Es war einmal eine Zeit, in der es möglich war, in einer Stadt seine Wohnung oder sein Haus zu verlassen und in einer Entfernung von maximal fünf Minuten zu Fuß alle wesentlichen Einkäufe für den täglichen Bedarf zu machen. Es war einmal eine Zeit, in der es in jedem Dorf mindestens einen Dorfladen gab. Hier gab es fast alles zu kaufen, vom Brot bis zur Tageszeitung. Es war einmal eine Zeit, in der es ständig oder einmal in der Woche in jedem Stadtteil mindestens einen Markt gab – oft in einer überdeckten Halle –, auf dem man eigentlich alles kaufen konnte.
Diese Zeiten sind unwiederbringlich vorbei. Heutzutage muss man schon ziemlich weit fahren, um solche Einkaufsmöglichkeiten zu entdecken – nach Budapest vielleicht, wo man sich noch in einer Umbruchphase in Richtung moderne Zeiten befindet, oder nach Barcelona oder Rom, wo sich die traditionellen Einkaufsgewohnheiten der Bevölkerung nicht so leicht aushebeln lassen.
Fast überall sonst fordern immer größere, strategisch übers Land verteilte Einkaufszentren oder seit neuestem der expandierende Online-Handel ihren Tribut. Die einen ermöglichen es, sein Leben als Couch Potato immer weiter auszudehnen, die anderen stellen riesige Parkplätze zur Verfügung, um die Massen von Käufern anzuziehen, die sich in einer künstlichen Welt von Ladenstraßen mit dem Nötigsten und mit vielem Unnötigen eindecken.
In Deutschland sind Hertie und Karstadt heftig geschrumpft, andere Ketten befinden sich in einem härter werdenden Konkurrenz- und Überlebenskampf. Plattenläden muss man in den Zeiten von iTunes, Amazon und anderen Web-Anbietern mit der Lupe suchen, Elektrogeschäfte verschwinden vom Erdboden, und der Buchhandel einschließlich der großen Ketten wie Thalia oder Hugendubel befindet sich im Abwehrkampf gegen E-Books.
In Frankreich kämpft die große Buch-, Unterhaltungs- und Elektronikkette FNAC mit dem Überleben. In England hat jetzt HMV (His Master's Voice), Besitzer der gleichlautenden Musik- und Unterhaltungskette sowie des Buchhändlers Waterstone’s, angekündigt, 60 seiner Läden zu schließen. Und WalMart, der weltweit größte Retailer, befindet sich ebenfalls in einem Konsolidierungsprozess.
Kosten senken durch weniger Miete und Mitarbeiter
HMV will mit den Ladenschließungen zehn Prozent seiner Mietzahlungen von jährlich etwa 200 Millionen Euro einsparen. Wie viel weniger man für den dann gesunkenen Personalstand bezahlen wird, wurde von HMV nicht kommuniziert.
Untersuchungen der Consulting-Firma CB Richard Ellis haben ergeben, dass Retailer von wenigen, an zentralen Punkten verstreuten Läden aus größere Umsätze erzielen können. So wären sie zum Beispiel heute in England in der Lage, mit 90 Läden 50 Prozent der Bevölkerung zu erreichen. 1970 waren dazu noch 200 Läden erforderlich.
Die Lieferungs- und Lagerkette lässt sich so unter Einsatz IT-gestützter Methoden optimieren, und mit Smartphones und Tablet-Computern eröffnen sich neue Verkaufswege. Gleichzeitig setzen fast alle Retailer auf den Ausbau von Multi-Channel-Strukturen.
Laut Jonathan De Mello von CB Richard Ellis verfolgen neue international operierende Online-Retailer inzwischen die Strategie, nur an einigen wenigen ausgewählten Stellen Läden zu eröffnen, um so auf sich aufmerksam zu machen. Damit kehrt sich das bisher übliche Verhältnis von klassischem (primärem) Ladengeschäft und (unterstützendem) Online-Shop um. Online wird nicht mehr nur "me too", sondern ein paar Läden übernehmen die Marketingfunktion für das zentrale Geschäft, das im Internet stattfindet. Apple geht schon seit einiger Zeit einen ähnlichen Weg.
E-Tail statt Retail
Es gibt auch schon ein neues Wort für diese sich abzeichnende Entwicklung: E-Tail statt Retail. Wie die jeweils richtige Balance zwischen Laden und Online aussieht, ist branchenabhängig. Kleidung, Autos, Luxusgüter, Antiquitäten und so weiter sind mehr etwas für das unmittelbare Anschauen, Tasten (Haptik) oder Ausprobieren. Sollte man meinen. Aber auch hier findet man schon erstaunliche Ausnahmen. In den USA gibt es bereits ein erfolgreiches Start-up, das Brillen verkauft. Nur online.