Zu lange hat die Allianz das Trauerspiel aus der Ferne verfolgt. Der 2001 gekauften Dresdner Bank wollte es einfach nicht gelingen, bis Ende 2002 schwarze Zahlen zu schreiben. Da riss der Muttergesellschaft der Geduldsfaden.
Das große Aufräumen begann ganz oben: Anfang 2003 machte Vorstandschef Bernd Fahrholz seinen Sessel frei für den Deutsche-Bank-Manager Herbert Walter. Zum selben Zeitpunkt berief die Allianz ihr Vorstandsmitglied Friedrich Wöbking auf den Posten des CIO im Führungsgremium der Dresdner Bank. Er sitzt gleichzeitig dem Aufsichtsrat der IT-Tochter Agis vor und bleibt weiterhin im Vorstand der Allianz Versicherung.
Acht Monate nach dem Führungswechsel, im August 2003, präsentierte Walter offiziell das Programm "Neue Dresdner". Die Bank musste zur Ertragsstärke zurückkehren, um dem zunehmenden Wettbewerbsdruck im Finanzmarkt standzuhalten und wieder zu wachsen. Strategisches wurde von nicht-strategischem Geschäft, Vertrieb von Produktion getrennt. Die Funktions- und Servicebereiche Finanzen, Personal, Risikomanagement und IT sollten bereichsübergreifend arbeiten. Außerdem bürdete sich der seit der Fusion bereits geschrumpfte Konzern ein weiteres Sparprogramm auf: Bis Ende 2005 müssen eine Milliarde Euro Kosten eingespart sowie rund 4700 Stellen abgebaut werden. Alles unter dem Vorzeichen, die Zusammenarbeit mit der Muttergesellschaft zu vertiefen und einen echten Allfinanzkonzern zu etablieren, in dem Versicherungs- und Bankgeschäft verschmelzen.
Der neue Plan verschont keinen, doch den CIO trifft es besonders hart: 500 Millionen Euro und rund 1000 Beschäftigte hat die IT zum gemeinsamen Ziel beizutragen.
Ein Viertel der Verwaltungskosten für IT
Die Summe ist keineswegs aus der Luft gegriffen. Benchmarks durch unterschiedliche externe Berater hatten die Größe ermittelt. Kennzahlen wie IT-Kostensatz, IT-Kosten je Mitarbeiter oder das Verhältnis interne zu externen Mitarbeitern wurden in die Waagschale gelegt. "Wir sind sicher nicht immer an den Extremwert gegangen. Aber letztlich kamen wir auf ein Drittel der gesamten damaligen IT-Kosten, die sich einsparen lassen", erklärt Markus T. Müller. Als Chief Information Technology Officer (CITO) ist er verantwortlich für die IT-seitige Umsetzung des Projektes "Neue Dresdner". Wöbking hat ihn im April 2003 als seine rechte Hand von der Allianz geholt.
Das Budget, das Müller bei seinem Antritt vorfand, war üppig. Obwohl es bereits Einschnitte seit dem Kauf durch die Allianz gegeben hatte, verschlang die IT noch immer rund 1,5 Milliarden Euro. Das war ein Viertel der gesamten Verwaltungsaufwendungen der Bank und damit weit mehr als die im Best-Practice-Durchschnitt der Branche üblichen 16 bis 18 Prozent.
500 Millionen Euro und 1000 Mitarbeiter: Die IT der Dresdner Bank lernt sparen. Die in Frage kommenden Maßnahmen sind durchaus die üblichen: standardisieren, konsolidieren, Verträge prüfen. Doch bevor dies überhaupt möglich ist, müssen sämtliche Kosten auf ihren Nutzen hin abgeklopft werden.
Um allen Beteiligten mehr Klarheit über die Ausgaben zu verschaffen, entwickelt Müller zunächst eine spezielle "Ausgaben-Matrix". "Ein Drittel sparen kann man ohnehin nicht mit der Rasenmähermethode", sagt er. Gemischte Teams aus Business- und IT-Leuten durchkämmen die IT-Kosten. Sie lösen sie Schritt für Schritt auf und ordnen sie ihren Verursachern zu. Das Business soll erkennen, was es für seine Zahlungen erhält. Auch die IT muss lernen, welche Kosten bei welchen Services und Aktivitäten genau anfallen. "Dann erst kann ich über Einsparmöglichkeiten diskutieren", so Müller. Die Grundlage für die nächsten Schritte ist gebaut.
Die Diskussion ist ein Feilschen um Projekte, Infrastruktur, Hardware und Software sowie um Mitarbeiter. Um kurzfristig bereits Einsparungen zu erzielen, gelten fortan zwei feste Regeln. "Wir machen, wo dies möglich ist, nur Projekte mit einer Payback-Zeit von ein bis zwei Jahren", erläutert Müller die Anforderungen an einen Return on Investment. Zudem darf der Einsatz externer und interner Mitarbeiter das Verhältnis 20 zu 80 nicht überschreiten. Beide Grundsätze können gebrochen werden, doch "da müssen schon sehr gute Argumente kommen".
Am Ende des Verhandlungsmarathons definiert Müller für jede Einheit ein Zwei-Jahres-Ziel und die dazugehörigen Maßnahmen. Damit es nicht bei bloßen Lippenbekenntnissen bleibt, müssen sich die IT-Verantwortlichen mit ihrer Unterschrift für die Einhaltung verbürgen - mit allen Konsequenzen. Manch einer bestätigt gar die Abschaffung seines eigenen Posten.
Erst nachdem der finanzielle und personelle Rahmen gesteckt ist, machen sich Wöbking und Müller an den Umbau der IT-Organisation. "Sparen allein ist keine Strategie", meint Wöbking. Um nachhaltige Effekte auszulösen und "dem Business möglichst effektiv zu folgen", bedarf es anderer Kraftanstrengungen.
Die "alte" Dresdner leistete sich für jeden Geschäftsbereich eine eigene IT inklusive CIO. Damit sie schnell und schlagkräftig agieren kann. Aber: "Effizienz war zweite Priorität", beschreibt Müller die Ausgangslage. Sein Team zählte allein 60 verschiedene Vertriebssysteme. Es gab den Luxus einer Abteilung, die lediglich die neuesten Techniken evaluierte. Geschäftseinheiten unterhielten eigene Internetportale, und bei Anwendungen, Services oder Infrastruktur war im Laufe der Jahre ein regelrechter Wildwuchs entstanden.
Künftig laufen alle Fäden an einer Stelle zusammen. Zwar etablierte die Bank schon 2000 die Verantwortung für die Gesamt-IT in einem eigenen Vorstandsressort. Doch das Ziel, sämtliche Aktivitäten zu überblicken, wurde torpediert durch das Festhalten an den Abteilungshoheiten. Nun fordert das neue Management ein zentrales Reporting sowie ein bereichsübergreifendes Arbeiten ein. Vergleichbare Aufgaben sollen in gleicher Weise und von gleicher Stelle erledigt werden - egal für welches Geschäftssegment.
Die mit schmerzhaften Einschnitten verbundene Maßnahme ist alternativlos. "Anders als durch die Auflösung der dezentralen IT-Einheiten können wir die geplanten Einsparungen niemals erreichen", stellt Wöbking klar. Dieser Grundsatz beschränkt sich keineswegs nur auf die IT. "Alle Abteilungen stehen unter Kostendruck, und jeder muss zugeben. Wir können die Kosten nur senken, wenn wir die Prozesse von einer gemeinsamen Stelle aus koordinieren."
Die mittlerweile auf gut 2550 Mann geschrumpfte IT-Organisation richtet sich nun an den strategischen Softwarekomponenten der Bank aus: Je eine Einheit steht für die Bereiche Vertriebssysteme, Produkte, Transaktions- und Kernsysteme. Hinzu kommt eine Abteilung für die Servicesysteme nicht bankenspezifischer Aufgaben wie Personal, Finanzen oder Risikomanagement.
Lediglich bei der Anwenderbetreuung sind einzelne IT-Bereiche wieder den Business-Units zugewiesen. Der Bereich "Vertriebssysteme" beispielsweise kümmert sich nun auch um den technischen Support des Personal Bankings sowie des Private & Business Bankings.
Mittlerweile zeichnet sich ab, dass Wöbking und Müller das schwerste Stück des Weges hinter sich gebracht haben. Mehr als 800 Kollegen haben die IT verlassen, die Kosten sind auf weniger als 18 Prozent des Verwaltungsaufwands geschmolzen, absolut dürfte die Summe im Geschäftsjahr 2004 bei rund 1,1 Milliarden Euro liegen. Einen Großteil dazu beigetragen hat der Abbau externer Mitarbeiter, weniger Overhead sowie die Etablierung der zentralen IT-Organisation.
Auch die Infrastruktur wird optimiert
Einen weiteren Block zu den Ersparnissen trägt die Optimierung der Infrastruktur bei. Dahinter steht im wesentlichen das Outsourcing an die IT-Tochter Agis. Seit der Verschmelzung der Dresdner-Tochter Dregis mit ihrem Allianz-Pendant Agis betreibt diese für beide Konzerne unter anderem das Rechenzentrum, betreut die Netze und trägt die Verantwortung zur Betreuung der Arbeitsplätze. Um Kosteneinsparungen langfristig zu sichern, wurden Hardwareplattformen zusammengelegt und damit die Server- und die Hostumgebung weiter konsolidiert. "Das ist einer unserer wesentlichen Einsparungsbereiche", weiß Müller.
Doch man ist nicht bloß auf rasche Effekte bedacht. Weniger schnell und auch mit geringerem Volumen schlägt etwa die Vereinheitlichung der Software durch. Ziel ist es, eine einheitliche IT-Architektur zu schaffen, Workflows zu implementieren sowie Systeme zu entwickeln, die sich am Vertrieb orientieren. Wenn diese Arbeiten erledigt sind, verlassen noch weitere Mitarbeiter den Konzern. Momentan sind sie beispielsweise noch damit beschäftigt, die Internetportale für Privat- und Geschäftskunden zusammenzuführen. "Das dauert länger, und dafür muss man erst mal Geld in die Hand nehmen", sagt Wöbking. Auch unter der Vorgabe zu sparen machen solche Investitionen durchaus Sinn. "In der idealen Welt wird es nacheinander gemacht", sagt Wöbking. "Aber die Zeit hatten wir nicht."