Wo große Unternehmen auch außerhalb eines IT-Umfeldes agiles Arbeiten erfolgreich etabliert haben, gab es stets ein bereichsübergreifendes Entwicklungsprojekt. Ohne diese Klammer hat sich gezeigt, sind die meisten Gehversuche mit beispielsweise Elementen aus Scrum oder Design Thinking bald wieder zum Erliegen gekommen. Denn die Schnittstellen zu anderen Organisationseinheiten, die weiterhin nach dem Wasserfall-Prinzip arbeiten, haben dafür gesorgt, dass im Scrumboard der agilen Teams früher oder später alle Aufgaben im Feld "Warten" hängen. Die Frustration ist groß.
Agile Methoden bedarfsorientiert einführen
Viele Berater und Trainer vermitteln Mitarbeitern agile Methoden, die in der Form nur in jungen Digitalunternehmen und -einheiten erfolgreich zur Anwendung kommen können. Die Hierarchie - strukturell und kulturell - in einer etablierten Organisation wird vernachlässigt. Für Bestandsunternehmen, die bisher sequenziell gearbeitet haben, hat es sich als erfolgsversprechender erwiesen, wenn Mitarbeiterteams sich Elemente aus den agilen Methoden selbst aussuchen und kontextbezogen anpassen. Es ist daher auch nicht ratsam, Agile direkt in den operativen Alltag einzuführen, sondern über einen Strategieprozess die Stakeholder langsam heranzuführen.
Scaled Agile ist zunächst Chefsache
Die Bezeichnung skaliertes Agile lässt vermuten, dass man die neue Arbeitsform bottom-up beginnen und dann nach und nach in der Gesamtorganisation "ausrollen" könnte. Dieser Versuch misslingt, gerade dann, wenn es kein gemeinsames Entwicklungsprojekt gibt (siehe oben). Scaled Agile beginnt Top-Down: Die Geschäftsführung und/oder Gesellschafter leben Agile vor und teilen das "Warum" sowie das "Wie" mit der gesamten Belegschaft.
Das Management ist in der agilen Organisation regelmäßig sichtbar und ist wahrnehmbarer Promotor des Wandels. Um das zu erreichen, bedarf es neben Executive Coachings vor allem der Komposition einer agilen und motivierenden Change-Story sowie des agilen Rahmenwerkes Objective & Key Results, das die Gesamtorganisation in eine große gemeinsame Erkundung zu überführen vermag.
Kultur als erfolgskritische Größe verstanden
Wenn vom Scheitern von Scaled Agile berichtet wird und die Betroffenen den Implementierungsprozess rekapitulieren, dann fällt auf, dass die "fehlende Kultur" stets die Ursache ist. Doch auf Nachfrage wird deutlich: Interne und externe "Agile Coaches" haben das wesentliche Merkmal von Agile (im Gegensatz zu Lean!) vernachlässigt: Zeit für Kultur.
Alle agilen Ansätze sehen die Zeit für Kultur vor. Sie heißt Retrospektive und macht überhaupt erst den Erfolg von Agile aus. Regelmäßig werden gemeinsam nicht mehr nur die Inhalte der Arbeit reflektiert, sondern vor allem die Art der Zusammenarbeit. Werte, Prinzipien und Stimmungen werden wöchentlich diskutiert, um sich gemeinsam verbessern zu können.
Erfolgreiche agile Unternehmen haben die Kultur in das Zentrum von Scaled Agile gestellt. Wenn diese nicht auf allen Ebenen tief in der DNA der Organisation verankert wird, kommt es dazu, dass machtvolle Stakeholder gerade im mittleren Management die agilen Spielregeln zu ihren Gunsten verändern. Das ist dann der Anfang vom Ende.
Scaled Agile ist eine Herausforderung, Gefahr und Chance für eine neue Form der Unternehmensführung. Sie gelingt, wenn es ein Gesamtkonzept und die nötige Ernsthaftigkeit und Weitsicht im Top- und Middle-Management gibt.