Die Erkenntnis, dass Diversity Unternehmen Vorteile bringt, ist meist vorhanden. Allerdings hapert es oft an der praktischen Umsetzung, wie sich auf den Hamburger IT-Strategietagen zeigte.
Petra Clemens ist immer wieder überrascht, mit welcher Selbstverständlichkeit ihre männlichen Kollegen darüber berichten, dass sie Diversity-Maßnahmen in ihrem Unternehmen umgesetzt hätten. Ganz nach dem Motto: Machen wir schon längst, ist schon lange eingeführt. Frage sie dann konkret nach, wie die betriebliche Realität aussehe, lasse der Erzählfluss schon etwas nach, berichtete die CIO auf den Hamburger IT-Strategietagen.
Clemens ist seit 2022 CIO des Eisenbahn-Logistikers VTG in Hamburg. Als IT-Chefin bemüht sie sich sehr darum, mehr Frauen in ihrer Abteilung einzustellen. Unter den 70 IT-Kollegen sind weniger als zehn weiblich. Einen Impuls, ihre Abteilung attraktiver zu machen, verspricht sie sich davon, dass sie nun alle Stellen im Jobsharing-Modell ausgeschrieben hat.
Eine Change-Managerin für die IT-Abteilung
Ebenfalls als kleinen Erfolg verbucht sie, dass ihr die Geschäftsführung immerhin eine Stelle für eine Change-Managerin genehmigt hat, die sich explizit um das Wohlergehen der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in ihrer Abteilung kümmern soll. Sie wisse sehr wohl, dass sich auf diese Weise nicht alle Probleme lösen ließen und dass man es auch nicht jedem recht machen könne, aber zuhören sei schon ein wichtiger Schritt.
Davon ist auch Stefanie Thiele überzeugt. Sie arbeitet als Head of Human Resources bei der Carl Zeiss AG in München. Sie formuliert Clemens' Vorhaben ganz elegant um: "Wir müssen den Mitarbeitern helfen, aus dem Wirklichkeits- in den Möglichkeitsraum zu kommen."
Manager müssen zuhören lernen
Natürlich seien Strategie und KPIs wichtig. Aber im täglichen Handeln der Führungskräfte entscheide sich, ob man Mitarbeitern auch ausreichend Möglichkeiten anbiete, um sich zu entfalten. Es würde manchem Manager gut zu Gesicht stehen, seinen Mitarbeitern zuzuhören, statt gleich die Lösungen zu präsentieren.
Eine Abteilung mit 50 Prozent Frauen
Stolz ist Thiele darauf, dass sie es geschafft hat, in der Data-Analytics-Abteilung eine Frauenquote von fast 50 Prozent zu erreichen. Sie vertritt den pragmatischen Ansatz, in kleinen Schritten zum Erfolg zu kommen. Man dürfe am Anfang nicht zu viel wollen, sondern müsse sich peu a peu herantasten. Sie habe sich zunächst nur auf diese Abteilung konzentriert, um die Frauenquote zu verbessern. So hat sie etwa die Stellenanzeigen umgeschrieben. Nachdem dies gut funktionierte, will sie es auch in anderen Abteilungen umsetzen.
Weibliche IT Role Models
Kenza Ait Si Abbou, KI-Expertin und CTO bei Fiege Sie tanzt mit Algorithmen und zähmt Roboter: Kenza Ait Si Abbou ist nicht nur KI- und Robotik-Expertin - inzwischen als CTO im Vorstand bei Fiege - sondern auch Kinderbuchautorin und Spiegel-Bestseller-Autorin. Sie beherrscht das Kunststück, "AI for everyone" erklären zu können. In unserem Podcast (siehe Link) erklärt sie anschaulich anhand eines IKEA-Möbelstücks den Unterschied zwischen deterministischen und nicht-deterministischen Algorithmen in der KI.
Julia Freudenberg, Hacker School "Jedes Mädchen sollte einmal programmiert haben, bevor sie sich für einen Beruf entscheidet", sagt Julia Freudenberg, Geschäftsführerin der Hacker School aus Hamburg. Die gemeinnützige GmbH bietet Programmierkurse an, damit Mädchen und Jungen in die Welt der IT hineinschnuppern können. Mädchen und Frauen für die IT zu gewinnen, das liegt ihr besonders am Herzen.
Claudia Plattner, BSI-Präsidentin Die Mathematikerin, von 2021 bitte Mitte 2023 Generaldirektorin für Informationssysteme bei der Europäischen Zentralbank (EZB), ist seit Juli 2023 Präsidentin des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI).
Haya Schulman, Cyberspezialistin Die israelische Expertin für Netzwerk- und Computersicherheit Haya Schulman ist Professorin am Lehrstuhl für Informatik der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main und hält eine LOEWE-Spitzen-Professur. Sie leitet seit einigen Jahren am Fraunhofer-Institut für sicherere Informationssysteme SIT in Darmstadt die Abteilung für Cybersicherheit, Analytik und Verteidigung sowie das Security Operations Center. 2021 erhielt sie den deutschen IT-Sicherheitspreis.
Anna Kopp, CIO Microsoft Deutschland Die gebürtige Schwedin startete ihre berufliche Karriere einst in der Touristikbranche, wechselte dann in den Sales bei Silicon Graphics - ohne einen blassen Schimmer von IT zu haben - und arbeitete sich beharrlich und mutig weiter vor in der IT-Branche über Stationen wie Sun Microsystems und Coremedia, bis sie 2004 bei Microsoft landete. Welchen Einfluss die Rockmusik auf ihre Karriere hatte, erzählt sie in unserem Podcast.
Elsa Kirchner, Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz Elsa Kirchner, Forscherin am DFKI, verbindet künstliche Intelligenz und Neurowissenschaft. So werden Patienten nach einem Schlaganfall früher beweglich. Ein Exoskelett hilft weiter.
Mina Saidze, Data Evangelist und Gründerin Mina Saide, Data Evangelist und Gründerin von Inclusive Tech, setzt sich für mehr Diversity in der IT-Branche ein. Vom Wirtschaftsmagazin Forbes wurde sie in die berühmte "30-Under-30"-Liste aufgenommen. Sie will Big Data und künstliche Intelligenz demokratisieren, indem sie eine Brücke zwischen Tech und Business schafft.
Katharina Knötel, CIO Coca-Cola Europacific Partners Katharina Knötel ist seit Mitte 2021 IT-Chefin von Coca-Cola Europacific Partners in Deutschland. Sie hat Wirtschaft studiert, bevor sie eine Karriere in der IT begann. Ihr liegen besonders die Themen Vielfalt und Talentförderung am Herzen. Sie ist überzeugt: "Am wichtigsten ist, dass man eine große Leidenschaft hat für das, was man tut."
Linda Kramer, Siemens Energy und Sidepreneurin Nebenberuflich gründen: Wie das geht und warum ihr Hauptarbeitgeber Siemens Energy auch davon profitiert, das erzählt Linda Kramer in unserem Podcast.
Jessica de Lafuente Torres, Otto Group IT Jessica de Lafuente Torres kam auf Umwegen in die IT bei Otto. Sie macht sich heute für Frauen in der IT stark und hat die Initiative "develop<HER>" des Handelskonzerns mitgegründet. Dadurch sollen Frauen für MINT-Karrieren begeistern werden.
Karin Gräslund, Professorin Rhein-Main-Hochschule Karin Gräslund ist Wirtschaftsinformatikprofessorin an der Rhein-Main-Hochschule. Sie war zudem lange Zeit im Vorstand der Deutschen SAP-Anwendergruppe (DSAG) sowie Sprecherin der "Women@DSAG"-Gruppe. Sie setzt sich generell für mehr Frauen in der IT ein und verrät in unserem Interview (Link unten) Tipps und Tricks, wie Frauen mit dem Thema Macht umgehen und es positiv nutzen können.
Der dritte Diskussionsteilnehmer, Catalin Barbulescu, CIO und seit kurzem auch Geschäftsführer Supply Chain Management beim Lieferdienst Bofrost, betonte, dass es bei Diversity nicht nur um die Frauenquote gehe. Es komme darauf an, auch auf die kulturellen und die Unterschiede in der Mentalität einzugehen, so der aus Rumänien stammende Manager.
Viel Vertrauen schenken
Als Führungskraft gehörte er oft zu den Jüngsten, und es war oft herausfordernd, Alt und Jung zusammenzubringen, sodass sie an einem Strang ziehen. Doch dann musste er lernen, auch das gab er offen zu, besser zuzuhören. "Als Tekkie bist du gewöhnt, immer in Lösungen zu denken. Jetzt musste ich umdenken und stärker auf die Mitarbeiter zugehen." Sein Fazit: Den Mitarbeitern mehr Vertrauen schenken und die Vielfalt im Unternehmen als großes Plus sehen.