Warenbestellungen aus dem Katalog sind ein Kind der industriellen Produktionsweise. Güter werden nicht mehr individuell nach Auftrag angefertigt, sondern standardisiert zu festen Preisen angeboten. Die IT verharrte lange in einer eher handwerklich geprägten Fertigung, hat in den letzten Jahren große Schritte hin zu industriellen Produktionsmethoden getan: nach der Infrastruktur auch zum großen Teil im Applikationsbetrieb, und mittlerweile zumindest ansatzweise in der Anwendungsentwicklung. In ihrem Gefolge wurden auch IT-Servicekataloge eingeführt, in denen bestimmte IT-Dienstleistungen und deren Preise definiert sind.
Das wichtigste Motiv für Servicekataloge war der Wunsch, im Zuge der Kostensenkungsbestrebungen für mehr Transparenz zu sorgen. Dies ist und bleibt ein wichtiges Ziel. Doch können sich Servicekataloge zum zentralen unternehmerischen Steuerungsinstrument entwickeln. Richtig aufgebaut, schaffen sie noch mehr Transparenz als bisher, steuern zugleich die Anforderungen der Kunden und gestatten es dem Dienstleister, die Industrialisierung der IT-Produktion voranzutreiben. Dies wiederum senkt auch die IT-Kosten für den Auftraggeber.
Die erste große Herausforderung beim Aufbau von Servicekatalogen liegt darin, dass sie zwei Zielgruppen mit unterschiedlichem Verständnis und oft auch abweichenden Zielen adressieren. Leistungsgeber – gleichgültig, ob externe Dienstleister oder interne IT-Abteilungen - und Leistungsempfänger in den Fachbereichen sprechen nicht nur anders, sondern haben oft auch ungleiche Erwartungen und Anforderungen an Leistungsumfang und -qualität.
Zunächst müssen die Services klar strukturiert und für beide Seiten nachvollziehbar beschrieben werden. Und zwar so, wie Kunde ihn empfängt, nicht wie der Dienstleister ihn produziert. Mit anderen Worten: Nicht das WIE, sondern das WAS steht im Mittelpunkt. Wird beispielsweise ein Mailbox-Service vereinbart, werden dessen Funktionen benannt, nicht aber technische Fragen wie eingesetzte Plattformen, und Systeme.
Dabei müssen die Inhalte der Services eindeutig definiert sein: Was wird geliefert? In welchem Umfang und welcher Qualität? Wie wird die Leistung verrechnet? Dafür sollten am Business orientierte Verrechnungsmodelle auf Stücklistenbasis genutzt werden. Die Basis der Rechnung sind genaue Reports über Menge und Qualität der tatsächlich bezogenen Leistungen, deren Aufbau der Katalog ebenfalls festlegen sollte.
Services exakt auf beiden Seiten definieren
Wichtig ist, dass alle Beteiligten nachvollziehen können, was tatsächlich vereinbart ist. Die Produzenten müssen erkennen, in welcher Qualität und Menge sie liefern sollen. Der Einkauf des Kunden muss exakt wissen, welche Service-Level die verschiedenen Anwender genau benötigen und welche Qualität, Mengen und Preise die Lieferverträge zusichern.
Aber auch den Anwendern muss klar sein, welche Services sie erwarten dürfen - vor allem in den für sie unmittelbar relevanten Bereichen wie Desktop, Servicedesk und Applikationsbetrieb. Sie sollten sich der vertraglich festgelegten Reaktions- und Repair-Zeiten oder System-Antwortzeiten bewusst sein, sonst kann schnell Unzufriedenheit entstehen.
So kommt es zum Beispiel immer wieder vor, dass Anwender bei Problemen spätabends das Call-Center kontaktieren und sich dann über mangelnde Hilfe beklagen - obwohl mit dem Dienstleister lediglich ein Support bis 18 Uhr vereinbart wurde.
Deshalb sollte in den Servicebeschreibungen insbesondere auf eine verständliche Sprache Wert gelegt werden, die alle Adressaten verstehen. Leider dominiert in rund 50 Prozent der Vereinbarungen noch der berüchtigte IT-Jargon. "Meantime between Failure" mag zwar für viele Techniker selbstverständlich klingen - die Anwender dürfen aber zu Recht darauf bestehen, dass der Service in ihrer Sprache und Erfahrungswelt definiert ist. Das WAS in den Mittelpunkt zu rücken heißt, eine andere Welt mit eigener Sicht (nämlich die des Business) zu betreten und alle Orientierungsinstrumente konsequent daran auszurichten.
Der Kostenoptimierung dienen Servicekataloge auch deshalb, weil sich mit ihrer Hilfe die Anforderungen wesentlich genauer justieren lassen. Der CIO kann den Leistungsbeziehern in den Fachabteilungen Alternativen anbieten und zum Beispiel die unterschiedlichen Kosten eines Service-Desk-Supports bis 18 oder 22 Uhr aufzeigen. Sie können sich dann entscheiden, ob der erwartete Nutzen tatsächlich den Aufwand rechtfertigt.
Oft gibt es in auch in unterschiedlichen Bereichen unterschiedliche Servicezeiten. Hier kann bereits eine Einigung auf einen Standard - der es dem Dienstleister erlaubt, seine Prozesse effizienter zu organisieren und die Leistung günstiger zu verkaufen - die Kosten bis um ein Fünftel senken.
Wenn der Anwender die von seinen Anforderungen verursachten Konsequenzen klar sieht - etwa dass eine Repair-Zeit von einer halben Stunde 30 Prozent zusätzliche Kosten erzeugt - stellt er sie meist wesentlich sorgfältiger zusammen. Hilfestellung bei der Feststellung des tatsächlichen Bedarfs geben Benchmarks, in denen Leading Practices am Markt ermittelt werden.
Um das WIE kümmert sich nur der Dienstleister
Einen weiteren Optimierungsschub können Servicekataloge durch die veränderte Zielorientierung bewirken. Nur dann, wenn sie ausschließlich definieren, WAS geliefert wird, das WIE aber dem Dienstleister überlassen, erhält dieser die notwendigen Freiheitsgrade, um eine industriell geprägte IT-Produktion voranzutreiben. Ist das WAS dann auch noch an Marktstandards ausgerichtet, wird das volle Potenzial ausgenutzt.
Industrielle Produktion zeichnet sich generell dadurch aus, dass Standardkomponenten zu fest kalkulierbaren Kosten in verschiedenen Varianten hergestellt werden. Investitionen in vorgelagerte Phasen - Forschung & Entwicklung oder Arbeitsvorbereitung - bilden die Grundlage für Innovationen und einen noch effizienteren Fertigungsprozess. Ergebnisse sind eine gleich bleibende Qualität, geringere Kosten, Transparenz und Nachvollziehbarkeit der gesamten Produktion.
Um dies in der IT umzusetzen, muss der Leistungsbezieher die Standardisierung auch erlauben - das WIE tatsächlich in die Eigenverantwortung des Dienstleisters legen. Das betrifft zum Beispiel
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das Personal - welche Personen und Skills er einsetzt (was heute vielfach noch der Kunde vorgibt),
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an welchen Lokationen er produziert
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welche Technologie (Systeme, Maintenance oder Rechenzentrum) er verwendet,
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oder ob er beispielsweise das Monitoring vor Ort oder über Near-/Offshoring betreibt.
Erst so kann er das Potenzial der industrialisierten IT-Produktion endlich einfahren - und in Form reduzierter Preise auch an den Auftraggeber weiterreichen. Eine solch konsequente Delegation der Verantwortung findet man heute erst in rund zehn Prozent der Servicevereinbarungen.
Leading Practices verkürzen Lernkurve
Wenn Leistungsbezieher und Lieferant Servicekataloge erarbeiten, müssen sie nicht bei Null anfangen. Sie können ihre Lernkurve deutlich verkürzen, wenn sie auf Leading Pratices aufsetzen - sowohl bei internen als auch externen Beziehungen. Sie sollten deshalb Standardmodule verwenden, die vergleichbar und damit benchmarkfähig sind.
Benchmarks können zum einen den Output des Dienstleisters transparent machen: Welche Leistungsschnitte sind üblich, welche Preise werden am Markt für welche Qualität bezahlt? Zum anderen unterziehen sie die Anforderungen der Leistungsempfänger einem Vergleich. Welche Support-Zeiten haben zum Beispiel führende Banken?
Solche Leading Practices helfen den Verantwortlichen, beliebte Argumente der Nutzer ("War schon immer so", "Geht nicht anders", "Brauchen wir unbedingt, um Geschäfte machen zu können") zu überprüfen. So können sie die Standardisierung und Industrialisierung zumindest bei Commodity-Services vorantreiben. Da sich die Zielwerte mit dem Markt selbst weiterentwickeln, können sie durch regelmäßige Benchmarks Kosten, Preise und die Organisation stetig optimieren.
Welche Services sich für den Katalog eignen
Welche Services sind für Kataloge geeignet? Zunächst alles, was der Infrastruktur zugeordnet ist, also die Arbeitsplatzausstattung, E-Mail-Systeme, Speicherplatz und RZ-Services (Serverbetrieb in verschiedenen Größen und Klassen oder Datenbanken). Aber auch der Applikationsbetrieb lässt sich stärker standardisieren und in definierten Serviceklassen vereinheitlichen, etwa User-Administration, Applikations- und Schnittstellen-Überwachung, die Bereitstellung von Testsystemen sowie einfache Aufträge für Wartung und Weiterentwicklung.
Die Preismodelle müssen sich natürlich ganz konkret auf die Elemente im Servicekatalog beziehen. Damit sie die Anforderungssteuerung fördern, sollten sie für die Fachseite nachvollziehbar und beeinflussbar sein.
Ist der Dienstleister für die IT-Unterstützung ganzer Geschäftsprozesse verantwortlich, bieten sich auch Business-bezogene Verrechnungsmodelle an: beispielsweise IT-Kosten pro Kontoauszug, pro verkauftem Ticket oder pro produziertem Wirtschaftsgut. Solche an Geschäftsprozessen orientierten Verrechnungsmodelle sind aber heute mit einem Anteil von fünf bis zehn Prozent noch die Ausnahme.
Der Servicekatalog sollte auch die Governance regeln. Die Verantwortung für das WAS sollte deutlich formuliert werden. Die Demand-Seite muss klarstellen, was sie braucht und kaufen möchte und die für den Einkauf zuständigen Personen festlegen. Der Dienstleister muss genau definieren, was er leistet und wer die Lieferung sowie das Reporting verantwortet. Insbesondere in gemischten Umgebungen - wenn IT-Leistungen teilweise intern erbracht werden, teilweise ausgelagert sind – sollte die jeweilige Verantwortung klar und detailliert festgelegt werden.
Wichtig ist, dass die Verantwortlichen beider Seiten unternehmerisch handeln können. Die Service-Manager des Dienstleisters verhandeln mit ihren Ansprechpartnern beim Kunden Inhalte, Qualität und Preise. Zugleich verantworten sie die Kosten, die sich wiederum am Markt ausrichten.
Servicekataloge optimieren spart Geld
Bisher lag bei der Einführung von Servicekatalogen der Schwerpunkt auf der Standardisierung und der transparenten Beschreibung der Services. Damit konnten Unternehmen Einsparungen von 10 bis 20 Prozent erzielen.
Künftig werden Auftraggeber besonders bei externen Leistungsbeziehungen überprüfen, ob Standards, die der Dienstleister für sich entwickelt hat, für das eigene Unternehmen geeignet sind – und diese so weit wie möglich übernehmen, vor allem bei Commodity-Services wie Desktop, und Servicedesk.
Dazu werden sie auch verstärkt prüfen, ob ihre heutigen Anforderungen wirklich notwendig sind. Das gilt zum Beispiel für die IT-Infrastruktur, aber auch Aspekte, die die Business-Seite direkt betreffen - etwa ob jeder Mitarbeiter einen eigenen Arbeitsplatz braucht oder Desk-Sharing sinnvoll sein könnte.
Auch hier können sie durch das Eruieren von Leading Practices von anderen Unternehmen lernen. Ziel ist es, dem IT-Dienstleister bei Technologie, Lokationen oder Skills so viele Freiheitsgrade wie möglich einzuräumen - und damit das Potenzial industrieller IT-Produktion für beiden Seiten zu nutzen. Dies erlaubt eine Optimierung um weitere 20 Prozent.
Wie stark die IT-Kosten sinken können, wenn dieser Ansatz konsequent verfolgt wird, zeigt das Beispiel des Department for Work & Pension (DWP) in Großbritannien (dem Pendant zur deutschen Arbeitsagentur). Es hatte seine IT bereits vor längerer Zeit ausgelagert. Nun hat es die Sourcing-Beziehung auf eine neue Grundlage gestellt. Im Rahmen eines langfristigen Transformationsprogramms erhöhte DWP die Freiheitsgrade der Dienstleister bei der Lieferung, überprüfte und reduzierte zugleich eigenen Anforderungen.
Ergebnis: IT-Volumen halbiert
Das Ergebnis: Das IT-Volumen reduzierte sich um mehr als 50 Prozent; innerhalb von fünf Jahren werden fast zwei Milliarden Pfund Sterling eingespart. Zugleich haben die Dienstleister für IT-Infrastruktur und Telekommunikation (HP und BT) ihre Marge erhöht – denn sie konnten nun ihre eigenen Produktionsprozesse deutlich optimieren. Eine echte Win-Win-Situation.
Jörg Hild ist Geschäftsführer der Compass Deutschland GmbH.