Als Bayer-Chef Werner Baumann das letzte Mal vor die Aktionäre trat, gab es einen historischen Denkzettel. Wegen des Debakels rund um den zugekauften US-Saatgutriesen Monsanto wurde dem 56-Jährigen als erstem amtierenden Vorstand eines Dax-Konzerns die Entlastung verweigert. Nun steht Baumann der nächste unangenehme Auftritt vor den Anteilseignern bevor - und hinsichtlich der zahlreichen Glyphosat-Klagen hat sich seit der denkwürdigen Schlappe im April nicht viel zum Positiven geändert.
Im Mai kassierte Bayer in den USA die dritte Niederlage im dritten Glyphosat-Prozess, es war die bis dahin größte Ohrfeige: Gut zwei Milliarden Dollar sprachen die Geschworenen einem Rentnerehepaar, das Monsantos Unkrautvernichter Roundup für seine Krebserkrankung verantwortlich machte, an Schadenersatz zu. Die Strafe wurde zwar auf 86,7 Millionen Dollar reduziert. Doch das abgemilderte Urteil ändert nichts am Schuldspruch. Für Bayer bleibt die Lage kritisch.
Was der Leverkusener Agrar- und Chemieriese sich mit der Monsanto-Übernahme eingebrockt hat, lässt sich an wenigen Zahlen veranschaulichen:
- 63 Milliarden Dollar (56 Mrd Euro): Der Kaufpreis, den Bayer im vergangenen Jahr für das US-Unternehmen hinblätterte. Mittlerweile hat die Prozesslawine gegen Monsanto den Börsenwert des fusionierten Konzerns knapp unter die Kaufsumme gedrückt. In den letzten zwölf Monaten ist Bayers Aktienkurs um gut 37 Prozent gesunken. Rund 31 Milliarden Euro an Börsenwert gingen dadurch verloren.
- 18.400: So viele Kläger versuchten zuletzt, vor US-Gerichten Strafen und Schadenersatz wegen angeblicher Krebsrisiken von Monsantos Unkrautvernichtern mit dem umstrittenen Wirkstoff Glyphosat gegen Bayer durchzusetzen. Die Klagen waren nach Bayers erster Prozess-Schlappe im August 2018 nach oben geschnellt. Im vergangenen Quartal stiegen sie abermals deutlich an, wie Bayer am Dienstag mitteilte.
- 55,5 Prozent: Mehr als die Hälfte des auf der Hauptversammlung Ende April anwesenden Grundkapitals verweigerten Konzernchef Baumann die Entlastung. Der Vertrauensentzug hat rechtlich zwar keine Konsequenzen, ist aber einmalig in der Geschichte des deutschen Leitindex Dax und dort gelisteter Unternehmen. Im angelsächsischen Raum wäre ein Vorstand mit solch einem Ergebnis wohl untragbar.
Wie geht es mit den Glyphosat-Klagen in den USA weiter?
Im Massenverfahren in San Francisco, wo Hunderte Klagen gebündelt sind, hat Richter Vince Chhabria eine Prozesspause verhängt. Er drängt die Streitparteien zu einer einvernehmlichen Lösung - das bedeutet im US-Rechtssystem in der Regel einen Vergleich. Chhabria hat bereits einen Vermittler bestellt. Dabei handelt es sich um Ken Feinberg, einen der renommiertesten Experten in Entschädigungsfragen, der sich bereits nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und nach der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko um Kompensationen kümmerte.
Prozesse, die unabhängig vom Verfahren bei Chhabria laufen, bleiben jedoch auf der Agenda. Hier steht der nächste Fall bereits im August in St. Louis an - ausgerechnet der US-Agrarmetropole, in der Monsanto 1901 gegründet wurde und bis zur Übernahme durch Bayer seinen Hauptsitz hatte. Ob der Konzern deshalb einen Heimvorteil erwarten kann, bleibt abzuwarten. So oder so verspricht die erste Verhandlung außerhalb Kaliforniens Spannung. Die Klägerin Sharlean Gordon macht Roundup für ihr Erkrankung an Lymphdrüsenkrebs verantwortlich.
Mit welcher Strategie begegnet Bayer der Klageflut?
Die Leverkusener setzen bislang darauf, konsequent klare Kante zu zeigen: Alle bisherigen Urteile von US-Gerichten wurden angefochten und trotz der teilweise drastisch reduzierten Strafen will Bayer vor Berufungsgerichte ziehen. Dass glyphosathaltige Monsanto-Produkte Krebs verursachen, weist das Unternehmen mit Verweis auf zahlreiche Studien weiterhin vehement zurück.
In den USA halten manche Beobachter es sogar für möglich, dass Bayers Prozessstrategie soweit geht, einen Fall bis zum obersten US-Gerichtshof ("Supreme Court") zu bringen und dort auf Entlastung zu hoffen. Das könnte dem Konzern den großen Befreiungsschlag verschaffen, allerdings wäre der Weg dahin ein langwieriger und hochriskanter Marsch durch die Instanzen des US-Rechtssystems.
Mit welchem Ausgang rechnen Experten?
Letztendlich gehen viele Analysten von einem Vergleich mit den Glyphosat-Klägern aus. Der dürfte zwar einige Milliarden Euro kosten, würde das Thema aber vom Tisch schaffen. Angesichts der mutmaßlichen Kosten, die bereits im Aktienkurs berücksichtigt seien, dürfte eine Einigung im Bereich von 15 bis 20 Milliarden Euro Bayer wohl schon Erleichterung verschaffen, meint Markus Mayer von der Baader Bank.
Ein weiterer Faktor in der Glyphosat-Frage könnte der US-Investor Paul Singer sein. Er hat sich mit seinen Elliott-Hedgefonds bei Bayer eingekauft und ist bekannt dafür, Aktionärsaufstände anzuzetteln, wenn er seinen Willen nicht bekommt. Noch gibt sein Hedgefonds sich zwar zahm und lobte Bayers jüngste Schritte sogar. Wie lange Singer ruhig bleiben wird, ist aber offen. Im Hintergrund droht der Investor bereits mit vagen Forderungen nach einer Zerschlagung des Konzerns. (dpa/rs)