere Fallgrube sind willkürlich zu hoch angesetzte Hürden für Innovationsprojekte – sprich eine übervorsichtige Risikokalkulation, die die Entfaltung der Potenziale einschnürt. Für die IT heißt das laut Chen und Muller: Wer eine neue Technologie oder einen innovativen Ansatz implementiert, tut gut daran, die Unwägbarkeiten in zeitlicher und finanzieller Hinsicht zu berücksichtigen. Wer aber dann noch weitere Hürden für die Projekte aufstellt, übertreibt es.
Berater mahnen IT zur Bescheidenheit
Drittens werden nach Einschätzung der Berater Messung und geschäftliche Entscheidung in der Praxis oft auf wenig sinnvolle Weise getrennt. Dass eine Gruppe von eigens geschulten Innovationsexperten alles anschiebt, aber die relevanten Entscheidungen dann allein von anderen Managern der mittleren Ebene getroffen werden, mutet unglücklich an.
Der IT raten Chen und Muller an dieser Stelle zur Zurückhaltung. Sie habe eine wichtige Aufgabe im Prozess der Entwicklung von Neuerungen zu übernehmen. Dennoch seien am Ende Business-Entscheidungen zu treffen. „Lassen Sie nicht den Wunsch, einige Performance-Ziele zu erreichen, über ihren Geschäftssinn siegen“, raten die Strategos-Consultants.