In seiner Coaching-Praxis auf der Düsseldorfer Königsallee begleitet Georg Th. Fischer Manager der ersten und zweiten Führungsebene. Sein Ansatz basiert auf tiefenpsychologischen, hirnbiologischen und systemischen Konzepten. Der promovierte Arzt und Psychoanalytiker ist außerdem Lehrbeauftragter an der Wirtschaftsfakultät der Privaten Universität Witten/Herdecke. |
Wir haben erlebt, wie Robert Enkes Witwe von dessen Depression und Ängsten vor der Veröffentlichung seiner Krankheit erzählte. Solche Erkrankungen können jeden treffen - übertragen auf die Arbeitswelt sowohl Arbeitnehmer wie Arbeitgeber. In welchem Zustand befinden sich die Betroffenen?
Fischer: Die wahren Hintergründe dieses konkreten Falls entziehen sich meiner Kenntnis, sodass sich Mutmaßungen darüber verbieten. Jedoch muss man zur Depression als Krankheit wissen, dass die betroffenen Menschen einen entsetzlich quälenden Zustand der "Losigkeit" erleben, Freudlosigkeit, Antriebslosigkeit und sogar Trauerlosigkeit. Man sagt von den schwer depressiv Kranken, dass sie nicht nur eine massive Angst haben, sondern dass sie Angst sind. Suizid ist bei Depressiven - in Abhängigkeit, aber auch unabhängig von äußeren Begebenheiten und Umständen - nicht selten.
Welche Situationen können das Entstehen von Depressionen begünstigen?
Fischer: Generell muss man unterscheiden zwischen der Depression als Krankheit, die genetisch mit determiniert ist, und einer depressiven Verstimmung. Die depressive Verstimmung kann jeden von uns treffen in einer schwierigen Situation, bei hoher Dauerbelastung, in Krisensituationen, wenn im privaten oder im beruflichen Bereich das Verarbeitungsvermögen überfordert ist. Eine depressive Verstimmung ist immer im Kontext der Biografie und der jeweiligen Lebenssituation zu sehen. Ihr Grad ist abhängig von der Persönlichkeitsstruktur des Einzelnen, von dem System in dem er interagiert und von seinem Beziehungsgeflecht.
Und welche Situationen setzen bei den Leistungsträgern im Unternehmen die Daumenschrauben an?
Fischer: Depressive Verstimmungen können entstehen, wenn jemand über eine längere Zeit frustrierende Verhandlungen führt oder wenn ihm Aufgaben misslingen. Oder nehmen wir als Beispiel die derzeitige Krise: Neben dem ohnehin anstrengenden Tagesgeschäft hat man Sorge um die eigene Karriere und die eigenen unternehmerischen Ziele zu verkraften.
Gefunden im manager magazin.
Darüber hinaus muss man die Mitarbeiter führen und stützen, mit ihren Ängsten umgehen. Dann auch Mitarbeiter freisetzen und deren aussichtslose Situation miterleben: Was man da verarbeiten muss, kann schon mal zu viel werden. Solche Situationen gefährden das Gleichgewicht einer Person und sind unabhängig von der Ebene - es kann jeden treffen: Topmanager, mittlere Manager oder normale Arbeitnehmer.
"Man ist niemandem Rechenschaft schuldig"
Welche Auswirkungen hat eine Diagnose einer solchen Erkrankung auf das Arbeitsleben eines Betroffenen?
Fischer: Das ist natürlich ein Schlag. Das ist vergleichbar mit der Diagnose einer anderen ernsten Erkrankung, beispielsweise einer Herz- oder einer schweren rheumatischen Krankheit. Damit muss man sich ernsthaft auseinandersetzen. Es belastet sehr und löst Ängste um die Leistungsfähigkeit und Lebensqualität aus.
Was würden Sie in einem solchen Fall empfehlen? Outen, oder lieber nicht?
Fischer: Unsere Gesellschaft "fetischisiert" Attribute wie Jugend, Schönheit, Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Erfolg, sodass der Einzelne durchaus unter Druck geraten kann, "Makel", die gegen diese Fetische verstoßen, zu verbergen - manchmal sogar vor sich selbst.
Man könnte sich natürlich dafür entscheiden, trotz schwerer Beschwerden und trotz einer massiven Überforderung nichts zu sagen und so zu tun, als sei alles in Ordnung. Volle Leistung trotz schwerer Beeinträchtigung erbringen zu wollen, ist eine massive Überforderung, die irgendwann in einer Katastrophe endet. Aber jemandem, der eine Krankheit hat, die behandelt und kompensiert werden kann, sodass sie nicht sichtbar werden muss, würde ich zunächst empfehlen, das für sich zu behalten. Es ist eine sehr persönliche Angelegenheit. Man ist niemandem Rechenschaft schuldig und sollte niemandem zu viel von seiner Intimsphäre offenbaren.
Also verheimlichen, solange die Fassade aufrechterhalten werden kann?
Fischer: Nicht nur die Fassade, sondern auch die Funktionsfähigkeit bei guter Lebensqualität. Warum sollte jemand, der beispielsweise eine Herzrhythmusstörung hat, die aber gut medikamentös behandelbar ist, seinen Kollegen davon erzählen? Dazu besteht überhaupt kein Anlass. Das gilt auch für Depressionen - es gibt leichte Varianten, die entweder psychotherapeutisch oder medikamentös oder in Kombination von beidem behandelt werden können. Dabei kann jemand in seinem privaten und beruflichen Umfeld nicht nur die Fassade aufrechterhalten, sondern auch sehr leistungsfähig sein. Solange das gewährleistet ist, geht es niemanden etwas an.
W ir haben ja im Fall Enke viel zu spät erfahren, welche immensen Ängste der Fußballer vor dem Bekanntwerden seiner Depressionen hatte. Mit welchen Folgen müssen sich Betroffene im Falle eines Outings auseinandersetzen?
Fischer: Wenn beispielsweise eine Stelle zu besetzen ist, die mit sehr hohen Anforderungen verbunden ist, geht man das Risiko ein, nicht genommen zu werden. Nicht aufgrund der bisherigen Leistung, sondern aufgrund der Befürchtung in Zukunft nicht die erforderliche Leistung erbringen zu können. Und wenn man zu früh oder zur Unzeit etwas über eine Erkrankung offenbart hat, vergibt man sich möglicherweise Chancen.
"Verständnis für Krankheiten nimmt zu"
Das ist ein schmaler Grat, den man in einem solchen Fall entlanggehen muss.
Fischer: Ja. In dem Moment, in dem eine Krankheit objektiv und subjektiv zu einer solchen Beeinträchtigung führt, dass die Belastung nicht mehr durchzuhalten ist, sollte man seine Karriere und seinen Beruf danach ausrichten. Sonst richtet man sich zugrunde.
Tritt denn das ein, wovon die Betroffenen am meisten Angst haben: Häme, Scham, Versagen?
Fischer: Die Versagensängste sind immens. Und im Übrigen sind sie nicht irrational. Sie sind durchaus begründet. Sie addieren sich zu jener Angst hinzu, die zum Krankheitsbild einer Depression gehört.
Wie verhalten sich Kollegen am besten im Umgang mit Erkrankten, egal ob sie physisch oder psychisch erkrankt sind?
Fischer: Ich glaube, wenn man die Grundsätze der Menschlichkeit beachtet und sich so verhält, wie man möchte, dass sich andere in einer solchen Situation einem selbst gegenüber verhalten würden, kann man nicht viel falsch machen. Ich habe einige Führungskräfte in ähnlichen Situationen erlebt und gesehen, dass es in manchen Fällen mit einem Karriereknick einhergeht.
Im Fall einer sehr schweren Krankheit ist manchmal ein kompletter Ausstieg aus dem Beruf, eine Auszeit oder eine Versetzung erforderlich. Ich persönlich habe noch nie eine unmenschliche oder unwürdige Situation bei meinen Klienten erlebt. Aber ich habe von Fällen gehört, in denen es vorkam.
Coaching: ein gängiges Instrument der Führungskräfte-Entwicklung
Wie groß ist das Tabu, das beispielsweise mit psychischen Erkrankungen einhergeht? Und wie kann damit einigermaßen umgegangenen werden?
Fischer: Ich erlebe einen sehr deutlichen Unterschied im Vergleich zur Zeit vor zehn oder zwanzig Jahren. Als ich mit meiner Coaching-Tätigkeit Anfang der 90er Jahre anfing, war es weitestgehend ein Tabu, überhaupt über Coaching zu sprechen, geschweige denn über gesundheitliche Probleme im psychischen Sektor. Inzwischen ist die Akzeptanz in den Unternehmen viel höher. Wir erleben, dass heute Coaching ein gängiges Instrument der Führungskräfteentwicklung ist. Ähnlich hat auch die Sensibilität für psychische Störungen zugenommen - natürlich immer unter der Voraussetzung, dass die Berufsausübung nicht beeinträchtigt wird.
"Menschliche und tragfähige Lösungen finden"
Gilt das auch in der Männerwelt der Manager?
Fischer: Ja. Aber, wie gesagt, immer verbunden mit der Frage: Bleibt er oder sie leistungs-, urteils- und handlungsfähig auch unter Belastung? Die Frage ist ja auch berechtigt. Sie stellt sich nicht nur bei einem Topmanager, sondern auch bei jedem in einer verantwortlichen Position: Einem Chirurgen, einem Piloten oder einem Busfahrer - es geht nicht um eine Heroisierung der Männer-, Sport- oder Unternehmenswelt. Die Frage nach der Leistungsfähigkeit hat nichts mit Vorurteilen oder Häme zu tun. Es ist eine grundlegende Frage, die gestellt werden muss.
Das sind die Regeln des Spiels?
Fischer: Das sind auch die Anforderungen eines verantwortungsvollen Stellenprofils.
Und wenn das nicht mehr geleistet werden kann ...
Fischer: ... dann muss man Lösungen finden. Ich kann aus meiner Erfahrung sagen, dass die Unternehmen mit solchen Situationen in der Regel sehr gut umgehen. Ich habe das bisher in Erkrankungsfällen (psychischer wie somatischer) immer erlebt, dass anständige, menschliche und tragfähige Lösungen gefunden wurden.
Welche Empfehlungen geben Sie Betroffenen?
Fischer: Generell sorgsam mit sich umzugehen, sowohl in die eine Richtung des nicht vorzeitigen Preisgebens intimer Einzelheiten im Sinne einer falsch verstandenen Offenheit. Aber sorgsam auch in den Momenten, die eine echte Leistungsgrenze aufzeigen, um nicht gegen sich anzuarbeiten. Das sind sie sich selbst und ihrem Tun schuldig.