Warum misslingt deutschen Topmanagern häufig der Auftritt vor großem Publikum?
Wachtel: Das ist ein strukturelles Problem. In den großen Konzernen existieren zwar teilweise gigantische Kommunikationsapparate. Deren Mitarbeitern gelingt es aber zu selten, Reden und Auftritte mit der Unternehmensmarke abzugleichen. Sie berücksichtigen nicht die Wirkung des Auftritts, zum Beispiel wie der Manager den Raum betritt oder von welcher Seite er angeleuchtet wird. Stattdessen reduzieren sie ihre Unterstützung auf die Sprache. So entstehen Texte, die zum Vorlesen taugen. Lebendige Auftritte sind so aber nicht möglich.
Zur Rechtfertigung der Kommunikationschefs muss man sagen: Das ist von Managern alter Schule auch gar nicht gewollt. Entweder es interessiert sie nicht, wie sie wirken, oder sie überschätzen sich kolossal. Viele glauben, es sei nicht nötig, Rede und Antwort vor der Kamera zu üben. Gut durchdachte Briefings der Kommunikationsabteilung werden ignoriert. Stattdessen wird nächtelang über Details im Redemanuskript gestritten - das von Zitaten deutscher Dichter und Denker strotzt, aber völlig uninspiriert vorgelesen wird. Auftritte dieser Art sind schädlich für das Image des Unternehmens und häufig ein Desaster.
Übernimmt die neue Generation von Managern denn die Rituale der Alten?
Wachtel: Zum Glück nicht. Seit etwa 2002 beobachte ich eine Veränderung. Seitdem gelangen Manager in Toppositionen, die ihr Handwerk in angelsächsisch geprägten Ländern gelernt haben. Teilweise stammen sie auch aus Beratungen. Sie denken in Bildern und Skizzen - und nicht in Texten. Diese neuen CEOs sind gegenüber der Kommunikationsabteilung fordernd. Sie verlangen von ihrem Stab effiziente Abläufe und andere Vorlagen als nur Text. Und vor allem: Sie sind ungeheuer lernfähig. Ich schätze, dass ein Drittel der Dax-30-Vorstände ein neues Verständnis von Kommunikation hat. Für sie ist Corporate Speaking, der integrierte Auftritt, kein Fremdwort mehr.
Was genau machen die jungen Vorstände anders?
Wachtel: Sie wollen auch in Bereichen professionell sein, die die alte Garde als eher unbedeutend eingeschätzt hat. Dazu gehören zum Beispiel Auftritte vor Publikum. Die neue Generation von Spitzenmanagern fragt ganz gezielt: Haben Sie die neuesten Methoden? Liege ich richtig mit dem, was ich bisher mache?
Dieses Interview erschien bei Harvard Business manager
Dazu kommt: Diese Manager verstehen sich als Teil der Unternehmensmarke. Sie betrachten Kommunikation als Geschäft. Demzufolge hassen sie es, etwas ineffizient zu machen. Etwa eine Rede vor Investoren zu halten, deren Elemente sie später beim Neujahrsempfang bei einem Minister nicht mehr verwenden können. Sie wollen Skaleneffekte erzielen - auch in der Kommunikation.
Individuell geformte Sprachvorschläge
Wenn aber die Kommunikationsabteilung nach altem Muster arbeitet, ist der Konflikt doch programmiert.
Wachtel: Das stimmt. Und der Wandel findet nur langsam statt, was zumindest teilweise verständlich ist. Statt wie bisher einfach neue Reden - und Antworten - für jede einzelne Veranstaltung vorzubereiten, müssen die Kommunikationsleute nun für jeden Redner einen individuellen Weg finden, wie er das Unternehmensbild in der Öffentlichkeit vertreten kann.
Nehmen wir das Beispiel eines Fertigsuppenherstellers. Die Kommunikationsabteilung muss zunächst einmal ausarbeiten, welche Themen besonders gut zur Marke passen - oder wo bestimmte Themen gesetzt werden müssen, etwa weil in der Öffentlichkeit gerade über gesunde Ernährung debattiert wird. Dazu bereiten sie Redemodule vor, die bei jedem Anlass wiederverwendbar sind.
Diese Redemodule bestehen nicht aus fertigen Textblöcken, sondern enthalten nur Stichwörter. Sie werden mit dem Vorstand so lange diskutiert, bis individuell geformte Sprachvorschläge entstanden sind.
Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?
Wachtel: Stellen Sie sich vor, auf einer Hauptversammlung wirft ein Investor dem Vorstand vor: "Sie geben das Geld falsch aus!" Auf so eine Kritik kann sich die Organisation vorbereiten. Sie entwickelt Antworten, die bestimmte Fragmente enthalten. Etwa "Ersten Blick so aus - Aber klar: dürfen nicht an Zukunft sparen - Beispiel: Vertrieb - brauchen für Zukunft - externe Berater - Funktionen - kein Unternehmen selbst im Haus hat - werden gebraucht - so lange wie nötig. Aus diesen Fragmenten kann der Vorstand in eigenen Worten seine Antwort zusammensetzen.
Er könnte zum Beispiel sagen: "Sie haben ja recht, das mag auf den ersten Blick so aussehen. Aber es muss allen klar werden: Wir dürfen nicht an der Zukunft sparen. Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Wir stehen im Vertrieb vor ganz neuen Aufgaben. Um mit diesen Herausforderungen fertig zu werden, brauchen wir externe Berater. Und die übernehmen diese neuen Funktionen, die wir nicht im Haus haben. Das sind Mitarbeiter, die wir brauchen, so lange es notwendig ist."
Wie schaffen es die Vorstände, dass das nicht auswendig gelernt klingt?
Wachtel: Das muss trainiert werden. Es gibt Vorstände, die ihre Auftritte regelmäßig proben. Sie fragen: "Können wir vorab auf die Bühne gehen?", "Haben wir einen Teleprompter?", "Sind meine Stichwortkarten geeignet?" Sie dürfen nicht vergessen: Diesen Aufwand muss niemand vor jeder Rede treiben. Es geht vielmehr darum, einmal ein Set an Rede- und Antwortmodulen und sogenannten Soundbites zu erstellen. Dann sind Sie für viele Situationen schon ganz gut vorbereitet.
Soundbites verschaffen Eindruck
Was sind Soundbites?
Wachtel: Vorgeformte Sätze, die Assoziationen hervorrufen sollen und genau auf die Unternehmensmarke abgestimmt sind. Sie müssen von den auftretenden Spitzenmanagern selbst mitkreiert werden, damit sie einen individuellen Stil bekommen.
Soundbites werden in regelmäßigen Abständen erstellt und immer wieder in Reden und Antworten eingestreut. Sie müssen prägnant, bildreich und leicht zitierbar sein. In großen US-Unternehmen prüft die Kommunikationsabteilung die Wirkung von Soundbites vor Publikum. So vermittelt zum Beispiel der Satz "Wir werden jetzt durchstarten" einen kraftvollen Eindruck. Das Soundbite "Dieses Unternehmen ist 120 Jahre alt, weil es einen Charakter hat. Das wird sich nicht ändern" illustriert dagegen die Kontinuität des Unternehmens.
Es gilt aber auch hier: Diese Sätze wirken nur dann authentisch, wenn die Kommunikationsabteilung sie vorher mit dem Vorstand in einem oft länger dauernden Sparring ausgearbeitet hat. Das können Sie im Grunde für jede beliebige Veranstaltung vorbereiten. Hat der CEO diese Sprachmodule und Soundbites einmal verinnerlicht, kann er wesentlich freier und auch gelassener auf Bühnen und vor Kameras agieren. Im Endeffekt kann er sich dann auch besser auf seine Zuschauer einlassen.
Für wen ist diese Art der Vorbereitung wichtig?
Wachtel: Für diejenigen, deren Auftritte Wert schaffen. Bei großen Unternehmen geht das bis zur zweiten Führungsebene hinunter. Denn natürlich sind nicht nur Hauptversammlungen und Analystenkonferenzen wichtige Termine. Wenn zum Beispiel ein für die Region Süddeutschland zuständiger Manager seine Kunden zum Neujahrsempfang einlädt und dort eine Rede hält, kann dieser Auftritt das Geschäft beeinflussen.
Vorbild Steve Jobs: "Er hat den Mut zur brutalen Einfachheit"
Wenn Apple-Chef Steve Jobs eines seiner neuen Produkte vorstellt, wirkt das immer leicht, locker und sehr unterhaltsam.
Wachtel: Der hat etwas, das vielen Managern hier fehlt. Den Mut zur brutalen Einfachheit. Auch er verwendet Soundbites. Er schließt zum Beispiel jede Rede mit dem Satz: "There is one more thing." Und verkündet dann noch eine kleine Anekdote. Seine Rede ist gespickt mit diesen kleinen Elementen, die simpel sind - ihm aber eine ungeheure Authentizität verleihen. Erst wenn Sie sich alle Reden hintereinander ansehen, stellen Sie fest: Die sind so perfekt gestaltet wie die Produkte. Die Rede passt zur Marke.