SAP-Usern fällt es schwer, ein Gefühl dafür zu bekommen, was das neue Lizenzmodell Digital Access für sie bedeutet, räumte der für Lizenz- und Audit-Themen zuständige SAP Vice President Matthias Medert im Vorfeld der Hausmesse Sapphire ein. Der Softwarekonzern hatte vor gut einem Jahr sein neues Lizenzmodell für die indirekte Nutzung seiner Software vorgestellt. Mittlerweile sind SAP zufolge lediglich 800 Kunden auf den Digital Access umgestiegen.
Eine Zahl, mit der die SAP-Verantwortlichen nicht zufrieden sein können. Das sind nicht einmal 0,2 Prozent aller Kunden (425.000). Dabei wurde die Frage, wie die indirekte Nutzung von SAP-Systemen zu lizenzieren und abzurechnen sei, in den vergangenen Jahren heftig und kontrovers diskutiert. Fälle wie der des britischen Getränkeherstellers Diageo, der per Gerichtsbeschluss einen Millionen-Betrag an SAP nachzahlen sollte, sorgten für Empörung in den Reihen der SAP-Anwender. Doch offensichtlich gibt es auch hinsichtlich des neuen Lizenzmodells noch viel Unsicherheit im Markt.
Digital Access soll für Sicherheit und Transparenz sorgen
Digital Access adressiere sämtliche Szenarien für den indirekten Zugriff im digitalen Zeitalter, preist SAP die neue Lizenzmetrik an. Kunden erhielten damit Sicherheit und vorhersagbare Transparenz hinsichtlich ihrer SAP-Lizenzierung. Um diese Versprechen einzulösen, wollen die SAP-Verantwortlichen ihre Kunden stärker an die Hand nehmen und ihnen den Umstieg schmackhaft machen.
Dabei helfen soll unter anderem das neu aufgelegte "Digital Access Adoption Program" (DAAP): Es soll ab sofort starten und zunächst eine Laufzeit von einem Jahr haben. DAAP ziele darauf ab, Unsicherheiten im Zusammenhang mit historischen Transaktionen, Audits und bis dato ausgehandelten indirekten Lizenzbedingungen aus dem Weg zu räumen, hieß es von Seiten SAP.
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DAAP besteht aus zwei Stufen: In einem ersten Schritt will SAP seinen Kunden dabei helfen festzustellen, wie hoch der Umfang der indirekten Nutzung der eigenen SAP-Systeme ist. Dafür soll es verschiedene Optionen geben, wie Medert ankündigte. Für Cloud-Umgebungen will der Konzern Zählwerkzeuge bereitstellen, die die Anzahl der für die Lizenzierung relevanten Dokumente feststellen sollen. Für On-Premise-Systeme bietet der Softwarehersteller das "SAP Passport Tool" zur Zählung an. Dafür ist allerdings die Installation eines bestimmten Support Package erforderlich. Dieses sei für alle Releases, die derzeit noch unter Wartung stehen, verfügbar, versicherte Medert.
Neben der Tool-Unterstützung will SAP seinen Kunden auch Services als Hilfe anbieten. Das Global License Audit and Compliance Team (GLAC) soll Anwendern beim Einsatz der Zählwerkzeuge beziehungsweise der Installation des Support Package unterstützen. Falls die Tool-Unterstützung bei einem Unternehmen aus welchem Grund auch immer nicht möglich ist, soll das GLAC-Team die ungefähre Anzahl der relevanten Dokumente ermitteln können.
SAP wirbt mit massiven Preisnachlässen
Neben dem DAAP bietet SAP seinen Kunden massive Preisnachlässe beim Umstieg auf Digital Access. Wer 15 Prozent mehr Dokumente lizenziert, als die Zählung ergeben hat - um sich beispielsweise für künftiges Wachstum abzusichern - soll nur diesen überzähligen Puffer bezahlen müssen. Die Lizenzen für die benötigten Dokumente bekommt der Kunde quasi umsonst. Die Vertragshistorie bleibt außen vor und wird ignoriert. Kunden, die die Ergebnisse der Zählung als Bemessungsgrundlage für die Lizenzierung wählen, sollen massive Preisnachlässe erhalten. Medert spricht an dieser Stelle von 90 Prozent.
Wer in den Genuss der finanziellen Gutschriften kommen möchte, muss allerdings eine der oben beschriebenen Formen der Dokumenten-Evaluation durchlaufen haben. Allerdings gibt es SAP zufolge keine Abhängigkeiten zwischen der verschiedenen Zählmethoden und der Art der Incentivierung. Der Softwarekonzern verwies zudem darauf, dass es nach wie vor auch die Möglichkeit gebe, bereits erworbene Lizenzen für den indirekten Zugriff auf den Digital Access anrechnen zu lassen.
Grundlage für Lizenzbemessung des Digital Access bilden Transaktionen beziehungsweise Dokumente. Dabei orientiert sich das neue SAP-Lizenzmodell am Ergebnis beziehungsweise der Wertschöpfung, die durch das Anlegen und Auslösen bestimmter Transaktionen und Dokumente im ERP-System erzielt wird.
Was Wert stiftet, braucht eine Lizenz
Beispiele für das dokumentenbasierte Pricing: Während das Auslesen einer Adresse im SAP-System nicht wertstiftend sei und daher auch nicht lizenziert und bezahlt werden müsse, sei das Anlegen einer Kundenbestellung durchaus wertstiftend und müsse deshalb entsprechend lizenziert und bezahlt werden. Wenn im IoT-Umfeld eine Maschine Statusmeldungen an das Zentralsystem schickt, sei dies ebenfalls zunächst nicht als wertstiftend einzuordnen. Resultiert aus einer Statusmeldung über den Zustand der Maschine allerdings ein Serviceauftrag, so ist dieser wertstiftend und muss lizenziert werden. Aber nicht jeder Sensor braucht eine Named-User-Lizenz, warb SAP-Manager Medert für die neue dokumenten-basierte Metrik.
SAP hat neun Dokumenttypen definiert, die im Ergebnis einen wertstiftenden Zugriff auf das ERP-System darstellen und deshalb im Zuge der indirekten und digitalen Nutzung lizenziert werden müssen. Das sind:
Sales Document,
Invoice Document,
Purchase Document,
Service & Maintenance Document,
Manufacturing Document,
Time Management Document,
Quality Management Document,
Financial Document und
Material Document.
Zusätzlich gibt es für jeden Dokumententyp einen Faktor für die Berechnung der anfallenden Lizenzgebühr. Dieser Faktor liegt bei den Financial- und Material-Documents bei 0,2, bei allen anderen Dokumenten bei 1,0. Die Lizenzberechnung basiert SAP zufolge auf der initialen Anlage eines Dokuments. Lese-, Update- und Löschzugriffe werden nicht gezählt.
Auswirkungen von Digital Access können stark variieren
Medert beteuert, dass all diese verschiedenen Dokumententypen gar nicht so verwirrend seien. Allerdings befürchten wohl auch die SAP-Verantwortlichen, dass es durchaus noch dauern könnte, bis die Kunden das Modell wirklich durchblicken. Angesichts der verschiedenen Wahlmöglichkeiten durch DAAP könnten die Auswirkungen von Direct Access von Unternehmen zu Unternehmen stark variieren, räumte der Konzern ein. Transaktionsvolumina, Einkaufverhalten sowie historische Lizenzierungen seien nur einige Faktoren, die die Lizenzkosten beeinflussten.
Konfrontation und Streit rund um die Interpretation der indirekten Nutzung will SAP auf jeden Fall vermeiden. "Wir möchten deutlich machen, dass SAP nicht den Wunsch hat, unsere Kunden für out of Compliance zu erklären, sondern mit unseren Kunden auf dem Weg der digitalen Transformation zusammenzuarbeiten", heißt es in einer offiziellen Mitteilung. Man sei bestrebt, den Entscheidungsprozess so einfach wie möglich zu gestalten und dabei die individuelle Situation jedes Kunden zu berücksichtigen.
Helfen sollen dabei auch die Anwendervereinigungen. SAP hat eigenen Angaben zufolge Benutzergruppen dabei unterstützt, einen Rechner vorzubereiten, der Kunden dabei helfen soll, die beste und kostengünstigste Option für sie auszuwählen. Auch die eigene Vertriebsorganisation sei mit diesem Rechner ausgestattet, um Anwender bei der Berechnung und Bewertung von Digital Access zu unterstützen.
Anwendervertreter sprechen von einer "soliden Basis"
Insgesamt äußerten sich Anwendervertreter zufrieden mit den SAP-Bemühungen, den Streit rund um die indirekte Nutzung zu klären. "SAP ist damit in wesentlichen Teilen den Vorschlägen der User Groups gefolgt und hat einen Riesenschritt gemacht, historisch gewachsene, hochkomplexe, vertragliche Vereinbarungen durch ein einfaches, transparentes Modell zu ersetzen.", sagte Andreas Oczko, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Deutschsprachigen SAP Anwendergruppe (DSAG) und zuständig für den Bereich Operations/Service & Support. "Jetzt haben wir eine solide Basis, um in diesem wichtigen Bereich der digitalen Transformation voranzukommen."
Bei SAP habe das Thema zuletzt große Aufmerksamkeit beansprucht, berichtete Oczko. Allerdings stehe man derzeit noch am Anfang, relativierte der Anwendervertreter. Jetzt gehe es darum, Erfahrungen mit dem neuen Modell zu sammeln. Oczko sprach von einer guten Grundlage und betonte darüber hinaus, dass SAP mit dem neuen Modell eine zusätzliche Option biete und keinen Kunden zwinge umzusteigen.
Für die Bestandskunden, deren Prozesse beziehungsweise Dokumente über einen Altvertrag abgedeckt sind, könnten sich daraus gegebenenfalls attraktivere Konditionen ergeben, hieß es seitens der DSAG. "SAP erkennt ausdrücklich an, dass eine bisher konforme Lizenzierung uneingeschränkt weitergeführt werden kann, ohne dass dem Kunden daraus Nachteile entstehen", konstatiert Oczko. "Insbesondere dann, wenn die bisherige Lizenzierung die wirtschaftlich deutlich vorteilhaftere Variante für den Kunden darstellt. Damit existieren alle bestehenden Optionen weiterhin gleichberechtigt nebeneinander." Auch die Preise - die SAP wie üblich nicht öffentlich macht - seien dem DSAG-Mann zufolge auf den ersten Blick "nicht astronomisch".
Flexible Lizenzmodelle sehen anders aus
Grundsätzlich bleiben die Walldorfer mit Digital Access ihren alten Lizenzgepflogenheiten verhaftet. Auch in diesem Modell, das SAP zufolge eigentlich die Reise in die digitale Transformation beschleunigen soll, muss sich der Kunde auf ein bestimmtes Volumen an Dokumenten festlegen und eine Perpetual Licence kaufen, für die in der Folge Wartungsgebühren fällig werden. Ein Downgrade ist wie bei den klassischen Named-User-Lizenzen nicht vorgesehen, auch wenn Medert darauf hinweist, dass es in solchen Fällen durchaus bestimmte Möglichkeiten gebe, den Kunden individuell entgegenzukommen.
Etwas mehr Flexibilität gibt es in der Cloud. Doch auch dort müssen sich Kunden im Rahmen ihrer Subscription für einen bestimmten Zeitraum - drei oder fünf Jahre, auf einen festen Dokumentenumfang festlegen. Erst nach Ablauf dieser Periode besteht die Möglichkeit, das Cloud-Abo anzupassen. Zu einem verbrauchsabhängigen Modell konnte sich SAP offenbar noch nicht durchringen, obwohl einzelne Vertreter aus dem Management in der Vergangenheit durchblicken ließen, dass man durchaus über Pay-per-use-Metriken nachdenke. Gerade die DSAG hat in den vergangenen Jahren immer wieder darauf gepocht, dass es für die digitale Transformation flexible und "atmende" Lizenzmodelle brauche - in beide Richtungen.
Tatsächlich könnte in das Digital-Access-Modell noch weitere Bewegung kommen. Stefan Autengruber von License Ethics geht in einem Beitrag für das E-3 Magazin davon aus, dass SAP die dokumentenbasierte Lizenzierung gegen eine transaktionsorientierte Metrik eintauschen wird. "Ein drittes Nutzungsmodell für 'indirekte' Nutzung ist transaktionsbasiert und stellt jeden Programmzugriff unter Lizenzpflicht, der extern ausgelöst wird. Reiner Datenaustausch bleibt (wird) lizenzfrei."
Bundeskartellamt prüft weiter die VOICE-Beschwerde
Mit ein Grund dafür könnte die nach wie vor anhängige Beschwerde des IT-Verbands VOICE e.V. beim Bundeskartellamt sein. Die Anwendervertreter werfen dem Softwarekonzern vor, dass die Lizenzbestimmungen der SAP rechtswidrig seien und der Softwarehersteller seine starke Stellung im Markt für Business-Software gegenüber seinen Kunden missbrauche. Außerdem schädige SAP mit ihrem Lizenzverhalten den Markt für Third-Party-Applikationen. Die Anwendervertreter forderten das Softwarehaus auf, seine Lizenzbestimmungen nutzerfreundlicher und transparenter zu gestalten.
Die Beschwerde beim Bundeskartellamt läuft. Es gebe keinen Automatismus für ein Verfahren, hieß es seitens der Behörde. Derzeit werde der Sachverhalt weiter geprüft und inhaltlich bewertet. Man sei allerdings noch nicht so weit, das betroffene Unternehmen, also SAP, zu einer Stellungnahme aufzufordern.