Das Textilservice-Unternehmen Berendsen hat seine zentrale Unix-Anwendung in eine virtualisierte Server-Umgebung auf einem x86-Rechner migriert. Dieser Schritt war notwendig geworden, nachdem Hewlett-Packard (HP) die Hardware-Plattform PA-RISC gekündigt und ein Ende des Supports in Aussicht gestellt hatte.
Viele IT-Abteilungen sind durch solche Maßnahmen schon zu großen Neuinstallationen gezwungen worden. Etwas anders ist es im Fall von Berendsen gelaufen: Das Unternehmen mit Hauptsitz in Glückstadt (Schleswig-Holstein) entschloss sich, die gewohnte Software-Umgebungerst einmal in eine virtuelle Maschine und auf einen Standardrechner auf Intel-Basis zu migrieren.
Software-Entwicklung jetzt mit Visual Cobol
Besonderer Trick dabei: Man verlagerte zugleich die Software-Entwicklung für das bisherige Kernprodukt auf Visual Cobol von Micro Focus. Damit ist das Unternehmen in der Lage, die Entwicklungsumgebung Eclipse zu nutzen und Cobol mit Java zu verbinden.
Anwendungen, die über Jahre gewachsen sind, stellen für Unternehmen im Prinzip einen großen Wert dar. Es sind in der Regel zuverlässige Lösungen, die die zentralen Geschäftsprozesse abbilden und die man nicht ohne Not aufgibt.
Berendsen im schleswig-holsteinischen Glückstadt hatte Anfang der 90er-Jahre ein AS400-System, das nur einige Basisfunktionalitäten abgedeckt hatte, durch eine Unix-Lösung mit HP-UX auf einer HP9000-Hardware ersetzt. Betriebswirtschaftliche Grundfunktionen wie Rechnungswesen werden seither auf einem SAP-System durchgeführt. Für die zentralen betrieblichen Prozesse entwickelte das Unternehmen auf der HP-Plattform mit Cobol sukzessive eine individuelle Applikation unter der Bezeichnung VVS (Voll-Versorgungssystem).
Komplexe Prozesse mit Alt-Software bewältigt
Diese Prozesse sind bei Berendsen überaus komplex, so dass man nicht auf eine Standard-Lösung zurückgreifen konnte. Als Dienstleister wäscht Berendsen an insgesamt acht Standorten vor allem Textilien für Krankenhäuser und Altenheime, wobei die Palette von Bettwäsche über Dienstkleidung bis zur Ausstattung von Operationssälen reicht.
Über eine Million Einzelteile, die im Eigentum von Berendsen sind, werden in riesigen Anlagen gewaschen, getrocknet, gebügelt und zusammengelegt. Die technische Herausforderung besteht weniger im Waschen als in der gesamten Logistik, denn die Einzelteile müssen nach dem Waschvorgang wieder richtig zugeordnet werden, damit die Kunden die gewohnten Ausstattungen in der jeweils benötigten Art, Größe und Farbe zurückerhalten.
RFID hilft bei der Zuordnung
Berendsen hat jedes Mietberufskleidungsteil sowie die gesamte OP-Wäsche mit einem RFID-Chip ausgestattet, so dass jedes Teil über den gesamten Prozess von Anlieferung, Waschen und Auslieferung verfolgt werden kann. Die Transportsysteme in den Wäschereien erkennen die Teile automatisch und ordnen sie den richtigen Betriebsprozessen zu. Nach dem Waschen können sie auf Grund der ausgelesenen Daten wieder richtig konfektioniert werden.
Dabei sind für einzelne Sorten besondere Anforderungen zu beachten: So muss bei Textilien, die in Operationssälen verwendet werden, jederzeit nachvollziehbar sein, ob eine ordnungsgemäße Sterilisierung erfolgt ist. Da Fehler, zum Beispiel die unzureichende Sterilisierung eines OP-Abdecktuches, durchaus gesundheitsrelevant sein können, müssen die Kliniken die Informationen über eine solche Reinigung in die Patientenakte aufnehmen und sie 30 Jahre lang archivieren.
Korrespondierend dazu muss auch Berendsen für die betreffenden Teile dokumentieren, welche Prozesse durchgeführt wurden, und auch hier müssen diese Daten über 30 Jahre aufbewahrt werden. Die Anforderungen können je nach Art der zu bearbeitenden Teile also sehr differenziert sein. Dabei fallen enorme Mengen an: Insgesamt werden bei Berendsen je nach saisonalen Schwankungen mehrere hundert Tonnen Wäsche pro Tag verarbeitet.
20 Jahre alte Software mit 2500 Programm-Modulen
Die selbst entwickelte Applikation VVS bildet alle diese Prozesse ab. Sie ist über fast zwanzig Jahre hinweg mit den Anforderungen gewachsen und umfasst mittlerweile rund 2500 Programm-Module. Die mit dem Entwicklungssystem Server Express von Micro Focus erstellte und gepflegte Anwendung lief von Anfang an auf HP-UX, 2004 wurde die Datenhaltung auf die Datenbank Oracle umgestellt.
Als Individualsoftware bietet VVS dem Unternehmen eine hohe Flexibilität und erfüllt damit eine wesentliche Anforderung des Geschäftsmodelles des Unternehmens. Große Kunden schreiben ihre Aufträge aus und spezifizieren dabei meist auch individuelle Anforderungen, beispielsweise organisatorisch bedingte Aufteilungen bei der Rechnungsstellung. Diese Anforderungen müssen nach Erteilung des Auftrags dann kurzfristig innerhalb von zwei bis drei Monaten realisiert werden.
So gut diese mit den eigenen Anforderungen gewachsene Anwendung ihre Aufgaben erfüllt, wurde doch deutlich, dass die Hardware-Plattform nicht mehr zeitgemäß war. Überlegungen über eine weitere Nutzung wurden spätestens mit der Abkündigung der verwendeten PA-RISC-Architektur durch HP und den damit endenden Support hinfällig. "Der Betrieb eines bereits abgekündigten Systems hätte für uns ein untragbares Risiko dargestellt", erläutert Gerd Wiemann, Leiter der Anwendungsentwicklung bei Berendsen. "Das zeigte sich zum Beispiel, als wir für etliche Systeme, wie für unser SAN, keine Ersatzteile mehr erhielten. Ein Systemwechsel war daher unaufschiebbar."
Intel und Linux von Red Hat statt HP Unix
Die gesamte Unternehmensgruppe Berendsen migrierte ihre Systeme 2011 auf Intel-Server mit der Virtualisierungsplattform von Red Hat Linux; dabei bilden nun vier Cisco-Server die Hardware-Basis. Wichtige Anforderungen des Gesamtunternehmens wie Erhöhung der Verfügbarkeit, bessere Lastverteilung, effizientere Nutzung der physikalischen Hardware, Zertifizierbarkeit der Lösung für SAP und Oracle sowie Skriptfähigkeit und effiziente Administration konnten damit erfüllt werden. Die neue Plattform erwies sich auch wirtschaftlich als vorteilhaft: "Durch die Virtualisierung und die Reduzierung der Serverzahl können wir allein unsere Energiekosten um 25.000 Euro pro Jahr reduzieren", sagt Wiemann.
Um die Vorteile der neuen IT-Landschaft sinnvoll nutzen zu können, war es zwingend erforderlich, dass VVS als die zentrale Applikation des Unternehmens auch in der neuen Umgebung eingesetzt werden konnte. Da Micro Focus sein Entwicklungssystem Server Express mit dem entsprechenden Cobol-Compiler sowohl für HP-UX als auch für die Red-Hat-Linux-Plattform anbietet, bot sich die Chance an, VVS ohne umfangreiche Änderungen im Source-Code zu übernehmen.
Berendsen entschied sich jedoch für ein anderes Vorgehen: Anstatt eines bloßen Compiler-Wechsels wurde gleich ein Upgrade auf das neue Entwicklungssystem Visual Cobol von Micro Focus vorgenommen, um die Anwendungsentwicklung auf eine langfristig sichere Basis zu stellen.
Visual Cobol und Java für die Software-Entwicklung
Visual Cobol ist in der Lage, aus Cobol-Code direkt Java-Bytecode zu erzeugen, so dass Entwickler Cobol-Anwendungen für das JVM-Framework erstellen und in Java einbinden können. Berendsen kann auf dieser Basis nun sein Berichtswesen, das mit Crystal Reports von Business Objects (BO) realisiert wurde, direkt in VVS integrieren. "Bisher holt sich der BO-Server zwar die Daten aus VVS", führt Wiemann dazu aus, "aber der Aufruf der Reports erfolgte außerhalb von VVS. Mit Visual Cobol können wir diese Funktionen nun vollständig in unsere Anwendung hereinholen." Das verschaffe Berendsen eine große Arbeitserleichterung.