Mithilfe digitaler Zwillinge wollen derzeit viele Unternehmen unter anderem ihre Fertigungskapazitäten besser auslasten. Virtuelle Klone, die Digital Twins, sollen dabei verschiedene Szenarien durchspielen - ein Vorhaben, das in der physischen Welt zu kostspielig wäre. Der Mischkonzern Mars, der mit Süßwaren ("Snickers", "M&Ms"), Tiernahrung und Lebensmitteln rund 40 Milliarden Dollar pro Jahr umsetzt, bildet jetzt seine Lieferkette in der Produktion digital ab. IT-Partner für das Vorhaben ist Microsoft.
Die KI-Strategie (künstliche Intelligenz) von Mars ziele auf eine "Demokratisierung" der KI-Nutzung ab, erklärt Chief Digital Officer Sandeep Dadlani. Er will die Mitarbeiter zu mehr Effizienz und Produktivität befähigen. Ein Schlüsselelement dabei ist die Azure Cloud. Mars nutzt Microsofts KI-Dienste und Werkzeuge, um Daten, die die Maschinen in den Fabriken generieren, zu bearbeiten und zu analysieren. "Wir betrachten die Digitalisierung als starken Business Accelerator", sagt Dadlani. "Sie ist für uns kein Selbstzweck".
Partnerschaft mit dem Cloud-Provider
Die Partnerschaft zwischen Mars und Microsoft zeigt beispielhaft, wie sich klassische Fertigungsunternehmen mit Cloud Providern zusammenschließen, um ihre Prozesse zu verbessern. Weitere Beispiele leifern etwa die US-amerikanischen Firmen Land O'Lakes und Johnson Controls. Die gemeinsame Prämisse: eine adäquate Nutzung von Cloud-Ressourcen bringt mehr Agilität und Veränderungsfähigkeit, zugleich sinkt der Aufwand für die Beschaffung und den Betrieb eigener Hardware.
In einem wettbewerbsintensiven Umfeld brauchen Unternehmen wie Mars solche Initiativen. 67 Prozent der IT-Entscheider erklärten in einer McKinsey-Studie, sie verdoppelten den Einsatz von Digitalisierungs-Technologien während der Pandemie, um damit Wettbewerbsvorteile erzielen. Laut McKinsey investieren Top-Performer überdurchschnittlich stark in Innovationen und Partnerschaften wie die zwischen Mars und Microsoft. Produktions- und Lieferketten haben sich gerade in der Pandemie als ein Faktor erwiesen, bei dem Unternehmen mit Zuverlässigkeit punkten können.
Mars nutzt Microsofts "Azure Digital Twins"-Services, um die Abläufe in 160 Fabriken zu verbessern. Weitere externe Unterstützung holt sich der Hersteller von Accenture. Mittels Software-basierter Simulation will Mars zum Beispiel Maschinen durch Predictive Maintenance besser warten und auslasten. Außerdem sollen Abfälle reduziert werden, in dem die Ware effizienter verpackt wird. Nicht zuletzt will der Konzern einen virtuellen "App Store der Use Cases" aufbauen. Diesen soll jede Fachabteilung nach Bedarf nutzen können. Für die Zukunft setzt sich Mars das Ziel, mit Hilfe des digitalen Zwillings klimafreundlicher zu arbeiten und mehr Einblick in die gesamte Lieferkette vom Erzeuger bis zum Endverbraucher zu gewinnen.
Das aktuelle Vorhaben baut auf einer bereits bestehenden Zusammenarbeit mit Microsoft auf. Anfangs ging es um "RealWear"-Headsets, über die sich Fabrikarbeiter remote beim Warten von Maschinen Unterstützung holen können. Dann setzte Mars Videoconferencing-Lösungen ein, über die Tierärzte für die Haustier-Sparte tätig sind. Digitalchef Dadlani hat sich unter anderem wegen der "Cloud-first"-Lösungen und der Expertise beim Engineering für Microsoft entschieden. Nicht zuletzt teilten Anwender und Anbieter die gleichen kulturellen Werte, so der Chief Digital Officer weiter. Mars und Microsoft schicken jeweils eigene Mitarbeiter in die Organisation des Partners. Außerdem haben sie ein gemeinsames Innovationslab aufgebaut, vorerst virtuell. Dieses Lab soll an Projekten rund um die Themen Endverbraucher, Nachhaltigkeit und Produkt-Innovationen arbeiten.
Kulturwandel und Qualifizierung hängen zusammen
Nach mehr als dreijähriger Zusammenarbeit mit Microsoft führt die Initiative zu einer tiefgreifenden Transformation der Unternehmenskultur bei Mars. Der Konzern beschäftigt 133.000 Mitarbeiter. Ihnen allen will Dadlani Zugang zu modernen digitalen Tools verschaffen. Mehr als 30.000 Kolleginnen und Kollegen haben sich bereits in Analytics weiterqualifiziert, über 17.000 in Design Thinking. Mars nutzt Design Thinking etwa in der Produktentwicklung.
Im Oktober 2020 brachte Mars "Treat Town" auf den Markt, ein virtuelles "Trick-or-Treating"-Spiel für Endverbraucher. Im Dezember veranstaltete der Konzern ein "AI Festival" (Artificial Intelligence) für seine Mitarbeiter. Die Kollegen feierten den Erfolg von 200 KI-bezogenen Use Cases, darunter eine Software, die Krankheiten von Haustieren diagnostiziert. Zudem gibt es Anwendungen, die die Preisgestaltung und Marketing-Aktionen verbessern, und zwar sowohl in der Filiale als auch online.
"Die meisten dieser Lösungen sind keine Strohfeuer", betont Dadlani, "wir skalieren sie bereits." Er fügt an: "Wer eine Problemstellung sehr gut definieren kann, ist auch fähig, sie mittels KI zu lösen." Nach diesem Credo ermutigt Mars alle Angestellten, mit KI zu experimentieren und die eigenen Skills zu verbessern. Dass dabei der eine oder andere Fehler unterlaufen kann, ist nicht nur einkalkuliert, sondern fast erwünscht - sofern die Belegschaft daraus "etwas für künftige Erfolge lernt", wie Dadlani sagt.