"Eine Tour darf gerne sechs bis acht Stunden dauern", sagt Lars Ludwig, Leiter IT, Bankdirektor und Prokurist beim Bankhaus Donner & Reuschel, über die Wanderungen, die er zusammen mit seiner Frau jedes Jahr zwei oder drei Wochen lang im Bregenzer Wald unternimmt. "Die körperliche Herausforderung, das Naturerleben, der weite Blick und die Stille, da kann ich sehr gut abschalten und alles andere vergessen."
Ludwig hat eine Fusion hinter sich. Im Juli 2009 übernahm die Conrad Hinrich Donner Bank aus Hamburg das Münchner Bankhaus Reuschel & Co. Ab November 2009 integrierten Ludwig und sein IT-Team binnen 333 Tagen die IT der beiden Häuser, wobei sie das Kernbankverfahren "bank21" und das Wertpapierabwicklungssystem "WP2" einführten. Wie häufig bei solchen Standardisierungen fürchteten Mitarbeiter um ihre individuellen und flexiblen Arbeitsweisen und letztlich um ihre Jobs.
Gemischte Teams aus Hamburgern und Münchnern sowie der weitgehende Verzicht auf externe Berater wirkten diesen Ängsten entgegen. "Jeder wusste: Der, der mich schult, kennt meine Arbeitsabläufe und spricht die Banksprache", schildert Ludwig. Betriebsbedingte Kündigungen durch die Fusion waren von vornherein ausgeschlossen worden.
Ludwig hat neben dem Studium (Physik, Informatik, Wirtschaftswissenschaften) privat Gesang studiert und singt heute in Chören, vor allem Kirchenmusik. Im Bregenzer Wald hat er "auch schon Tandem-Gleitschirmflüge und sogar einen Tandem-Fallschirmsprung gemacht. Es hat riesig Spaß gemacht, die Welt auf diese Weise von oben zu sehen."
Mit Peter Maffay auf der Bühne
Wenn die IT zeitgemäß bleiben will, muss sie nicht nur sich selbst, sondern auch ihren Anwendern immer wieder anstrengende Neuerungen zumuten. Diese Dauerlast, die jeder CIO trägt, kennt auch Clemens Blauert, IT-Leiter des Evangelischen J ohannesstifts in Berlin, aus seiner täglichen Arbeit. Wer heute, etwa als Pfleger oder Betreuer, in der Sozialwirtschaft arbeitet, der muss seine Arbeit so umfassend dokumentieren und auswertbar machen, wie es ohne IT kaum möglich wäre.
Dafür installieren und betreiben Blauert und seine Mitarbeiter die Technik. Zuletzt, als Teil eines größeren Unternehmenskommunikations-Projekts, in Form von integrierter Telefonie und Groupware: "Viele CIOs wünschen sich mehr Akzeptanz. IT ist ein Mittel, Dinge zu bewegen, und ITler würden gerne als Leute wahrgenommen, die dieses Mittel bereitstellen." Blauert spielt Trompete im Blasorchester 1911 Neukölln, dem ältesten Laien-Blasorchester Berlins: "Für Amateure ist Musik eine wunderbare Möglichkeit, völlig abzuschalten und etwas ganz anderes zu machen. Da gibt es dann nur die Musik." Die Neuköllner wirken bei Martinsumzügen und Schützenfesten mit und sind schon am 17. Juni am Brandenburger Tor aufgetreten.
Mit Peter Maffay haben sie sich in kleiner Besetzung in dem Musical "Tabaluga und das verschenkte Glück" präsentiert. Vielleicht ist Blauert bei solchen Gelegenheiten weiter von seiner Arbeit weg als im Urlaub: "Da muss man ja auch mit Anrufen rechnen. Manchmal hat man dann eher bürofreie Zeit als Urlaub."
Integration statt Balance
Am 29. September 2010 krönten wir den "CIO der Dekade". Für die musikalische Untermalung sorgte eine Band, deren Bassist vielen Gästen aus anderem Zusammenhang bekannt war: Matthias Moritz, CIO von Bayer HealthCare. Vermutlich versteht er sein musikalisches Engagement nicht als Abgrenzung vom Beruf, sondern als Teil eines Ganzen: "Work-Life-Balance war gestern. Wir werden immer mobiler und flexibler und brauchen eine Work-Life-Integration, in der sich Berufliches und Privates immer weiter vernetzen."
Moritz ist beruflich stark eingespannt ("Am anstrengendsten ist es für mich, wenn ich viel unterwegs bin"); dass die Arbeitswelt außerhalb der Unternehmenstür nicht mehr endet, hält er jedoch nicht prinzipiell, sondern nur graduell für eine Besonderheit hoher Management-Positionen: "Eine 40-Stunden-Woche mit fünf Tagen à acht Stunden im Büro ist kaum noch die Regel." Gefragt sei deshalb ein gutes Selbst-Management: "Mit E-Mails und dem Blackberrry kann man sehr gut so umgehen, dass man nicht ständig, aber in den richtigen Momenten erreichbar ist. Auf Mails kann man kurz antworten, und man muss die Antworten nicht an 15 Leute schicken."
Zeit für die Familie
"Am Wochenende möchte ich Zeit für mich und meine Familie haben. Das klappt immer besser", bilanziert Carsten Bernhard vom Internet-Portal Autoscout24. Zwar akzeptiert der Vice President IT, dass zu seiner Position eine gewisse Rufbereitschaft gehört: "Wenn in der IT die Welt abbrennt, komme ich löschen. Aber es darf nicht zu oft brennen, sonst ist strukturell etwas falsch."
Einem strukturellen Wandel, der "agilen Transformation unserer Softwareentwicklung" mit Hilfe von Scrum, galt Bernhards wichtigstes Projekt in den letzten beiden Jahren. Da Softwareentwicklung in einem Internet-Unternehmen Produktentwicklung ist, reichten die Auswirkungen weit über die IT-Abteilung hinaus. Die klassischen Trennungen zwischen IT, Produkt-Management und Business sind aufgehoben. Wer früher Projektleiter war, kam als Scrum Master eher in die Rolle eines Coaches, eine große Veränderung, die nicht jedem leicht fiel. Auch für Bernhard hat sich viel geändert: Als Leiter einer klassischen IT war er der oberste Troubleshooter, jetzt dagegen "ist mein Ziel, nicht alle Probleme selbst zu lösen, sondern eine Organisation zu bauen, die Probleme löst".
Nach seiner Work-Life-Balance gefragt, nennt Bernhard drei Schlüsselbegriffe: delegieren ("Ich habe überhaupt keine Angst, dass mir Fehler angelastet werden, die andere begangen haben"), effizient arbeiten und Auszeiten nehmen. Nach der Geburt seines zweiten Kindes nahm Bernhard einen Vätermonat. Das werde im Unternehmen gefördert, die Elternzeitquote sei "gigantisch hoch".
Die Sau rauslassen
Ralf Nyenhuis, IT-Leiter der auf Werbefilme spezialisierten Markenfilm GmbH, hat dieses Jahr die Migration von Microsoft Exchange 2003 Server auf Exchange 2007 in eine virtuelle ESXi-Umgebung von Hewlett-Packard durchgezogen. Am schwierigsten war das Einbinden der verschiedenen Client-Versionen, "was unter anderem daran lag, dass Markenfilm mit freien Mitarbeitern zusammenarbeitet, die eigene Geräte mit eigener Client-Software mitbringen, da musste man für einige Parameter länger suchen". Den Anwendern und dem Business in dieser Weise entgegenzukommen, ist für Nyenhuis Prinzip: "Ein CIO sollte sich und die IT niemals zu wichtig nehmen. Als IT-Verantwortlicher ist man dafür zuständig, dass die IT funktioniert. Manche IT-Leiter gebärden sich aber wie Könige und unterstützen zum Beispiel das iPad nicht, weil es nicht zu ihrer Governance passt."
Nyenhuis glaubt, dass IT zugleich innovativ und einfach sein kann. Leser der Computerwoche unter Ihnen kennen ihn spätestens seit 2004, als er es mit nur zwei Mitarbeitern unter die drei Mittelstands-Finalisten des Wettbewerbs "Anwender des Jahres" schaffte. Das komplett selbst entwickelte digitale Filmarchivierungssystem, für das das Markenfilm-Team damals ausgezeichnet wurde, läuft immer noch.
Vom Job erholen kann sich Nyenhuis als Sänger der Rockcoverband "Heart Rock Café". "Als Berufsmusiker wäre ich sicher nicht glücklich geworden. Die Verbindung zwischen der Kopfarbeit in der IT und der Möglichkeit, mit der Band musikalisch mal richtig die Sau raus zu lassen, ist für mich genau richtig.".
"Was tun Sie für Ihre Work-Life-Balance?"
Das wurden die Teilnehmer am Wettbewerb CIO des Jahres im Bewerbungsbogen gefragt. Die 55 besten Kandidaten nannten insgesamt 126 Tätigkeiten und Bezugspunkte, die sie als erholsam empfinden. Einiges kam mehrmals vor. Hier eine Auswahl mit der jeweiligen Zahl der Nennungen in Klammern:
Bauernhof renovieren, Bergsteigen, Delegieren (3), Familie (17, zum Beispiel "Meine Tochter zu Bett bringen, damit ich ihr noch eine Gutenachtgeschichte vorlesen kann", "Harte Zeitregel zugunsten der Familie: 19 Uhr Deadline, am Wochenende exakt drei Stunden Arbeit"), Fechtsport, Fitness-Center (5), Freizeitpark besuchen, Freunde (4), Fußball spielen (2), Gartenarbeit, Glück des Nichtstuns genießen, Golfen (4), Inline-Skating, keine Mails nach 22 Uhr, keinen Blackberry benutzen, klare Trennung zwischen Beruf und Privatem (5), Laufen (9), Lesen (8), mit der Frau essen gehen, Motorrad fahren (2), Musik machen (5, darunter Trompete, Chorgesang und Rock), Radfahren (3), Reisen (6), Rotary, Sauna (2), Segeln (2), Snowboarden, Tanzen, Theater- und Konzertabo, Urlaub lange im Voraus fest buchen, Wandern (3), zu wenig (6). (Computerwoche)