Google+ wirkt - bislang relativ unbeobachtet - an einem Paradigmenwechsel in der IT mit: Es gehe in der Technikwelt immer weniger um Produkte, sondern immer mehr um Funktionen, analysiert der CIO.com-Kollege Mike Elgen in einem Blogbeitrag. Ein Beispiel gefällig?
In den 90er Jahren seien digitale Kameras eines der am meisten verkauften digitalen Gadgets gewesen, schreibt Elgen. Aktuell sei eine immer bereite digitale Knipse aber nicht mehr ein Produkt, sondern längst eine bloße Funktion in den immer populärer werdenden Smartphones. Sobald aber ein Produkt zu einem interessanten Feature verkomme, sei seine Zeit als eigenständiges Angebot mehr oder weniger vorbei, so Elgen.
Genau das ist gerade bei Google+ zu beobachten: Immer mehr bislang eigenständige Produktkategorien werden marginalisiert, weil Google sie als Funktionen in seinem Plus-Netzwerk anbietet. Mit dem Start im Juni 2011 umfasste Google+ Features, die anderswo als eigenständige Produkte existiert haben: Hangouts etwa bietet ganz ähnliche Funktionen wie Skype zum digitalen Treffen und Chatten. Picasa ist eine Bildbearbeitung, die Google schon 2004 übernommen hat und nun direkt an Google+ andockt.
Googlemail ist - wenigstens teilweise - schon integriert worden, ebenso wie die Funktion Sparks eine partielle Integration von Google News bietet. Seit dem Start, schreibt Elgen, habe Google ein gutes Dutzend mehr Produkte als Features in Google+ integriert, darunter Teile von Maps, Docs, Reader oder vom ebenfalls zum Konzern gehörenden Videokanal Youtube.
Der Trend ist klar, so Elgen: Immer mehr bisher weitgehend eigenständige Produkte werden zu Funktionen von Google+ degradiert. Im Moment präsentiere Google im Schnitt alle zwei Wochen ein neues Feature. Folgt man dieser Trendlinie, wird deutlich, dass Google+ immer mehr zu dem Google-Produkt schlechthin wird. Und so geht Elgen davon aus, dass Google weitere Produkte in die Plus-Suite integrieren wird: Earth etwa, Blogger, Kalender, Docs, Latitude, Wallet, Shopping, Bücher, Voice, Places und andere mehr.
Für Google bedeutet das: Die Firma entwickelt sich zu einer Ein-Produkt-Company, das Produkt selber zu einem hochintegrierten Angebot mit einer stetig wachsenden Zahl von Funktionen. Und was macht der Wettbewerb? Wenn Google mit einem Produkt in einen bestehenden Markt gehe, wertet das den Markt zunächst auf, so Elgen. Aber sobald Google aus Produkten bloße Features mache, sauge es damit den Sauerstoff aus dem Markt, den andere Produkte zum Leben benötigen.
Die Funktion Latitude etwa erlaubt es, innerhalb von Google+ seinen aktuellen Standort an seine Kontakte durchzugeben. Damit macht es Google Foursquare schwer, einen ähnlichen Service als Produkt zu vermarkten. Genau das gelte für alle anderen Features von Google+ und bisher bestehende, eigenständige Konkurrenzprodukte. Denn wer, um zum Ausgangsbild zurückzukehren, schleppt schon eine Kamera mit, wenn sein Smartphone auch schöne Bilder macht?
Google+ wird gegen Facebook gewinnen
Es ist leicht nachvollziehbar, dass viele kleine Firmen mit kreativen Ideen und Produkten durch die "Featurization" von Google mittelfristig auf der Strecke bleiben und zunächst zwei Titane übrigbleiben werden: Google+ und Facebook. Aber auch zwischen diesen beiden wird es nach Überzeugung von Mike Elgen keinen echten Wettstreit geben, weil Google in wichtigen Punkten schlicht überlegen ist: bei der Suche, beim Messaging, bei Office-Funktionalitäten, beim Video-Chat, ja sogar beim Ausfiltern von Werbemüll - "eigentlich besser bei allem", so der CIO.com-Autor.
Dennoch werde Google im Moment noch wie ein junges Startup-Unternehmen im Angebot der sozialen Netzwerke betrachtet, das gegen den Platzhirschen Facebook bestehen müsse. Aber mit der zunehmenden Umwandlung von ehedem eigenständigen Produkten in Features durch Google werde Facebook immer mehr zu kämpfen haben, um gegen den heurigen Hasen Google+ auf Dauer bestehen zu können.
Noch liegt Facebook bei den Nutzerzahlen meilenweit vor Google+: Aktuelle Zahlen aus dem Dezember 2011 sprechen von 65 Millionen bei Plus und von mehr als 800 Millionen bei Facebook. Aber auch wenn man diesen Umstand nicht geringschätzt, hat Facebook wenig mehr in der Hinterhand, als die vielen Nutzer, um gegen Google bestehen zu können. Insbesondere bietet das Gesichtsbuch deutlich weniger potenzielle Funktionen, die durch Zukäufe über die Jahre zum Kernprodukt hinzugefügt werden könnten. Insofern wird es interessant sein zu beobachten, wie lange die Vormachtstellung von Facebook noch anhalten wird.
Zum Originalbeitrag von Mike Elgen
Übersicht: Das ist neu bei Google+
In den vergangenen Wochen gab es eine ganze Reihe von Neuheiten bei und rund um Google+, die wir im folgenden dokumentieren.
Suchergebnisse bei Google beziehen Google+ mit ein
In der US-Version von Google ist es schon zu sehen, bald wird es das wohl auch in Deutschland geben: "Search, plus Your World" heißt die neue Funktion bei Google und meint die neue Option "persönliche Suche." Damit verknüpft Google die Websuche mit dem sozialen Netzwerk Google+. Wer unter dieser Option zum Beispiel den Namen einer Person eingibt, erhält - sofern vorhanden - direkt das Profil bei Google+ angezeigt. Bei der Suche nach Begriffen verweisen die Suchergebnisse zudem "auf prominente Mitglieder bei Google+, die zu dm entsprechenden Thema passen", berichtet die Wirtschaftswoche in ihrem Blog. Um den Dienst nutzen zu können, benötigt man ein Konto bei Google+.
Neben verbesserten, weil stärker individualisierten und personalisierten Suchergebnissen bringe Googles jüngster Schachzug vor allem eins, kommentiert die Wirtschaftswoche: "Er läutet eine neue Runde im Kampf mit dem Primus bei sozialen Netzwerken ein, mehr noch, er ist geradezu so etwas wie eine Kriegserklärung an Facebook." Durch die Verzahnung von Suche und sozialem Netzwerk spiele Google "seinen stärksten Trumpf" aus. Ziel der Offensive sei es Nutzer noch enger an Google binden "und den Wunsch zur Abwanderung bei Facebook beschleunigen".
Als erstes getroffen zeigt sich indes der Kurznachrichtendienst Twitter. Chef-Justiziar Alex Macgillivray nannte die Aktion einen "schlechten Tag für das Internet". Spiegel-Online zitiert zudem aus einer Erklärung von Twitter: Durch die jüngsten Veränderungen sei es für die Nutzer der Suchmaschine viel schwieriger geworden, Echtzeit-Nachrichten zu finden. Das sei ein Problem sowohl für Nachrichtendienste als auch Twitter-User.
Gesichtserkennung
Seit Anfang Dezember bietet Google eine verbesserte Gesichtserkennung an: "Find My Face". Die Funktion kann in den Kontoeinstellungen eingeschaltet werden und sorgt anschließend dafür, dass das eigene Face oder "befreundete" Gesichter automatisch auf Fotos erkannt und zugeordnet werden. Wie die Gesichtserkennung funktioniert, ist auf dem Google-Blog nachzulesen.
Bei Datenschützern stößt die Gesichtserkennung auf durchaus wohlwollende Reaktionen: So hat etwa Hamburgs oberster Datenschützer Johannes Caspar seinem Sprecher zufolge an der Funktion nichts auszusetzen, wie die CHIP unter Berufung auf amerikanische und deutsche Blogger berichtet. Sprecher Moritz Karg wird dabei so zitiert: "Google hat hier einen Mechanismus in Kraft gesetzt, der es dem Nutzer ermöglicht, selbst darüber zu entscheiden, ob sein Bild biometrisch erfasst und ausgewertet werden darf oder nicht."
Das ist wohl auch der größte Unterschied zum Angebot bei Facebook: Hier muss man die Erkennung aktiv abschalten, also grundsätzlich inkauf nehmen, dass die Gesichtserkennung zunächst aktiv ist. Genau deshalb hat der Hamburger Datenschutzpräsident im November 2011 auch rechtliche Schritte gegen Facebook angekündigt.
Ganz ohne kritische Begleitung kommt aber auch Google+ hier nicht weg: Wer aus gutem Grunde unter Pseudonym unterwegs ist, riskiert mit der biometrischen Erkennung dennoch seine Enttarnung. Trotzdem, berichten die Blogs, habe Google+ - anders als Facebook - die vorläufige Datenschutzprüfung bestanden.
Neues bei Firmenseiten
Google läßt nun auch Multi-Admins auf Firmenseiten zu. Bis zu 50 Administratoren können sich aktiv an Diskussionen beteiligen und alle Verwaltungsfunktionen nutzen. Nur das Löschen einer Seite bleibt dem Inhaber vorbehalten.
Um bei Google+-Firmenseiten Admins hinzuzufügen, klicken Sie auf der Seite auf die "Einstellungen" (Zahnrad rechts oben) und anschließend links auf den Eintrag "Administratoren". Sie können dann weitere Admins per E-Mail-Einladung hinzufügen.
Ebenfalls neu ist, dass Google Firmenseiten aus dem Plus-Netzwerk nun angeblich auch in den Suchergebnissen aufführt. Ein kurzer Praxischeck ergab: Es gibt zwar Beispiele, wo das funktioniert; flächendeckend ist diese Auflistung aber noch nicht.
Zudem gibt es Kritik von Mitbewerbern, die Google vorwerfen, in den Suchergebnissen eigene Dienstleistungen zu bevorzugen. Allerdings hat Google diesen Vorwurf zurückgewiesen: "Das Anlegen einer Google+-Seite wird Ihre Position in den Suchergebnissen nicht beeinflussen", erklärte ein Sprecher gegenüber ZDNet. Man wolle Nutzern die bestmöglichen Antworten auf ihre Suchanfragen geben.
Priorität bei Nachrichten festlegen
Google+ gibt seinen Nutzern mehr Kontrolle über das, was sie per Newsfeed von ihren Kreisen erfahren wollen, um ein überbordendes Nachrichtenangebot zu vermeiden. So soll es schon bald eine Art Lautstärkeregler für die Kreise geben, mit dem man die Frequenz der Beiträge einstellen kann. Allerdings ist im Moment nicht deutlich, nach welcher Logik sich die so selektierten Beiträge zusammensetzen.
Überarbeitet hat Google auch den "kleinen roten Pömpel" (so nennt ihn Gizmodo), mit dem Google+ oben rechts im Browserfenster auf Neuigkeiten hinweist. Dadurch soll man per Mausklick eine bessere Vorschau auf das erhalten, was sich auf den eigenen (Firmen-) Seiten Neues ereignet hat.
Google+ auf Mobilgeräten
Für das iPad gibt es noch immer keine offizielle App von Google+. Nur über einen Umweg kann man sich immerhin die iPhone-App dort installieren. Mit "G-Pad for Google" gibt es nun aber wenigstens eine inoffizielle Anwendung für das Apple-Tablet. Die ist (vorläufig und gegen lästige Werbeeinblendungen) kostenlos, kann für 99 Cent aber werbefrei geschaltet werden. Neben Google+ zeigt die App auch Twitter sowie Google-Mail an und läßt sich zudem als Musikplayer nutzen.
Nutzer von Smartphones mit Android (ab 2.3) können sich auf verbesserte Funktionen für Hangouts freuen. Wie Google im Dezember 2011 ankündigte, kann man nun nicht mehr nur einer Video-Konferenz über das Smartphone beitreten, sondern Hangouts auch direkt vom Mobiltelefon aus starten.
Nicht für mobile Geräte, aber trotzdem als Anwendung verbessert zeigt sich schließlich auch die kostenlose Bildverarbeitung Picasa. Die läßt sich in der Version 3.9 direkt mit Google+ verbinden und ermöglicht so zum Beispiel das direkte Hochladen bearbeiteter Bilder ins soziale Google-Netz. Auch das Taggen von Bildern geht direkt aus Picasa heraus.