Kaum eine IT-Konferenz ohne Schlagworte wie Digitalisierung und Transformation, Change und agile Methoden. Doch der Arbeitsalltag in den IT-Abteilungen der Unternehmen sieht ganz anders aus, wie der dritte "IT-Radar für Business Process Management (BPM) und Enterprise Resource Planning (ERP)" der Hochschulen Koblenz und Bonn-Rhein-Sieg zeigt. Der Radar basiert auf Angaben von mehr als 100 Teilnehmern.
Die Befragten halten folgende Themen für aktuell am wichtigsten: IT-Sicherheit, Compliance und die Integration von Prozessen und Systemen. Erst auf Rang neun folgt Agile, auf dem zwölften und damit letzten Rang landet Digitalisierung.
Sicherheitsvorfälle führten zum Umdenken
Ein Vergleich mit Umfragen von 2012 und 2013 zeigt, dass der aktuelle Spitzenreiter zuvor gar nicht unter den zwölf wichtigsten Punkten vertreten war. Thomas Allweyer, Professor für Unternehmensmodellierung im Fachbereich Informatik an der Hochschule Kaiserslautern, kommentiert dies in seinem Blog "kurze-Prozesse". Er führt die plötzliche Aufmerksamkeit auf "die verschiedenen bekannt gewordenen Sicherheitsvorfälle" zurück. Diese hätten vermutlich zu einem Umdenken geführt.
Compliance, Governance und Integration vorn
Der Themenkomplex Compliance, Governance und Integration dagegen steht seit Jahren oben auf der Agenda. Agile ist von Rang elf in der 2013er-Studie um drei Plätze nach vorne gerückt, Digitalisierung war 2013 noch gar nicht vertreten. Business Intelligence sahen die Befragten 2012 und 2013 noch auf dem vierten Platz, 2016 ist das Thema auf Rang elf gerutscht. Neu in der aktuellen Top-12-Liste ist immerhin der Punkt User Experience beziehungsweise Customer Experience, den die Befragten auf Rang sieben sehen.
Die Themen, die in den vorigen Studien noch als relevant galten und jetzt nicht mehr zu den zwölf wichtigsten zählen, sind Master Data-Management (MDM) und SOA (Service-orientierte Architekturen) sowie Automatisiertes Testen und EAM (Enterprise Application Management).
Tagesgeschäft verdrängt Zukunftsthemen
Die Hochschulen sprechen von einer Lücke zwischen der Diskussion um Zukunftsthemen und der aktuellen Bedeutung im Tagesgeschäft. Das war in den vorigen Studien ähnlich. Professor Ayelt Komus vom Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Hochschule Koblenz kommentiert: "Wieder ergibt sich ein Bild, in dem IT-Praktiker mit dem Tagesgeschäft und der Sicherung des Status-quo so beschäftigt sind, dass die Zukunftsthemen hintenanstehen müssen." Das sei zwar verständlich, berge aber "die Gefahr, dass sich die Kluft zwischen Top Management und IT-Leitern eher ausweitet."
Die Studienteilnehmer selbst scheinen ihren Fokus nicht verändern zu wollen. Das zeigt ein Blick auf die Liste mit den Themen, denen sie zukünftige Bedeutung beimessen. Die Top 3 sind exakt dieselben wie im Ranking der aktuellen Themen (IT-Sicherheit, Compliance und Integration). Wenn Allweyer von der Hochschule Kaiserslautern mit seiner These vom Umdenken durch die verschiedenen Sicherheitsvorfälle Recht hat, ist dieses Umdenken offenbar nachhaltig.
Das Stichwort Digitalisierung erreicht in der Liste der künftig wichtigen Themen Platz fünf. Mobile und Agile liegen auf den Plätzen acht und neun, Big Data auf Rang elf und Industrie 4.0/Internet of Things auf Rang zwölf.
CIO gefragt - oder der Chief Process Officer
Professor Andreas Gadatsch von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg appelliert an CIOs, in der digitalen Zukunft eine federführende Rolle einzunehmen. Offenbar gleichrangig mit dem CIO sieht Gaddatsch einen Chief Process Officer. Übernimmt weder der eine noch der andere diese Aufgabe, würden innovative Themen wie Fast IT von den Fachbereichen besetzt, erklärt Gaddatsch - "oder sogar von neuen Rollen wie dem Chief Digital Officer".
Die Hochschulen haben ihren IT-Radar im Jahr 2012 gestartet. Er soll Wissenschaft und Praxis eine Orientierung in der Fachdiskussion bieten.