Experten-Prognosen

Wie IT unser Leben in 25 Jahren verändert

09.06.2011 von Carolyn Duffy Marsan und Kolja Kröger
In 25 Jahren reden wir mit unseren Computern und telefonieren per Hologramm. Und die erste Internet-Katastrophe kommt. Das sind die Visionen bei IBM, Cisco und Co.
Im Jahr 2036 umgibt uns die virtuelle Welt, sagen führende IT-Experten voraus.
Foto: Fraunhofer IAO

Alles nur Science-Fiction oder bald Realität? Telefonieren unsere Kinder in 25 Jahren per Hologramm - ein bisschen wie Prinzessin Leias Notruf im "Krieg der Sterne"? Holt die Dritte Welt dank des Internet rapide auf? Und spricht unser Kühlschrank eines Tages mit uns? Zu ihrem 25. Jubiläum hat unsere englischsprachige Schwesterpublikation "Networkworld" führende IT-Entwickler und IT-Manager weitere 25 Jahre in die Zukunft blicken lassen. Sie sagen: Auf diese Visionen können wir uns gefasst machen. Nur zur Erinnerung: Das World Wide Web wurde erst vor 22 Jahren im CERN entwickelt.

"Wir stehen vor einer gewaltigen Veränderung", sagt der Chef-Futurist bei Cisco, Dave Evans. "Die Dinge verändern sich schon bald sehr, sehr schnell - zu einer unbegrenzten Geschwindigkeit von Computern, Speicher und von Netzwerken." Aber auch eine komplett neue Internet-Struktur könnte unser ganzes Leben verändern. Wenn Computer selbstständig Lösungen finden - und sei es, weil sie den Verkehr ohne Stau fließen lassen können, weil sie die Bewegungen jedes einzelnen Fahrzeugs im Blick haben.

Mit dem Quanten-Prozessor in die Zukunft

Verantwortlich für diese Speicher-Explosion könnten die Quantencomputer sein, an die sowohl Dave Evans von Cisco wie auch der Chef-Entwickler von BBN Technology, Chip Elliot, glauben. Sie sehen in 25 Jahren längst das Ende von Bits und Bytes gekommen. Stattdessen rechnen die Prozessoren von Übermorgen mit Quanten. Ein "Qubit" ist nicht einfach nur aus oder an - 0 oder 1. Es kann beides gleichzeitig sein.

"So kann man viel mehr Daten viel schneller verarbeiten", sagt Evans. "Wir verändern den Zustand von Quanten", erklärt Elliot. "Die Rechengeschwindigkeit wird so hoch sein, dass wir alle Abbildungen dieser Welt abbilden können."

Anfang 2011 hat die KI-Maschine Watson von IBM die Quiz-Show Jeopardy entschieden. Er beantwortet Fragen, die ihm ein Mensch in gesprochener Sprache gestellt hat. Bedeutet er das Aus für Tastatur, Maus und Touchpad, wenn wir nur noch mit unserem Computer reden müssen.

Watson heißt die KI-Maschine von IBM, die menschliche Fragen beantworten kann.
Foto: IBM

Watson "interagiert mit Menschen, er kann aus seinen Fehlern lernen, kann nach weiteren Informationen fragen und seine menschlichen Funktionen verbessern", erklärt IBM Fellow Bernie Meyerson, der in der Forschungsabteilung von Big Blue "Vice President Global Innovations" ist.

Watson - oder: Mein Computer spricht mit mir

"Die Interaktion mit Computern sollte viel freier sein", findet Meyerson. "Der ganze Formalismus von heute sollte in den nächsten 25 Jahren verschwinden Das ist ein hoch gestecktes Ziel - für das enorme Fortschritte bei Hardware und Software nötig sind."

Von dieser Interaktion ist ist Marek Rusinkiewicz, Forschungs-Chef bei Telcordia, jedenfalls überzeugt. In seiner Vision ist unsere komplette Umwelt vernetzt. "Zillionen neue Dinge sprechen miteinander und mit uns. Sie sagen: Mir ist zu kalt, mir ist zu heiß, mir geht’s nicht so gut, ich sollte wieder gewartet werden." Sogar Lebewesen wie Pflanzen oder Nutzvieh könnten am Netzwerk hängen - über Chips so klein wie ein Sandkörnchen, die ihnen injiziert werden."

Schon jetzt bauen die großen Energieversorger ihre Glasfasernetze aus, damit bald die intelligenten Stromzähler ins Haus einziehen können. Mit Sensoren ließe sich dann nicht nur der Stromverbrauch steuern, das Licht ein- und ausschalten. Dann ruft das Haus auch selbstständig die Feuerwehr, wenn es brennt. Und unsere Autos stehen in ständigem Funkkontakt zur Werkstatt - falls im Motor irgendetwas kaputt geht. Einen ähnlichen Service bieten heute schon Anbieter von Rechenzentren an.

Roboter helfen uns im Alltag - und bei Katastrophen wie in Fukushima.
Foto: IDG News Service

Das bedeutet aber auch: Überall sind Kameras und Sensoren, die uns beobachten. "In der Zukunft wird die Technik überall so stark eingebunden sein, dass sie sich an uns anpasst", sagt Evans von Cisco. "Die Geräte beobachten uns, um sicherzustellen, dass wir alles richtig machen." Wir sehen nicht mehr fern - sondern das Fernsehen beobachtet uns.

So können Anbieter ihren Content immer stärker personalisieren, und streamen Artikel, Bücher und Filme zu uns. Das ist das Ende der Massenmedien, glaubt Chef-Stratege Mark Lewis von EMC. "In 25 Jahren sitzt niemand mehr vor einem Werbespot und fragt sich, warum man ihm gerade den Spot zeigt." Falls es dann überhaupt noch Fernseher gibt.

Roboter räumen in Fukushima auf

Im besten Fall helfen uns Computer und Roboter bei unseren Aufgaben, aber sicher ersetzen sie auch viele unserer Arbeitsplätze. Der Computer-Arzt aus "Star Trek Voyager" könnte dann fast Realität sein. IBM erwartet, dass Systeme wie Watson Ärzte dabei unterstützen, seltene Krankheiten zu diagnostizieren.

Rusinkiewicz stellt sich andere Helfer-Programme vor. "Das werden halb-eigenständige virtuelle Einheiten." Sie bedienen die Folien bei einer Präsentation oder stimmen unserer Termine mit den Helfer-Programmen von Geschäftskollegen ab. Und wenn sie bei einer Aufgabe nicht weiterkommen, lassen sie sich von anderen Helfern eben helfen.

Vor allem das Militär treibt den Robotik-Fortschritt an, so Telcordia-Forscher Rusinkiewicz. "Bei einem Atom-Störfall wie gerade in Japan, würden wahrscheinlich Roboter dort hinein gehen und die Dinge in Ordnung bringen."

Bücher könnten in Museen stehen, vielleicht ist die Blue-Ray der letzte austauschbare Datenträger. Denn alle Informationen lagern im Netz sind theoretisch für jedermann zugänglich - historische Dokumente, Pop-Musik und Filme. "Wenn wir unseren Enkeln eine CD oder DVD zeigen", meint Lewis von EMC, "wissen sie nicht mehr, was das ist."

Das Wissen der Welt auf einem PDA

Das Wissen der Welt für alle - oder nur für die, die es sich leisten können?
Foto: ag visuell - Fotolia.com

Den freien Zugang zu allen Informationen sieht Lewis allerdings nicht kommen. "Der Besitz von Medien und Daten basiert dann auf Metadaten", sagt Lewis. "Wir besitzen einen Film nicht mehr physisch auf einer DVD. Es gibt Metadaten, die uns erlauben, diesen Film anzusehen."

"Wir können das ganze Wissen der Welt auf unserem PDA Speichern", sagt IBM Fellow Bernie Meyerson. Die handlichen Geräte besitzen dann eine Rechenleistung die größer ist als die heutiger Server, meint Donald Newell, der Server CTO bei AMD.

Unsere Handys - sollte es sie dann noch geben - ziehen all ihre Daten aus der Cloud, ist der Lewis überzeugt. "Wenn ich mein Handy verliere, nehme ich mir einfach ein neues und gebe mein Code-Wort ein. Es erkennt mich und spielt alle meine Informationen auf mein neues Gerät."

Rusinkiewicz prognostiziert die komplette 3D-Telepräsenz - wie das Hologramm von Prinzessin Leia im "Krieg der Sterne". "Telepräsenz wird ein vollständiges, dreidimensionales Erlebnis, wo dem man alles fühlen und riechen kann."

Augmenten Reality: Die Virtualität umgibt uns

Der Datenschutz bleibt ein Problem.
Foto: LMK/Uwe Völkner

Die Grundlage ist das, was wir heute als "Augmented Reality" kennen, als erweiterte Wirklichkeit. Das Prinzip kennen wir schon jetzt: Wenn beim Fußball im Fernsehen eine Linie die Entfernung zum Tor zeigt - oder wenn wir durch unsere iPhone-Kamera den Weg zur nächsten U-Bahnstation gezeigt bekommen. "Wir leben halb innerhalb des Computers und halb in der richtigen Welt", meint Elliot. "Unsere gesamte Umgebung steckt voller Sensoren und Auslösern."

Den Datenschutz stellt diese Informations-Explosion vor völlig neue Herausforderungen, so dass Verschlüsselungs-Technologien stark weiterentwickelt werden müssen. Besonders wenn, wie Evans erwartet, jeder Mensch seine eigene IP-Adresse bekommt.

Der AMD-Server-Experte Newell ist sich sicher: "Es wird immer Menschen geben, die dir etwas stehlen und dich beobachten wollen. Und ihnen steht die gleiche Rechenleistung zur Verfügung wie dir."

Mit dieser Technik-Explosion verändert sich das Gesicht dieser Welt - auch der heute noch sogenannten Dritten Welt, glaubt Cisco Fellow Fred Baker. "Wir dürfen mit Breitband-Zugängen überall auf der Welt rechnen, mit zig Megabit." Heute haben nur 30 Prozent der Weltbevölkerung Zugang zum Internet, Afrika liegt mit 11 Prozent am weitesten hinten. Das wird sich ändern, prognostiziert Baker.

"Ich würde mir wünschen, dass der Reichtum nicht mehr umverteilt wird auf unserem Planeten - sondern generiert." Er sieht mehr Reichtum überall auf der Welt, auch in Regionen, die heute überhaupt nicht wohlhabend sind. Das ist der wirkliche Wert, den ich in der Internet-Technologie sehe."

Dem Internet steht eine Katastrophe bevor

Eines allerdings vorausgesetzt: Die große Internet-Katastrophe bleibt aus. BBN-Chef-Entwickler jedenfalls sieht sie kommen. "Unsere Gesellschaft ist extrem verwundbar - mit unserem ganzen Finanzsystem und unserem Stromnetz. Es ist sehr wahrscheinlich, dass in den nächsten 25 Jahren ein Katastrophen-Szenario über uns hereinbricht."