Best Practice Rewe und Merck

Wie man ein Digital Lab aufbaut

14.04.2016 von Christoph Lixenfeld
Auch der Mittestand sucht händeringend nach Strategien für die Digitalisierung. Crisp Research rät zu Digital Labs - und präsentiert Beispiele und Ratschläge dazu.
  • Über 60 Digital Labs werden in Deutschland betrieben oder stehen kurz vor der Inbetriebnahme.
  • Zentrales Ziel ist das Finden digitaler
  • Produktideen und Geschäftsmodelle.
  • Wichtigster Erfolgsfaktor ist die Eigenständigkeit des Labs.

Fast kein Mittelständler sagt mittlerweile beim Stichwort Digitalisierung noch "brauche ich nicht", "interessiert mich nicht" oder "spielt in meiner Branche keine Rolle". Alle wollen digitaler werden mit ihrem Business.

Aber fast niemand hat ein passendes Konzept auf Lager. Wie groß die Ratlosigkeit ist, verdeutlichte just im vergangenen Monat das Ergebnis einer breit angelegten Befragung durch das Beratungsunternehmen EY aus Stuttgart. Demnach scheitert jeder dritte Mittelständler beim Versuch, stärker auf Digitalisierung zu setzen.

Mangelndes Wissen über den besten Weg zur Digitalisierung

Ein wichtiger Hemmschuh, auch das ein Ergebnis der EY-Befragung, ist mangelndes Wissen über den besten Weg zur Digitalisierung. Ideen sind also dringend gesucht. Eine solche könnte die Gründung vonDigital Labs sein, von unternehmensinternen Brutkästen, die passgenaue Analysen und entsprechende Konzepte liefern.

Mit diesem Vorschlag hat sich jetzt das Analyseunternehmen Crisp Research aus Kassel beschäftigt - und neben Ratschlägen zur Umsetzung gleich Beispiele mitgeliefert.

Gute Ergebnisse durch sorgfältiges Brüten: Anders als bei Hühnern sollte das im Mittelstand allerdings idealerweise in (Innovations-)Brutkästen stattfinden.
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Software als Schlüssel zur Digitalisierung

Bevor sie näher auf die Vorschläge eingehen, sagen die Berater dankenswerter Weise, was sie im Zusammenhang mit ihrem Konzept unter Digitalisierung verstehen. "Die Produkte der Zukunft sind Software-Defined, sprich ein wesentlicher Teil des Produktnutzens ergibt sich aus den software-basierten Funktionalitäten, Sensorik und der Vernetzung der Geräte zur einer ganzheitlichen IoT-Lösung. Hardware und Materialeigenschaften treten zunehmend in den Hintergrund."

Logische Folge: Wer Digitalisierung will, muss sich vor allem mit Software beschäftigen. Sie wird, so Crisp Research, "ein zentraler Aspekt der klassischen Produktentwicklung und des Product Lifecycle Management. Dafür müssen Corporate IT und Product IT zusammenwachsen."

Plattformen und Netzwerke fördern Kreativität

Darüber hinaus seien heute nicht nur Produkte, sondern auch komplette Geschäfts- und Preismodelle programmierbar. Diese gestalteten sich zukünftig serviceorientiert, kontextbasiert und personalisiert.

Um in dieser sich schnell wandelnden Welt erfolgreich zu sein, müssten auch traditionelle Mittelständler ihre Entwicklungs- und Innovationsstrategien neu ausrichten. Dazu brauche es neue Plattformen, Netzwerke und Plätze, auf denen sich die digitale Kreativität und der Austausch mit externen Partnern und Ideengebern entfalten können.

Das Team möglichst breit aufstellen

Als Organisationsform solcher Plattformen raten die Experten von Crisp Research zu "Digital Labs", zu Brutkästen, die abteilungs- und knowhowübergreifend als interne Denkfabriken Digitalisierungsideen entwickeln und umsetzen.

Aufgestellt werden sollten die Think Tanks wie Startups - und ihr Leitungsteam auch Startup-Erfahrung oder einen Venture Capital-Background haben.

Je bunter desto besser: Teams von Digital Labs sollten so divers wie möglich sein.
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Bei der Zusammensetzung raten die Experten zu einem in etwa gleichverteilten Mix aus Experten unterschiedlicher Fachabteilungen, Software-Entwicklern, IT-Architekten und Produktdesignern. Außerdem sollte der interne IT-Chef (also der CIO, so es diese Rolle gibt) mit von der Partie sein. Er muss vor allem dafür sorgen, dass die entwickelten Lösungen mit vorhandenen Plattformen und Standards kompatibel sind und durch das Neue keine Inseln entstehen.

Geduld bei Konzept und Finanzierung

Ebenso wichtig wie die Organisation ist das langfristige Konzept und die Finanzierung des Digital Labs. Hier ist Geduld gefragt. "Innerhalb von ein paar Quartalen sind keine substanziellen Ergebnisse zu erwarten", schreiben die Digital-Crisp-Autoren, echte Innovationen brauchten Zeit und kämen "nicht auf Knopfdruck."

CIOs und andere Verantwortliche, die an der Schnittstelle zwischen dem Digital Lab und seinem "Mutterunternehmen" agieren, kommt deshalb die wichtige Aufgabe zu, gegenüber dem Vorstand einerseits für das Potenzial der Denkfabrik zu werben und andererseits die Erwartungshaltungen richtig zu managen - will sagen nicht überschießen zu lassen.

Die meisten Ideen scheitern

Lernen können die Verantwortlichen an dieser Stelle nach Ansicht von Digital Crips von der Venture Capital-Branche. Hier seien von 10 Investments 5 Totalausfälle, 3 entwickelten sich durchschnittlich und nur 2 Projekte liefern am Ende die erhoffte Performance. "Nur weiß man zu Beginn eben nicht, welches die beiden Top-Performer sind. Hier braucht es einen langen Atem".

Ideen für die Digitalisierung entstehen weniger durch Sich-den-Kopf-zermartern, sondern eher durch Ausprobieren und das Kommunizieren darüber.
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Zwei Dinge sind in diesem Zusammenhang allerdings klar - auch wenn das die Autoren so nicht schreiben:

Das wissen die Analysten von Digital Crisp, deshalb vermutlich stammen die mit den Empfehlungen gelieferten Best Practices auch nicht vom Gemüsehändler an der Ecke, sondern von prominenten Größen ihrer jeweiligen Branche.

Das Digital Lab von Rewe

Erstes Beispiel: Rewe Group. Schon 2014 hatte der Lebensmittelhändler die Geschäftseinheit Rewe Digital gegründet, ein Innovationslabor mit 400 Mitarbeitern. In ihm tüfteln Entwickler, Vertriebler und Marketingexperten gemeinsam an Lösungen für den erfolgreichen Online-Lebensmittelvertrieb. Denn im Kern geht es um nichts anderes, wenn in dieser Branche von Digitalisierung geschrieben oder gesprochen wird. Das Team arbeitet agil in Zwei-Wochen-Sprints, an deren Ende jeweils der Status Quo des Erreichten abgefragt wird.

Wichtigste Erfolgsfaktoren sind nach Selbsteinschätzung von Rewe die Zusammenlegung von Ideen- und Produktentwicklung mit Beteiligungsaktivitäten des Unternehmens zu einer Einheit und das Führen dieses Labs als Business-Unit mit Umsatzverantwortung.

Der Erfolg gibt dem Konzept Recht: Beim Vergleichstest des Computermagazins CHIP von 6 Online-Supermärkten landete Rewe im Sommer 2015 auf Platz 1.

Digital Labs bei Merck

Zweites Praxisbeispiel für Digital Labs:Merck. Das Pharmaunternehmen entschied sich 2015 für das sogenannte Accelerator-Konzept: Merck Unterstützt an seinem Hauptsitz in Darmstadt gezielt Startups, die an Innovationen in den Bereichen Healthcare und Life Science arbeiten. Das Unternehmen möchte von den Gründern ausdrücklich mehr Agilität und Flexibilität lernen, es gehe Merck primär um einen Kulturaustausch, so Michael Gamber, Leiter des Innovationszentrums.

Die Teams von Digital Labs müssen gar nicht groß sein; Hauptsache, sie verfügen über eine große Eigenständigkeit.
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Die Startups bekommen im Gegenzug Mentoren aus dem Merck-Management an die Seite gestellt und Zugang zu einem Netzwerk von über 50.000 erfahrenen Experten. Außerdem erhalten die Teams ein Startkapital von jeweils 25.000 Euro.

Auch hier gibt der Erfolg dem Konzept Recht. Nach Ansicht von Merck entstand in verblüffend kurzer Zeit eine Vielzahl neuer und schnell umsetzbarer Ideen.

Die meisten Mittelständler werden voller Neid auf die Kapazitäten blicken, die Große wie Rewe und Merck in die Digitalisierung stecken können.

Digitalisierung - der Status quo nach Branchen
Diese Branchen wurden befragt
Zehn vertikale Märkte wurden untersucht.
Strategische Bedeutung
Dass die Digitalisierung zu einem wichtigen Thema wird, wissen die meisten Unternehmen inzwischen.
Investitionen werden eingeplant
Erstaunlich viele Betriebe legen kein Geld für die digitale Transformation zur Seite.
Strategische Steuerung
Entweder die Geschäftsführungen werden tätig oder es gibt Initiativen in den Fachbereichen.
Nachholbedarf beim Change Management
Das Change Management beschränkt sich meist auf einzelne Organisationsbereiche.
Papierdokumente noch im Einsatz
Fast 30 Prozent der Befragten wickeln ihre Geschäfts- und Produktionsprozesse zu mehr als 50 Prozent auf Papier ab.
Medienbrüche bleiben ein Thema
immerhin sagt fast ein Drittel, die Zeit der Medienbrüche sei vorbei.
Mobile Business im Kommen
Mobile Arbeitsprozesse sind in zwei von drei Unternehmen ein Thema.
Das Social Web bleibt Randthema
Im Kommunikationsmix der Unternehmen spielt das Social Web eine Rolle. Sonst weniger.
Digitale Geschäftsmodelle werden wichtiger
Knapp 23 Prozent geben Vollgas in Sachen digitale Geschäftsmodelle.
ITK-Branche mit Vorsprung
Die ITK-Branche ist bei der digitalen Transformation viel weiter fortgeschritten als etwa die Logistiker.

Meier, denken Sie über Digitalisierung nach!

Dennoch kann man sich auch mit sehr viel weniger Aufwand dem Thema widmen. Entscheidend ist, ein eigenständiges Team - und wenn es nur aus 2-3 Leuten besteht - für eine Weile darauf herumdenken zu lassen. Anstatt dem Marketingleiter kurz vor Feierabend zuzurufen: "Ach übrigens Meier, wenn Sie mal eine halbe Stunde haben, dann machen Sie sich doch mal ein paar Gedanken darüber, wie wir digitaler werden können."