In Sachen Digitalisierung hat Porsche2016 das Gaspedal durchgetreten. Schon im Mai ging die Porsche Digital GmbH an den Start, die Stuttgarter holten dafür den Digitalexperten Thilo Koslowski von Gartner aus dem Silicon Valley. Im selben Monat kündigte Vorstandschef Oliver Blume im Rahmen der "Porsche Strategie 2025" eine Innovationsoffensive an. Im Juli beteiligte sich Porsche über seine Digitaltochter erstmals an einem Startup, im August öffnete das "PorscheDigital Lab" in Berlin seine Pforten.
Alles muss schneller, agiler und flexibler werden beim schwäbischen Traditionskonzern, die IT spielt dabei eine Schlüsselrolle.
Wenn Porsche-CIO Sven Lorenz über digitale Transformation redet, macht er einen gelassenen Eindruck. Er ist stolze 15 Jahre im Amt und hat viele Hypes in der IT kommen und gehen sehen. Als er 2002 bei Porsche einstieg, war die Internet-Blase schon geplatzt, und ein gewisser Nicholas Carr vertrat medienwirksam die These "IT doesn't matter". "Die Unternehmens-IT
hatte damals noch eine andere Mission", blickt der promovierte Informatiker zurück. Effizienz stand auf der Prioritätenliste ganz oben, danach kam lange nichts. Doch spätestens seit 2010 habe sich die Rolle der IT gewandelt.
Auf die sich abzeichnenden Veränderungen in der Automotive-Branchereagierte der Vorstand 2011 mit der "Porsche Strategie 2018". Lorenz: "Auch damals ging es schon um IT und Innovationen in den Prozessen und Produkten." In der 2016 formulierten "Porsche Strategie 2025" bildet nun die digitale Transformation ein Kernthema, das sich über das ganze Unternehmen erstreckt: "Die IT hat dabei die Mission, die Transformation voranzutreiben."
Dafür hat Porsche drei Handlungsfelder abgesteckt. Im Bereich Produkte und Services sollen neue Angebote rund um das klassische Fahrzeugportfolio entstehen, die Gelder dafür kommen größtenteils aus dem Entwicklungsbudget. Dazu gehören Themen wie Connected Car, mobile Services und autonomes Fahren. Bei der Planung einschlägiger Projekte ist die IT-Organisation mit im Boot.
Das zweite Feld Kunde und Handel dreht sich vor allem um die Kundenschnittstelle. Gemeint sind damit sowohl physische als auch digitale "Touchpoints" wie beispielsweise ein Digital Showroom für die schicken Sportwagen. Das dritte Feld betrifft das Unternehmen und seine Prozesse, also Lorenz' ureigenes Terrain. "Es geht darum, Prozesse zu automatisieren, zu digitalisieren und zu integrieren", erläutert der CIO.
Digital Lab als Enabler und Plattform für neue Ideen
Streng genommen gibt es für die schwäbischen Digitalisierer noch ein viertes Handlungsfeld. Darin geht es um die Mitarbeiter und wie Porsche es schafft, eine "Innovationskultur" zu etablieren. Mit der Porsche Digital GmbH und dem Digital Lab habe man schon große Schritte in die richtige Richtung unternommen, sagt Lorenz.
Die Erwartungen an das Lab im Berliner Stadtteil Friedrichshain sind hoch. Einerseits soll es "innovative Informationstechnologien" identifizieren und erproben, andererseits eine Plattform bilden für die Kooperation mit Technologieunternehmen, Startups und Wissenschaft. Erste Erfolge sind sichtbar. So kooperiert Porsche etwa mit dem Wagniskapitalunternehmen E.ventures sowie dem SpinLab der Handelshochschule Leipzig (HHL), das Technologie-Startups unterstützt. Frische Ideen bringt auch die Minderheitsbeteiligung an dem digitalen Parkservice Evopark, die die Porsche Digital GmbH im vergangenen Jahr erworben hatte.
Die Aufgabenverteilung zwischen Lab und Porsche Digital sei klar geregelt, erklärt Lorenz. Während sich das Lab auf die Erprobung und den Einsatz digitaler Technologien im Unternehmen konzentriere, ständen bei der Digitalisierungstochter Produkte und Services für den Kunden im Mittelpunkt.
Microservices - der Turbo für die Software-Entwicklung
Inhaltlich geht es im Lab, das mit der Porsche-eigenen Management- und IT-Beratung MHP zusammenarbeitet, um die Schwerpunktthemen Big Data und Machine Learning, Microservices und Cloud-Technologien sowie um Industrie 4.0 und das Internet of Things (IoT). In Sachen Cloud etwa bestehe eine Herausforderung darin, Services über mehrere Clouds hinweg in einer hybriden Umgebung zu orchestrieren, sagt Boris Behringer, Leiter des Porsche Digital Lab: "Es reicht nicht, einfach alles in die Cloud zu schieben." Beim Thema Microservices stehe die Wiederverwendbarkeit einmal erstellter Softwarekomponenten im Mittelpunkt der Bemühungen. Porsche erhoffe sich davon Effizienzvorteile und mehr Flexibilität, um schneller auf veränderte Anforderungen reagieren zu können.
Das Thema Machine Learning bearbeitet Behringers zwölfköpfiges Team entlang der Unternehmensprozesse. Eine zentrale Frage dabei laute, wo sich Machine-Learning-Verfahren im Unternehmen nutzen lassen, die auch von externen Partnern kommen können. Generell gehe es im Lab darum, Enabling-Technologien und Konzepte in den Konzern zu tragen und darauf basierend am Ende neue Geschäftsmodelle zu ermöglichen. Last, but not least, hofft Porsche natürlich auch, am Standort Berlin junge Mitarbeiter mit Expertenwissen anzulocken.
Wie hoch die Messlatte für neue digitale Dienste liegt, machte Lutz Meschke deutlich, der im Porsche-Vorstand den Bereich Finanzen und IT verantwortet. Mittelfristig soll ein zweistelliger Prozentsatz des Konzernumsatzes mit digitalen Services generiert werden, nannte der Manager auf einer Presseveranstaltung im Digital Lab das stolze Ziel. Gemeint sei damit ein Zeitraum von fünf bis sieben Jahren. Und das ist noch nicht alles: Mindestens ein Teil der Services müsse schnell profitabel werden, denn: "Das Margenziel von 15 Prozent ist für Porsche heilig."
Digital Customer Experience und die Porsche ID
Lorenz sieht die Porsche-IT gut gerüstet für den geforderten Wandel. So habe man beispielsweise in puncto Customer Experience längst wichtige Weichen gestellt: "Wir haben eine echte 360-Grad-Sicht auf den Kunden." Digitale, physische oder auch persönliche Touchpoints würden auf der Grundlage einer einheitlichen Datenbasis verwaltet. Die technische Basis dafür bilde ein SAP-CRM-System mit einer Datenbank, die unterschiedliche Sichten auf den Kunden erlaube, beispielsweise für den Handel, Importeure oder die Porsche-Zentralbereiche.
Ein Beispiel in diesem Kontext sei die "Porsche ID", die jedem Kunden einen personalisierten Zugang zum Kundenportal ermöglicht. Die Ähnlichkeit mit der Apple ID ist kein Zufall: Porsche-Fahrer können über ihre ID beispielsweise digitale Dienste innerhalb und außerhalb des Fahrzeugs in Form von Apps nutzen.
Auch das Thema Big Data und Analytics schlägt sich in den kundennahen Bereichen nieder. So erstellt Porsche Marketing-Auswertungen und Kaufwahrscheinlichkeitsanalysen und setzt dabei unter anderem auf SAPs schnelle In-Memory-Datenbank HANA. Für die massenhafte Auswertung von Maschinendaten in der Produktion sind unter anderem auch Hadoop-Cluster im Einsatz. Das alles sei nichts grundsätzlich Neues für den Konzern, sagt Lorenz: "Porsche war schon immer ein extrem kundenorientiertes Unternehmen." Die Auswertung von Kundendaten habe stets eine hohe Priorität genossen.
Auf Zukunftsthemen wie künstliche Intelligenz oder Blockchain hat Lorenz, der zum Thema KI promoviert hat, einen eigenen Blick: "Der Begriff KI wird momentan inflationär verwendet." Die Teildisziplin Machine Learning sieht er vor allem als Verfahren für das Entwickeln von Prototypen, wenn es beispielsweise um die Auswertung von Kunden-, Fahrzeug- oder Maschinendaten gehe. An dieser Stelle arbeitet unter anderem das Digital Lab an Konzepten für den praktischen Einsatz.
Noch weiter in der Zukunft liegt für den CIO das heiß diskutierte Thema Blockchain: "Wir beginnen gerade erst zu begreifen, was man damit tun kann." Dennoch habe man sich auch mit diesem Konzept schon intensiv auseinandergesetzt. Gemeinsam mit dem SpinLab der HHL Leipzig hat Porsche gerade einen Gründerwettbewerb zum Thema Blockchain ins Leben gerufen.
Erfolgsfaktor Change-Management
All die schönen neuen Technologien und Digitalkonzepte bleiben graue Theorie, werden sie nicht systematisch ins Unternehmen getragen. Das weiß auch Lorenz. Das Thema Change-Management gehört für ihn zu den strategischen Erfolgsfaktoren. Dafür müsse zunächst die "Umsetzungsverantwortung" klar geregelt sein. Im Handlungsfeld Produkte und Services etwa stehe das Produkt-Management in der Pflicht, den Bereich Kundenschnittstelle und Handel verantworte das Vertriebs-ressort. Für die Digitalisierung der internen Prozesse ist die IT zuständig, die zugleich alle anderen Bereiche technisch unterstützt.
In diesem organisatorischen Rahmen sind bis 2025 "mehrere hundert" Innovationsprojekte geplant, berichtet der IT-Chef. Das Thema Digitalisierung wolle Porsche in rund 200 Initiativen vorantreiben, viele davon befänden sich schon in der Umsetzungsphase. Auch die digitale Arbeitsteilung im Volkswagen-Konzern ist für ihn klar. So kümmere sich etwa Volkswagen-CDO Johann Jungwirth um konzernweite und markenübergreifende Initiativen. Geht es um markenspezifische Themen, haben Porsche-Gremien den Hut auf. Für den Informationsaustausch und die Koordinierung träfen sich IT- und Digitalverantwortliche regelmäßig zu "Vernetzungsgesprächen".
Scrum, agile Methoden und Two-Speed-IT
Agile Methoden wie Scrum sind nicht erst seit dem Digitalisierungs-Boom fester Bestandteil der Porsche-IT, so Lorenz, aber: "Das Thema geht jetzt raus aus der IT." Die entscheidende Frage sei nun: "Wie wirken sich diese Methoden auf das Arbeiten in der gesamten Organisation aus?"
Dass sich die digitale Transformation nur mit einer IT der zwei Geschwindigkeiten bewältigen lässt, glaubt der CIO nicht: "Rein organisatorisch ergibt eine Trennung in eine schnelle und eine langsame IT keinen Sinn." Bimodale Ausprägungen gebe es bei Porsche zwar durchaus auf Projektebene. Zum Beispiel würden einige IT-Projekte noch mit klassischen Verfahren verfolgt; andere Initiativen mit hohem Innovationspotenzial und engen Zeitvorgaben nutzten agile Methoden. Unterm Strich aber bleibe die Vorgabe: "Wir wollen keine bimodale Organisation werden."
Mit einer Bewertung des bisher Erreichten tut sich Lorenz schwer. "Wir stecken noch in den ersten Phasen der digitalen Transformation. Im Eishockey würde man sagen: Es läuft das erste Drittel". Klar sei geworden, wo die großen Herausforderungen liegen. Neben finanziellen Ressourcen erfordere der Veränderungsprozess insbesondere zusätzliche Manpower, sprich Experten, die auf dem Personalmarkt ein rares Gut sind. Der Standort Berlin helfe dabei, dieses Problem anzugehen.
Eine andere Herausforderung ist für den CIO die schiere Menge unterschiedlicher Konzepte, Technologien und Geschäftsfelder. Die entscheidende Frage laute für ihn: "Welche Ideen sind wirklich tragfähig?" Erschwerend hinzu komme das dramatisch gestiegene Tempo, in dem neue Initiativen angestoßen werden. Die IT müsse heute viel schneller liefern als noch vor einigen Jahren.
Konkrete Pläne und ein starkes Team - was Porsche besser macht
Und was macht Porsche besser, um in Sachen Digitalisierung auf die Überholspur zu kommen? Lorenz hat darauf eine einfache Antwort: "Wir haben einen konkreten Plan für die digitale Transformation, klare Verantwortlichkeiten, ein begeistertes Topmanagement und eine starke Mannschaft. Das hilft enorm bei der Umsetzung."