Am 15. Oktober 2013 wollen die Beratungsfirma McKinsey & Company und der Softwarekonzern Microsoft in Berlin eine eintägige, für die Teilnehmer kostenlose Konferenz zum Thema „Professionelles Projektmanagement im öffentlichen Sektor“ veranstalten. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stehen Workshops, Fallstudien, Vorträge sowie der Erfahrungsaustausch der Teilnehmer untereinander. Eingeladen sind Projektsponsoren, Projektleiter und Portfoliomanager aus Ministerien, Behörden und Unternehmen.
Vor dem Hintergrund, dass die Umsetzung von (IT-)Großprojekten im öffentlichen Sektor oft mit Negativschlagzeilen verbunden ist, soll es um Fragen gehen wie:
• Welche sind die kritischen Erfolgsfaktoren von IT-Großprojekten?
• Wo lauern Gefahren? Mit welchen Methoden kann man diese rechtzeitig erkennen und damit umgehen?
• Welche Positivbeispiele im Großprojektmanagement gibt es, und was kann man für Deutschland daraus lernen?
CIO.de sprach über das Thema der Veranstaltung mit Marianne Janik, Senior Director Public Sector (Microsoft), und Sebastian Muschter, Leiter der IT-Practice im Public Sector (McKinsey).
CIO.de: Hat der öffentliche Sektor besonders viel Nachholbedarf in Sachen Projektmanagement?
Marianne Janik (Microsoft): Die Projekte im öffentlichen Sektor bedürfen unserer besonderen Aufmerksamkeit, weil sie auch besonderen Regeln unterliegen. Es gibt außerdem im öffentlichen Bereich komplexere Projektstrukturen, bereits in der Phase der Zielfindung und im Projektfokus, die wir in der Industrie so nicht haben. Deshalb ein klares „Ja“.
Sebastian Muschter (McKinsey): Wir stellen häufig fest, dass Verwaltungen und Ministerien gut darin sind, Gesetze zu machen. Am Ende dieser Arbeit steht ein Dokument. Die weitere Projektarbeit, das Umsetzen von Gesetzen, das Formulieren von neuen Angeboten, ist aber immer noch eher ungewöhnlich. Projekttätigkeit erfordert Übung. Deswegen glauben wir, dass es noch hier einen großen Nachholbedarf gibt.
"Im schlimmsten Projekt hatten wir einmal sieben rote Ampeln"
CIO.de: Was geht denn oft schief bei den Projekten?
Janik: Wir haben dazu mit McKinsey eine umfangreiche Studie gemacht. Aus unserer Erfahrung gibt es vier Phasen, in denen effektive Verbesserungschancen liegen:
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Die Projektdefinition und Zielfindung, birgt durch lange Vorbereitungsphasen immer wieder Risiken. und erfordert sehr viel Abstimmung. So gilt es etwa auch die richtigen Projektteilnehmer zu beteiligen. Hier muss man immer wieder prüfen, ob die richtige Nutzenorientierung und -Organisation noch da sind.
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Die Projektkultur, das Miteinander. Hier sehen wir sehr oft, dass Projekte der Öffentlichen Hand sehr konsensorientiert sind. Es gibt ein großes Sicherheitsdenken, kritische Themen werden lange diskutiert.
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Integriertes Projektcontrolling – unsere Domäne, von der wir uns wünschen und empfehlen dieses von Anfang an zu integrieren. Obgleich das Beschaffungsamt hier intensiv gearbeitet hat, ist es immer noch nicht flächendeckend eingeführt, in den Ländern ist es noch die Ausnahme. Deswegen werden die Werkzeuge dafür nicht genutzt.
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Die Frage, was wird vermieden, welche notwendigen Entscheidungen werden heraus gezögert? Dabei geht es um den Projektabbruch und das Neuaufsetzen des Projekts. Hier entstehen Risiken, weil Vorgaben nicht zeitgerecht umgesetzt werden.
Muschter: Bei unserer Analyse haben wir insgesamt 13 Faktoren identifiziert, die immer wieder schief laufen. Jeder einzelne kann ein Projekt aus der Spur bringen. Konkret untersucht haben wir insgesamt elf größere Projekte im öffentlichen Sektor in Deutschland. Interessant dabei: Ein Erfolgsfaktor war eigentlich in jedem Projekt immer rot. Im schlimmsten Projekt hatten wir einmal sieben rote Ampeln.
Für viele dieser Projekte steht teilweise bis heute noch nicht einmal fest, was wirklich hinten rauskommen soll. Man ist einfach losgelaufen und hat ganz viele schwierige Entscheidungen über die Prioritäten aufgeschoben. Die Elbphilharmonie ist ein Beispiel für so ein Vorgehen. Projekte schnell zu starten mit einer nur grob umrissenen Zielsetzung, das ist eine Grundsünde. Die Implikationen werden erst viel später klar, wenn es längst zu spät ist.
"Ein Pilot fliegt ja auch nicht mit leerem Tank oder bei kritischem Wetter los"
CIO.de: Reicht es, wenn man einen Tag lang Ihre Veranstaltung besucht?
Muschter: Nein, natürlich nicht. Was aber schon sehr wichtig ist: Für den Erfolg kommt dem Projektmanager eine ganz entscheidende Bedeutung zu. Das hat viel mit Selbstbewusstsein zu tun. Ich vergleiche das mit einem Piloten. Der fliegt auch nicht los, so lange das Flugzeug nicht ausreichend gewartet oder nicht genug Sprit im Tank ist, wenn zu viel Gepäck da ist oder das Wetter zu kritisch wird. So muss auch ein erfolgreicher Projektmanager agieren.
Wenn der Auftrag erteilt wird, loszulegen und Projektmanager etwa feststellen, dass sie zu wenig Budget haben, um tatsächlich fertig zu werden oder Unwägbarkeiten abzufedern, oder sie gar nicht wissen, welches Ziel konkret erreicht werden soll, dann sollten sie erst gar nicht starten. Dieses Selbstbewusstsein, sich auch gegen die Vorgesetzten oder Auftraggeber zu stellen, wenn ein Projekt nicht erfolgsfähig ist, das wollen wir aufbauen.
CIO.de: Frau Janik, Sie steuern die Software zur Tagung bei. Wie kann sie helfen?
Janik: Die Software ist ein kleiner, aber wichtiger Baustein des Gesamtkonzepts. Beim integrierten Projektcontrolling kann man mit den richtigen Softwaretools, wie MS Project, helfen, ein Führungsinstrument zu etablieren, das die Arbeit unterstützt. Die meisten unserer Kunden haben die Tools zwar im Einsatz, sie müssen aber auch inhaltlich in ein integriertes Controlling-Konzept eingebunden werden. Das ist unsere Botschaft.
CIO.de: Kann man vom Ausland lernen?
Muschter: Deutschland ist hier weder besser noch schlechter. Allerdings haben andere Länder bereits damit begonnen, stärker zu steuern. Beispiel Dänemark: Dort sieht sich eine Gruppe im Finanzministerium größere Projekte regelmäßig an, bevor eine neue Phase beginnt. Bei uns schaut der Rechnungshof nur im Nachhinein nach. Es wäre besser, wenn er den Prozess ebenfalls begleiten würde und Freigaben erteilen könnte.
In England müssen beispielsweise 250 Beamte im Jahr ein Projektmanagementtraining absolvieren. Das ist Voraussetzung, wenn sie Projekte einer bestimmten Größe leiten wollen. Oder ein Beispiel aus Amerika: Dort ist McKinsey an einem Projekt beteiligt, in dem versucht wird, regelmäßig auftretende Fehlerindikatoren zu erkennen, um ein Frühwarnsystem aufzubauen
Janik: In Österreich haben wir zum Beispiel dabei geholfen, die elektronische Gesundheitskarte einzuführen. Es gab bereits zu Beginn, in der Zielfindungsphase und im Vergabeverfahren, gezieltes Projektcontrolling und regelmäßige Managementmeetings, bis auf die höchste Ministeriumsebene. Letztendlich wurde das Projekt in time und in Budget zu Ende gebracht, und die Karte wurde sehr erfolgreich eingeführt.
CIO.de: Was gibt es für deutsche Beispiele?
Muschter: Negativ sind sicherlich die Projekte Stuttgart 21, Berliner Flughafen und Elbphilharmonie zu nennen. Es gibt aber auch Positivbeispiele. Etwa die Einführung einer Zahlungs-Software bei der Bundesagentur für Arbeit. Die Einführung ging zum 1. Januar 2011 ohne Probleme über die Bühne. Ein Erfolgsfaktor war hier die Tatsache, dass der Vorstandsvorsitzende selbst mit im Lenkungsausschuss für das Projekt saß und dafür gesorgt hat, dass es nicht überfrachtet wurde. Erfolg fängt ganz oben an.
Janik: Ich denke, positive Beispiele in Deutschland sind vor allem die, wo es von Anfang an einen dezidierten Projektleiter mit einem klaren Auftrag gibt. Er muss so früh wie möglich benannt werden und trägt die Verantwortung, auch das Management einzubinden.
"In der Industrie laufen Projekte zwar nicht besser, aber anders."
CIO.de. Sind Projekte in der Industrie besser organsiert?
Janik: Es läuft nicht besser, aber anders. Es gibt eine klarere Nutzenargumentation und einen starken Fokus auf Ziele wie Kostenreduzierung. Wir haben dort kürzere Vorlaufzeiten. Man errechnet einen ROI. Die Projektkultur ist sachorientierter, die Erwartungshaltung deutlicher und die Komplexität nicht vergleichbar mit der öffentlichen Hand. Zudem gibt es in der Industrie auch eine starke Standardisierung, was die IT-Projekte einfacher macht. Projektcontrolling wird automatisch etabliert, die Werkezuge sind automatisch vorhanden. Wenn Projekte scheitern, werden sie schneller abgebrochen, weil die Kosten viel mehr im Vordergrund stehen.
CIO.de: Fehlt es in der Verwaltung in Bezug aufs Projektmanagement an Ausbildung?
Muschter: Ja, so etwas gibt es eigentlich nicht. Karriere machen oft sehr stark juristisch geprägte Menschen, die weniger ans Projektgeschäft gewöhnt sind. Es gibt in der Regel nur Linienkarrieren. Eine Projektleitung wird nicht belohnt; es gibt zu wenig Rotation. Erst gegen Karriereende ist man eigentlich der perfekte Projektleiter.
In der öffentlichen Verwaltung sind alte Hasen im Projektgeschäft aber viel seltener als in der Industrie. In der Verwaltung kann man eigentlich nicht entlassen, werden, es sei denn, man fährt ein Projekt nachweislich an die Wand. Hier gilt es, andere Anreize zu setzen. Im Bundesverwaltungsamt (BVA) gibt es sehr viel versprechende Ansätze, die man stärken muss.
Das BVA hat auch ein inhaltlich sehr pragmatisch ausgerichtetes Handbuch zur sogenannten S-O-S-Methode für Großprojekte veröffentlicht, an dem wir mitwirken durften. Darin finden sich Anregungen und Templates, alles kostenlos für jeden Bürger, auch für Projektleiter in der Privatwirtschaft.
Interessierte können sich über diesen Link noch bei der Veranstaltung anmelden.