Onboarding Journey und Willkommenskultur

Wie man Mitarbeiterverlust gleich nach dem Einstieg verhindert

19.04.2023 von Anne M. Schüller
Damit ein Wunschbewerber nicht nur kommt, sondern auch bleibt, braucht es funktionierende Onboarding-Prozesse. Hier liegt oft noch eine Menge im Argen. Das Entwickeln von Onboarding-Journeys kann Abhilfe schaffen.
Machen Arbeitgeber beim Onboarding Fehler, sind neue Mitarbeiter schnell wieder weg.
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High Potentials haben meist mehrere Angebote in petto. Sie können frei wählen, bei wem sie sich auf ein Kennenlernen einlassen. Eine gute Willkommenskultur kann den entscheidenden Unterschied machen. Wie es einem Mitarbeiter in den ersten Tagen ergeht, auch Onboarding-Experience genannt, spricht sich in Windeseile herum.

Dabei fand die Society for Human Resource Management (SHRM) heraus: 15 Prozent aller neuen Mitarbeiter sind bereits am ersten Arbeitstag so entsetzt über das, was sie erleben, dass sie sofort wieder gehen möchten. Vor allem die besten Talente setzen dies dann auch zügig in die Tat um. Für die betroffenen Unternehmen ein herber Verlust an Knowhow, Zeit und Geld. Der Recruiting-Prozess beginnt wieder von vorn.

Damit das gar nicht erst passiert: Setzen Sie sich mit jedem einzelnen Interaktionspunkt einer Onboarding-Journey, also mit all dem, was zu Beginn eines neuen Arbeitsverhältnisses passiert, intensiv auseinander. Ziel ist es, den gemeinsamen Start reibungslos hinzubekommen und zudem die Einführung in den Job und das Team so ansprechend wie möglich zu machen, damit der/die Neue nicht nur seine Stelle antritt, sondern auch gerne im Unternehmen bleibt.

Onboarding: Die alte und die neue Business-Welt

Sehen wir uns hierzu ein konkretes Beispiel an. Zu Wort kommt der Jungautor Alex T. Steffen, Jahrgang 1990: Mein Studienfreund Jens nahm vor kurzem ein Jobangebot bei einer namhaften Unternehmensberatung im Bereich "Digital" an. Zur gleichen Zeit sagte Anna, eine gute Bekannte, auf eine Jobofferte bei Facebook zu. Beide zogen für ihren neuen Arbeitgeber von Wien nach Berlin.

Jens' Vorgesetzter meldete sich vier Wochen vor Arbeitsbeginn einmal per E-Mail. Hauptinhalt der Mail war die Empfehlung von zwei Büchern als Vorbereitungslektüre. Die Beratungsfirma half Jens nicht bei der Wohnungssuche. Eine finanzielle Unterstützung für den Umzug bekam er ebenfalls nicht. Dabei kann der Stress, der mit dem Umzug in ein anderes Land verbunden ist, ganz gehörig sein. Es wäre also im eigenen Interesse, dem Neuankömmling etwas unter die Arme zu greifen.

Anna wurde von Facebook Unterstützung bei der Wohnungssuche angeboten, und der komplette Transport ihrer Besitztümer wurde bezahlt. Das Resultat: In den Wochen vor Jobbeginn muss sich Anna nicht mit diesen Unannehmlichkeiten befassen. Stattdessen kann sie ausgeglichen und gut vorbereitet in den neuen Job starten.

Doch das wirklich beeindruckende ist die Kultur in Annas neuem Team. In den Wochen vor Arbeitsbeginn bekam sie zahlreiche persönliche Willkommensnachrichten. Die zukünftigen Kollegen drückten Anna ihre Freude aus und boten Unterstützung bei Annas Eintreffen in der neuen Heimat an. Annas Vorfreude war entsprechend hoch, ein Garant für gute Arbeitsqualität gleich von Beginn an.

Onboarding-Journeys im Workshop entwickeln

Prototypische Onboarding-Journeys für verschiedene Berufsgruppen oder Einstellungssituationen können sehr gut in eintägigen Workshops entwickelt werden. Kollegen, die selbst erst vor kurzem eingestellt wurden, sollten unbedingt daran teilnehmen können. Auch Azubis sind bestens geeignet. Sie haben mehr oder weniger jeden Bereich eines Unternehmens kennengelernt. Und sie sind noch nicht blockiert durch Bereichsscheuklappen und eingespielte Prozesse.

Am besten beginnt man mit einer Listung von Begebenheiten, die in einem guten Onboarding-Prozess ganz gewiss nicht passieren dürfen. Anschließend wird eine prototypische Onboarding-Journey entwickelt. Diese wird optisch wie eine Reiseroute dargestellt. Chronologisch zeigt sie die einzelnen Phasen und Interaktionspunkte, auch Touchpoints genannt. Vor allem aber zeigt sie auch das, was ein neuer Mitarbeiter dabei so alles erlebt und wie er sich dabei fühlt: enttäuscht, okay oder begeistert.

Beim Dokumentieren einer Onboarding-Journey wird, wie bei einer Collage, auch gemalt und geklebt. Ausgewählte Geschichten, beispielhafte Meinungen, Hinweise auf Arbeitgeber-Bewertungsportalen und tatsächliche Vorkommnisse werden angeheftet. Enttäuschungs- und Begeisterungsfaktoren werden gelistet. Dont's und Dos werden benannt. Wichtige Einstiegs- und Ausstiegspunkte werden hervorgehoben.

Im Anschluss wird eine Prioritätenliste der zu bearbeitenden Touchpoints erstellt. Nach der vorbehaltlosen Erfassung der jeweiligen Ist-Situation wird eine gewünschte oder notwendige Sollsituation definiert und ein Maßnahmenplan hierzu entwickelt. Dieser wird in den angepeilten Zeitlinien zügig umgesetzt. Im Anschluss daran wird das Ergebnis anhand passender Messgrößen geprüft und dokumentiert.

Ein gelungenes Onboarding-Beispiel aus der Praxis

In einem Fall haben Azubis die hauseigenen Onboarding-Prozesse neu konzipiert. Bis dahin hatte es in diesem Unternehmen oft mehrere Tage gedauert, bis ein neuer Mitarbeiter produktiv werden konnte. Solange war er damit beschäftigt, sich zu orientieren und die notwendigen Arbeitsmittel und Genehmigungen zu beschaffen. Das fing schon damit an, dass am ersten Arbeitstag beim Empfang niemand wusste, wo genau überhaupt sein Arbeitsplatz war.

Bei der erarbeiteten Lösung war quasi per Mausklick alles organisiert: Ein paar Tage vor dem Start erhielt der/die Neue eine Willkommensbox mit wichtigen Informationen, einem Einarbeitungsplan und einem kleinen Willkommensgeschenk. Elektronisch wurde er/sie mit Bild und Infos zur Person allen zuständigen und involvierten Personen vorgestellt. Auf Wunsch konnte sich der/die Neue auch in einem Video präsentieren. Am ersten Arbeitstag wurde er/sie beim Betreten des Gebäudes auf einem Display namentlich willkommen geheißen.

Die notwendigen digitalen Arbeitsmittel wie E-Mail-Account, Benutzername und Passwort für alle wichtigen IT-Anwendungen und Softwarelizenzen lagen vor. Ein A-bis-Z-Handbuch für den perfekten Start lag bereit. An das nötige Equipment wie Computer, Telefon, Rollcontainer, Mitarbeiterausweis, Visitenkarten und Posteingangsschild war gedacht. Eine kleine Welcome-Zeremonie war vorgesehen, um die soziale Integration zu beschleunigen. Und ein Mentor stand als Begleiter bereit.

Ein ähnliches Vorgehen wurde für IT-Freelancer mit befristeten Arbeitsverträgen initiiert. Diese verplemperten bislang oft den ganzen ersten Vormittag, um sich zurechtzufinden - für 200 Euro die Stunde. Und was noch sehr viel schlimmer war: Sie bekamen Zugang zur EDV und damit auch zu hochbrisanten Daten, ohne im Vorfeld die notwendigen Verschwiegenheitserklärungen unterschrieben zu haben. Ein umfassendes Freelancer-Onboarding-Kit regelt nun alles reibungslos.

Crossfunktionaler Helfer für eine gute Willkommenskultur

Um etablierte Unternehmen auf dem Weg in die Zukunft zu unterstützen, gibt es ein neues Berufsbild: den internen Touchpoint Manager. Als Bindeglied zwischen der Organisation, den Mitarbeitenden und dem Führungskreis ist er für unternehmenskulturnahe Themen und das Wohlergehen der Menschen zuständig. Er sorgt für eine gute Willkommenskultur und viele weitere abteilungsübergreifende Themen, wie etwa diese:

Die Ausbildung zum zertifizierten internen Touchpoint Manager richtet sich vor allem an ambitionierte Beschäftigte aus den Bereichen Mitarbeiterführung und HR, die im Kontext unserer neuen Arbeitswelt und mithilfe dieser Zusatzqualifikation die Unternehmenskultur ihrer Arbeitgeber zukunftsfähig machen wollen.