"Der strukturelle Fachkräftemangel bremst die Digitalisierung aus", beklagt Bitkom-Präsident Achim Berg anlässlich einer aktuellen Studie des Branchenverbands. In Deutschlands Unternehmen, so das Studienergebnis, fehlen quer durch alle Geschäftsfelder 137.000 IT-Experten. Gerade in der IT selbst herrscht ein eklatanter Frauenmangel: Nur 17 Prozent der 1,25 Millionen Beschäftigten sind Frauen. In drei Viertel aller IT-Unternehmen hierzulande liegt der Frauenanteil unter 25 Prozent. Auf offene Stellen in diesem Fachbereich bewerben sich je nach Position nur 10 bis 20 Prozent Frauen.
Schwund bei Informatikerinnen
Verschärft wird die Situation noch dadurch, dass Fachfrauen die Branche zu oft wieder verlassen: Mehr als 90 Prozent der Hochschulabsolventinnen in Informationstechnologie sind im Alter von 45 Jahren nicht mehr im IT-Sektor tätig. "Das ist eine erschreckend hohe Zahl, die deutlich macht, wie unattraktiv dieser Bereich für viele weibliche Beschäftigte noch immer ist", sagte die Präsidentin der Gesellschaft für Informatik (GI), Christine Regitz, vor Kurzem gegenüber der FAZ.
Dabei steht heutzutage völlig außer Frage, dass gemischte Teams das Arbeitsklima, die Produktivität und letztlich den Unternehmenserfolg fördern. Was also tun, um die Lage zu bessern? Hier hilft ein Blick auf Vorbilder in IT-Firmen mit einem überdurchschnittlichen Frauenanteil, die versuchen, mit attraktiven Arbeitsbedingungen kompetente Expertinnen zu gewinnen und auch zu halten.
In den 1990ern häufig die einzige Frau im Raum
Birgit Grosser, Director Managed Cloud Operations für Europa, den Mittleren Osten und Afrika bei Axway,erinnert sich an den Beginn ihrer Laufbahn: "Als Frau in der IT war ich Mitte der 1990er noch die Ausnahme, als weibliche Führungskraft in der IT eher eine Exotin. In Vor-Ort-Meetings bei Kunden war ich häufig die einzige Frau im Raum."
Ihren Karriereerfolg führt die zweifache Mutter auf ein hohes Maß an Organisation und den entsprechenden Rückhalt der Familie und des Unternehmens zurück. Inzwischen sind bei Axway immerhin 31 Prozent der 1.700 Mitarbeiter in 18 Ländern Frauen, bei den Forschungs- und Entwicklerteams liegt der Anteil zum Teil sogar über 40 Prozent. Um die Mitarbeiterinnen auch als junge Mütter im Betrieb zu halten, bietet der API- und Integrationssoftware-Anbieter zum Beispiel flexible Arbeitszeiten, angemessene Entlohnung und Elternurlaub - für beide Elternteile.
Flexibles Arbeiten, gute Bezahlung und Weiterbildung
Theresa Kölnberger ist eine von 34 Frauen unter den 94 Mitarbeitern bei FTAPI. Der Münchner Software-Entwickler hat damit eine Frauenquote von 36 Prozent und setzt ebenfalls auf leistungsgerechte Bezahlung und Flexibilität. Ob Frau oder nicht, macht dabei keinen Unterschied. Die flexiblen Arbeitszeiten ermöglichen zudem Weiterbildung und Studium.
Kölnberger ist als studentische Hilfskraft in die Firma eingestiegen, wurde später feste Mitarbeiterin und war als Softwareentwicklerin im Full-Stack-Bereich tätig. Inzwischen hat sie die Weiterbildung zur Scrum-Masterin absolviert und führt zwei Teams in der FTAPI-Entwicklung. Und weil ihr das nicht genug ist, macht sie gerade zusätzlich noch ihren Master in Informatik. Warum? "Im Bereich Cybersicherheit ist man regelmäßig mit neuen Technologien konfrontiert. Das macht das Arbeiten einerseits sehr spannend, andererseits erfordert es, sich kontinuierlich fortzubilden."
"Die Cyberwelt ist niemals langweilig"
Als Sicherheitsanalystin bei Bitdefender ist Alina Bizga eine von rund 500 Frauen des über 1600 Mitarbeiter zählenden Unternehmens. Der Cybersecurity-Spezialist hat einen Gesamtfrauenanteil von rund 30 Prozent. Das ist bemerkenswert, denn Cybersicherheit ist innerhalb der IT-Welt noch eine besonders männliche Domäne: 2022 lag der Frauenanteil speziell in der IT-Sicherheit in Deutschland bei nur 13 Prozent, weltweit bei 25 Prozent.
Bei Bitdefender rangiert der Anteil eigenen Angaben zufolge mit 19 Prozent Fachfrauen über dem Schnitt westeuropäischer Industrienationen. Alina Bizga betont, dass Frauen bei der Analyse der Cybersecurity-Landschaft besonders hilfreiche Eigenschaften mitbringen: "Sie schenken tendenziell den Details eine größere Aufmerksamkeit. Auch emotionale Intelligenz kann die Kompetenzen in der IT-Sicherheit verbessern." Sie rät, junge Frauen sollten, wenn sie eine Herausforderung suchen und ihre Problemlösungskompetenz umsetzen wollen, einen Berufsweg in der IT einschlagen. Gerade die Cyberkriminalität werde niemals langweilig.
Erfolgreichen IT-Spezialistinnen als Vorbilder
Dass es zu wenig Frauen in der IT und speziell in der Sicherheitstechnologie gibt, will auch Merium Khalid ändern. Sie ist Senior SOC Manager Offensive Security bei Barracuda XDR, und ist überzeugt davon, dass Vielfalt und unterschiedliche Perspektiven von Menschen mit verschiedenen Hintergründen und Lebenserfahrungen der Schlüssel zu jeder erfolgreichen Branche sind. Deshalb brauche es größere Vielfalt in Unternehmen. Wie sich das erreichen ließe?
Sie setzt dafür auf starke Vorbilder: "Ein wichtiger Faktor, um mehr Frauen für die Technologie zu gewinnen, ist, ihnen vor Augen zu führen, wie andere Frauen in diesem Bereich erfolgreich sind und welchen Einfluss sie in der Welt der Technologie haben können." Khalid selbst hatte schon immer eine große Leidenschaft für Wissenschaft, Technologie und Innovation, und betont die Bedeutung der IT: "Technologie ist der Kern von allem, egal ob es um Medizin oder Finanzen geht."
Quereinstieg in die IT
Wie abwechslungsreich, spannend und attraktiv die Arbeit in der IT-Branche ist, bestätigt auch Julia Plathner. Sie ist als Channel Sales Manager bei Aqua Security für weite Teile Europas sowie den Nahen Osten zuständig : "Gerade Security entwickelt sich ständig weiter, oft in einem rasanten Tempo."
Aqua Security, vor acht Jahren als eines der ersten Unternehmen für Cloud Native Security gegründet, beschäftigt heute rund 500 Mitarbeiter in 16 Ländern und hat einen Frauenanteil von 27 Prozent - quer durch alle Abteilungen bis hin zum Marketing. Denn um als Frau in der IT zu arbeiten, muss man nicht unbedingt einen technischen Abschluss haben. Plathner selbst hat eine kaufmännische Ausbildung mit einem Bachelor in "European Economics" komplettiert und ist via Quereinstieg über die Videoüberwachungsbranche zur IT-Security gekommen - und gerne geblieben.
Patricia Cabrera Perez ist Senior Director EMEA Distribution bei Cradlepoint, einem Pionier in Sachen Wireless-WLAN, der aktuell einen Frauenanteil von 23 Prozent hat und mit verschiedenen Projekten aktiv mehr Frauen gewinnen will. So wird es ab sofort für jede offene Stelle in der Firma einen Kandidatenpool und ein Interview-Panel mit vielen Frauen geben.
Cabrera Perez würde den Einstieg in die IT-Branche definitiv auch ihrer eigenen Tochter empfehlen: "Wir sind überall von Technologie umgeben, und es ist ein Privileg, Teil der Branche zu sein, die sie vorantreibt und prägt." Sie selbst hat keinen technischen Background, sondern internationales Management studiert. Dennoch zog es sie in die Branche, weil die "IT Mehrwert in vielerlei Hinsicht stiftet. Außerdem wollte ich reisen. Genau das ermöglicht mir mein Job."
"Genauso selbstsicher wie die männlichen Kollegen"
"Frauen in der IT - ist das noch ein Thema? In meinem Arbeitsalltag merke ich nichts mehr davon", sagt Christine Grimm. Sie ist Associate Partner beim Kölner Transformationsberater Convista, der weltweit rund 1200 Mitarbeiter mit einem Frauenanteil von 32 Prozent zählt. Bei den Neueinstellungen im DACH-Raum waren es 2022 bereits gut 40 Prozent Frauen.
Convista fördert ebenso wie die anderen Positivbeispiele spezielle Initiativen für Frauen und Mädchen. Christine Grimm kann dabei durchaus als Vorbild dienen, wenn sie sagt: "Seit meinem Studium des Wirtschaftsingenieurwesens - noch als eine von wenigen Frauen - bin ich genauso selbstsicher meinen Weg gegangen wie meine männlichen Kollegen."